Etappe 11 ~ v. Mi. 29.06. bis Sa. 02.07.2011
Melilla ist eines der beiden Überbleibsel der ehemaligen spanischen Präsenz in Nordafrika. Um Immigranten vom Sturm auf Europa abzuhalten, ist die Stadt von einem kilometerlangen hohen
Zaun umgeben, wie auch Ceuta, weiter links, an der Mittelmeerküste Richtung Straße von Gibraltar gelegen. Ceuta ist das andere Überbleibsel und beide sind strittige Punkte in der Beziehung
zwischen Marokko und Spanien. Militärs jeglichen Ranges gab es daher im Stadtbild Melillas mehr als genug. Und hier, in dieser autonomen Stadt, trennte sich mein Weg von dem meines Dolmetschers
der letzten Stunden und Tage. Coullen wurde von seinen amerikanischen Freunden abgeholt und auf mich wartete ein Taxi oder ein Zubringerbus in die Stadt. Und gaaanz langsam wurde mir bewusst,
dass mir Europa wieder dicht auf den Fersen war. Hier galt sogar die gleiche Zeit, der ich vor beinahe 2 Monaten entflohen war und (fast) alles war wieder mehr oder weniger wie geleckt, sprich
sauber.
Dem entsprachen auch die auf Fahrgäste wartenden Taxen in Form der neusten Mercedes Modelle. Aufdringlich in der afrikanisch-spanischen Sonne glänzend, so dass sie ohne Sonnenbrille kaum
anzuschauen waren. Ihr Glanz verriet mir, dass sie mich nicht für ein paar Cent ins Stadtinnere bringen würden, wie noch kurz zuvor ihre älteren Artgenossen, die mich als Sammeltaxi hier &
dorthin gefahren hatten. Also hielt ich nach einem Bus Ausschau, auf dem laut Lonely Planet „Aforos“ stehen sollte. Weniger aufdringlich als die Taxen, schien er etwas abseits schon auf mich zu
warten. Ein Gefährt, wie es auch bei uns an jeder Bushalte hätte stehen können. Aber im Gegensatz zu unseren Bussen oder den Nobel-Taxen, verlangte er deutlich weniger als einen Euro (60 Cent)
für seine Dienste, die ich zum 13 Kilometer entfernten riesigen Plaza España und dem angrenzenden Parque Hernández in Anspruch zu nehmen hatte. Beides zusammen von oben betrachtet, sieht übrigens
wie ein großes Ausrufungszeichen aus.
Coullen hatte mir auf der Fahrt von einem schnuckeligen, günstigen Hostel erzählt ~ bzw. Hostal, wie sie hier heißen ~ an dessen Name er sich nicht erinnern konnte. Es sollte in einer der
Nebenstraßen liegen, die sich das Areal um den großen spanischen Platz Richtung Altstadt ~ das sogen. Goldene Dreieck ~ teilten. Obwohl ich das Gebiet nach dem Verlassen des Busses durchstreifte
und auch später noch danach suchte, war es nicht auffindbar. Vielleicht gab es das Etablissement ja längst nicht mehr, hatte vielleicht seinen Namen gewechselt. Und so arbeitete ich mich durch
die charmant-lebhaften Straßen mit den vielen Jugendstil & Modernisme Häusern langsam in Richtung der im LP empfohlenen Hostals und Hotels vor. Entschlossen, da es noch früh am Tag war, nicht
wieder auf eine LP Gurke herein zu fallen, sondern mir eine angenehme Bleibe für meine angedachten 3 bis 4 Melilla-Tage auszusuchen. Danach wollte ich ja zurück nach Marokko und mit einigen
Zwischenstopps langsam nach Tanger weiter ziehen. Diese große Hafenstadt sollte dann mein Marokko-Finale einleiten, bevor ich den Affen auf ihren Felsen jenseits der Meerenge meinen Besuch
abstattete. So der Plan.
Die ein oder andere Unterkunft auf meinem Streifzug hätte mir schon gefallen, aber entweder waren sie ausgebucht oder teurer, als zur Recherchezeit meines LP oder es gefiel mir dieses oder jenes
nicht. Schließlich läutete ich an der Tür des Hostal La Rosa Blanca, wo mich die stämmig-große Gestalt einer Berberfrau begrüßte. Ob sie die weiße Rose war?
Sie erinnerte mich ein wenig an die Frau des Hauses auf meinem Ausflug ins Ourika Valley. Auch sie überragte mich um einiges, zumal sie auf der untersten Stufe einer Treppe mit 35 cm hohen Stufen
stand, die für ihre Größe und andere Riesen erbaut schien. Nur auf Arabisch oder Spanisch war eine Kommunikation möglich und somit für beide Seiten nicht sonderlich ergiebig. Da aber klar war,
dass jemand mit Gepäck ein Zimmer sucht, unterstützt von dem typischen Handzeichen ~ betende Hände seitlich an den Kopf gehalten ~ zeigte sie mir die drei der noch möglichen Optionen des Hauses
und dann den Preisaushang.
Ein kleines Einzelzimmer, das durchaus okay zu sein schien, obwohl nur an einem Lichtschacht gelegen, war für stolze 24 € zu haben. Ein etwas größeres zur Straße für 35 € und ein großzügiges
Doppelzimmer, ebenfalls zur Straße ausgerichtet, hätte mich für 48 € beherbergt. Es verfügte sogar über eine Waschgelegenheit.
Ich entschied mich nach dem Motto, „da schlafe ich doch eh nur“, für die preisgünstigste Variante und musste nun nur noch auf ihren Mann oder Boss warten, der das Anmelde & Pass Gedöns usw.
regeln würde. Und da bereits ~ schließlich befand ich mich in Spanien ~ die Zeit der Siesta angebrochen schien, er also vorerst nicht zurück erwartet wurde, schloss ich mich diesem Brauch an und
versuchte, meine kleine Butze auch schon mal mit einem Mittagsschläfchen einzuweihen. Was mir allerdings nicht gelingen sollte, da am hellichten Tage durch das Lichtschacht Fenster erste,
wahrscheinlich halbverhungerte Mücken ansirrten und zugleich ein paar nicht sonderlich appetitliche Düfte mitbrachten. Irgendwo unter mir wurde gekocht, was zudem bedeutete, dass noch wärmere
Luft einströmte.
Da ich mich immer noch zur Genüge an die mehr als 130 juckenden Wanzen-Bisse erinnerte, stand mir nicht der Sinn danach, sie durch Mückenstiche zu ergänzen. Und obwohl lästig, weil alles schon
ausgepackt war, schnappte ich mir meine Backsbeeren und wollte ins andere Einzelzimmer übersiedeln. Das hatte jedoch in der kurzen Zeit bereits ein anderer Gast requiriert. Kismet. Und so
quartierte ich mich ganz schnell im „48-€-Luxus-Doppelzimmer“ ein, bevor mir auch das noch vor der Nase weggeschnappt wurde. Mein Budget würde es schon irgendwie verkraften.
Aus einem riesigen Fenster blickte ich nun auf die verkehrsreiche und daher laute Calle Gran Capitán, die auch noch einen Hang hinauf führte. An so einer Stelle pflegen Autofahrer naturgemäß zu
schalten deutlich hörbar Gas zu geben. Würden meine Lauscher damit klar kommen?
Und mit dieser Frage darf ich bitte ein letztes Mal auf die Moschee Lautsprecher zurück kommen. Ich stellte nämlich fest, dass diese Verkehrsgeräusche nachts und auch morgens kaum störten. Zum
einen, weil das Verkehrsaufkommen dann sehr niedrig war und außerdem Ohropax meine Gehörgänge ausreichend verschloss. Das Lautsprecher Gedröhne hingegen, mogelte sich wie die Trompeten von
Jericho nicht nur an jedem Ohrstöpsel vorbei, ich bin sicher, es würde auch noch in einem schallgeschützten Raum zu hören sein. Wie schon in Indonesien festgestellt, ist bei gefühlten 120 DB, das
einzig wirksame Gegenmittel nur eine genügend große Entfernung. Und die stimmte, denn das La Rosa Blanca hielt den von mir gewünschten Sicherheitsbstand zu jeder Moschee ein. Denn die Dinger gab
es natürlich auch in Melilla.
Somit sollte ich diesen Umzug auch nicht bereuen, obwohl sich das Zimmer erst einmal nicht abschließen ließ. Der durchaus vorhandene Schlüssel ließ sich zwar im Schloss drehen, nur ohne zu
schließen. Das klappte erst, nachdem Hamed, der Besitzer, passend wieder aufgetaucht war, ein neues Schloss besorgte und einbaute. Er war ebenfalls Berber und jemand, der im spanischen Melilla
recht passabel Deutsch sprach. Und so wie es aussah, freute auch er sich über den deutschen Gast, hatte er doch mal irgendwo in der Stuttgarter Ecke gearbeitet und sich als Mercedes-Fan einen
190er mitgebracht.
Entweder weil noch nicht die richtige Touri Zeit angebrochen war, und ich 3 bis 4 Tage bleiben wollte, vielleicht auch weil er einen Narren an mir gefressen hatte oder alles zusammen, bekam ich
einige Vergünstigungen, die zu Beginn unseres Gesprächs nicht im Raum standen, ja, von denen eine sogar anfangs verweigert wurde. Nämlich die Nutzung seines WLAN's, die ich sehr begrüßt hätte.
Denn mein Internet Stick für Marokko funktionierte hier nicht und sämtliche angesteuerten Internet Cafés boykottierten mal wieder mein Notebook. Irgendwie seltsam, das mit dem Stick, war die
Grenze doch gerade mal 13 Kilometer entfernt. Als ob man zusätzlich zum Drahtzaun auch noch einen energetischen Sperrzaun errichtet hätte.
Hamed hatte auf meine Internet Frage sogar noch cool behauptet, dass er keinen Anschluss hätte, obwohl uns der Router in seinem Büro mit seinen LED's munter anblinzelte. Aber nachdem er mir mein
48 € Doppelzimmer für 30 überlassen hatte, spukte er plötzlich auch das Passwort aus, ohne dass ich noch einmal gefragt hätte. Somit konnte ich dann auf meinem Bett sitzend internetten. Und das
sogar richtig fix.
Außerdem berechnete er fürs Wäschewaschen, das er besorgte, keinen Cent und benannte mir das „Picasso“, ein kleines Ecklokal in der Nähe, wo ich in der Morgensonne am Straßenrand prima
frühstücken und auch sonst essen konnte, sofern ich nicht eines der anderen Lokale „in town“ ausprobieren wollte. Was mitunter gar nicht so einfach war, da sie vor allem abends unchristliche
Öffnungszeiten für meinen Hunger hatten und sich auch preislich einem Euro-Land als zugehörig erwiesen. Obwohl, das muss ich sagen, Melilla von der finanziellen Seite aus betrachtet, immer noch
günstiger war ~ auch wenn ich so in die Läden schaute ~ als vergleichbare multikulti Städte bei uns.
Überhaupt entpuppte sich Melilla für mich als Wohlfühl-Stadt. Sie ist in der Tat multikulti und sehr lebendig, aber anders als Marokkos Städte, spanisch halt, trotz vieler Marokkaner. Sie bot
leckerstes Eis, jede Menge Menschen unterschiedlichster Herkunft, interessante Ein- und Ausblicke an & in alle(n) Ecken, enorm viele Bauten aus der Jugendstil und der Modernisme Zeit (900 an
der Zahl, wie es hieß). Letzteres ein Baustil, der in Barcelona entstand und als katalanische Version des Jugendstils gilt, dessen berühmtester Vertreter Antoni Gaudi war. Hier war es jedoch
Enrique Nieto, ein Gaudi Schüler, der mit seiner Sgrafitto Architektur (einer Mischung aus Art déco und aerodynamischen Formen) mit über 450 Projekten das Stadtbild mehr als beeinflusste. Sogar
die Hauptmoschee stammt von ihm. Es gefiel mir nicht nur, was ich zu sehen bekam, es faszinierte mich, wie mich auch Gaudi schon immer fasziniert hatte. Was ich dann, nur wenig später gegen Ende
meiner Reise, in Barcelona weiter auskosten können würde.
Kurz & gut, ich freute mich riesig, auch diese Stadt ein wenig auszuloten. Und es war einfach Klasse ~ wie Coullen es ja bereits mit etwas anderen Worten von sich gegeben hatte ~ unsere
weiblichen Pendants mal wieder mit all ihren Facetten und vor allem als Frau in ihren hübsch-sommerlichen Outfits wahrzunehmen, auch wenn ich mich kürzlich „vertan“ hatte und zu meinem eigenen
Erstaunen vom Reiz der islamischen Frauen gesprochen habe. Es waren wohl eher ihre Gesichter, insbes. ihrer Augen, die gleich einer Miniatur, von Quadratmetern an Stoff eingehüllt waren, sofern
eine Burka nicht noch radikaler auch den Rest verbarg. Was ja beides durchaus die Fantasie eines männlichen Wesens zu beflügeln vermag ~ in welche Richtung auch immer. Na ja, lassen wir das, denn
die Señoritas dieser Stadt waren schon zum größten Teil eine Augenweide, wenn auch meistens nicht meine Altersklasse. Zwischen ihnen tauchten immer wieder aber auch Señoras auf, die mir gefallen
hätten können, wenn ich denn ihretwegen hergekommen wäre. :-))
Nicht so sehr gefallen hatte mir jedoch mein erster Melilla-Tintenfisch-Ess-Versuch, der völlig anders ablief, als bisher. Das Wort „calamares“ auf der Tafel vor der kleinen Kneipe löste auf
Grund der Erinnerungen an viele, in diversen Varianten bereits gegessene Tintenfisch-Kreationen in mir den Drang aus, jetzt erneut, in diesem Moment die fangfrischen Leckerbissen essen zu wollen.
Dass ich eine neue Variante kennenlernen könnte, hatte ich nicht bedacht, denn die „Kopffüßler“ wurden für mich erstmals komplett mit diesem Chitin Schulp, dem weißen Ding, an dem Kanarienvögel
& Co gerne herum knabbern und ihrem „Tintenfläschchen“ serviert. Wobei diese Kanarienvogel-Knabberei nicht das Erstaunliche war ~ die ließ sich ganz leicht entfernen ~ sondern die Tinte, in
der das weiße Fleisch plötzlich kontrastreich schwamm. Und diese tiefschwarze Brühe sorgte dafür ~ besser als Blaubeeren es vermögen ~ dass Lippen, Zähne & Zunge, aber auch die Finger, da sie
beim Essen immer mal benötigt wurden, einen gruftigen Anstrich bekamen, der sich nicht so ohne weiteres wieder entfernen ließ. Mit dem entsprechenden schwarzen Outfit hätte ich sicher auf jeder
GruftyParty Ehre eingelegt. Falls man dort so etwas einlegen
kann. Dass ich aber nichts falsch gemacht hatte, erkannte ich daran, dass auch andere (einheimische) Gäste nach dem Verzehr ihrer Tintenfische mit zur besagten Party hätten gehen können.
Und so spielten mir meine dürftigen Spanisch Kenntnisse trotz Phrasebook immer wieder einen Streich, wenn es darum ging, die vielen Köstlichkeiten der hiesigen Küche auch nur halbwegs kennen zu
lernen. Sämtliche Speisekarten waren nämlich nur in Spanisch verfasst. Damit blieb mir allein der schon oft praktizierte Trick, auf die Teller der anderen Gäste zu schielen und dem camarero klar
zu machen, dass ich das Gleiche haben wollte. Auf diese Weise lernte ich nicht nur weitere Tintenfische ohne Tinte und andere Schmankerl kennen, sondern auch ein Getränk, das eisgekühlt serviert
wurde und nach mehr schmeckte. Leider habe ich mir den Namen nicht notiert und somit nicht behalten. Es bestand aus Rotwein, in den irgendein anderes Getränk gemischt worden war, wodurch das
Ganze neonartig in einem lila Ton leuchtete, der meinen Blick magisch auf sich zog. Hinzu kam, dass es leicht moussierte. Es war aber keine wässrige Rotweinschorle, zumal dieses Gesöff völlig
anders schmeckte. Einfach genial.
Als es mich zum ersten Mal in meinem Lieblingslokal unterhalb der alten Festung wie der heilige Gral anstrahlte, und ich fragend darauf zeigte, brachte man mir als Einstieg und als Geschenk des
Hauses erst einmal ein kleineres Glas zum probieren. Denn normalerweise wurde es aus Gläsern im Halbliterformat getrunken.
Aber nicht nur dieses Getränk, auch das Lokal musste ich immer wieder aus-probieren, denn es hatte eine interessante Küche und bestand nur aus der Freifläche eines kleinen Platzes mit ein paar
schattenspendenden Bäumen, die, wie fast alle Bäume in der Stadt, wie ein überdimensionierter rechteckiger Schirm zurecht gestutzt worden waren und unter, die ja nach Bedarf, weitere Tische und
Stühle gestellt, oder auch wieder entfernt wurden, so dass das Lokal immer gut gefüllt aussah. Der Raum für die Möbel, die Küche und die sanitären Räume waren in der Festungsmauer untergebracht,
es war also ein reines Freiluftlokal.
Von hier aus kletterte man auch die Stufen zur Festung und einigen, selbst für mich interessanten Museen oder den alten, noch intakten Zisternen hinauf, immer wieder mit Ausblicken aufs Meer, die
zum Träumen verführten und dem einen oder anderen Mini-Badestrand, die aber nur zum Sonnenbaden einluden, weniger zum Schwimmen. Der im Wasser schwimmende Dreck aus Plastik jeglicher Art und
anderem Zeugs ließ da jeden Wunsch nach Abkühlung gleich im Keim ersticken. Wie es heißt, ist dieser Dreckflut, die hauptsächlich von Schiffen stammt, einfach nicht Herr zu werden.
Auf dem Weg nach oben, in der „Melilla La Viella“, der Altstadt, fand ich aber auch einen ganzen Bereich, wo man sich für den Mercado Medieval rüstete. Einen Mittelalter Markt, der, wie ich en
passant herausfand, mit einem Umzug und sonstigem Tamtam verbunden war. Zuerst nahm ich noch an, dass es ähnlich wie bei uns ein auf Mittelalter gequälter Markt sein würde und wollte einen weiten
Bogen drum herum machen. Aber dann stolperte ich direkt ins Geschehen hinein, kurz nachdem ich meine Weiße Rose verlassen hatte. Und schon war alles anders.
So eine Veranstaltung habe ich bei uns noch nicht erlebt. Ausgenommen vielleicht die Karnevalszeit meiner Jugend in meiner Heimatstadt, in der dann mehr oder weniger vergessen wurde, dass alles,
jedes und jeder zuvor noch in der Ordnung normaler Stunden und Tage (s)ein Dasein lebte und darin funktionierte.
Hier war es ähnlich, obwohl einer südlichen Lebensweise ja schon immer mehr Leichtigkeit nachgesagt wurde, als der deutschen. Bei schönstem Mai Wetter wurde der Zug von tausenden links und rechts
der Straßen begleitet. Und das im Sinne des Wortes. Sie wanderten nicht nur langsam mit, sondern wuselten auch immer wieder zwischen den Zug-Teilnehmern aller Couleur herum. Genau wie auch ein
Teil der Zug-Teilnehmer, der die Menge am Straßenrand aufmischte. Bunt gemischte Gruppierungen aus spanischen, islamischen, mittelalterlichen und heutigen Ingredenzien wechselten sich ab.
Conquistadores in ihren traditionellen Outfits, Reiterinnen & Reiter in mittelalterlichem Habit, Gaukler in fantasievollen Kostümen, fanatische Büßer mit Fleischerhaken in der Haut, an denen
sie Lasten zogen, marokkanische Musikgruppen, spanisch aussehende Mädchen, die als Bauchtänzerinnen zwischen Bischöfen & Mönchen durch die Straßen tanzten, und alles, was es im Laufe der Zeit
in Melilla an Menschen und Persönlichkeiten gegeben hatte, zog mit ihren Einlagen in Richtung Festung. Oben angekommen, ergoss sich die gesamte Truppe in den Mercado Medieval. Eine rauschende
Fiesta-Nacht mit Gebratenem vom Spieß & Grill, Wein & Bier, Kuchen & Gebäck, Würsten, Schinken und, und, und, nahm ihren Anfang.
Als sich oben in der Festung der Umzug aufzulösen begann, gab es noch eine kleine Szene am Rande zu beobachten, in der ein etwa 9- oder 10-jähriges Mädchen, deutlich marokkanischen Ursprungs,
sich von einer der spanischen Bauchtänzerinnen die Schritte dieses Tanzes zeigen ließ. Einem Tanz, der ja viel eher zu ihrem Ursprung gehörte, als zu dem einer Carmen. Aber so, wie es in Melilla
keinen Flamenco zu geben schien, war in Marokko ~ außer in der Touri Hochburg Agadir ~ nie etwas vom Bauchtanz zu sehen.
Zu sehen aber war zu meinem Erstaunen an einer anderen Stelle so etwas wie eine deutsche Präsenz, die es anscheinend zur Zeit des Jugendstils gegeben haben musste, auch wenn ich dazu in der mir
verbleibenden Zeit nichts in Erfahrung bringen konnte. An der Fassade des ehrwürdigen Jugendstil Theaters von Melilla ~ auch aus Enrique Nietos Erbe ~ befand sich über dem großen Bogenfenster des
Eingangsbereichs der Schriftzug »Teatro-Kursaal«. Was mag man mit dieser Wort-Kombination damals gemeint haben?
Aber noch war es nicht so weit, dass ich mehr darüber erfahren sollte. Zu gerne hätte ich erst einmal mein Budget ein weiteres Mal strapaziert, um in diesem Schmuckstück ein Konzert, eine
Aufführung oder irgendetwas hören oder sehen zu können. Auch nur das Innere zu sehen, ohne die Wirkung des Publikums, hätte ja schon genügt. Aber leider stand ich außerhalb des Spielplans vor
geschlossenen Toren, und erst spätere Internet Recherche ergab, dass das Theater nach einem Total-Umbau im März 2011 wieder eröffnet, und dass ganz banal unser Wort
»Kursaal«für bestimmte Gebäude von Spanien übernommen wurde.
Deren Räumlichkeiten mussten nur unseren früheren Kursälen in ihrer alten Pracht entsprechen, dann bekamen sie dieses Beiwort. So gibt es auch den „El Gran Kursaal de San Sebastián“, den „Kursaal
de Algericas“ und den „El Central Kursaal de Madrid“. Das hätte ich nicht erwartet. Zumal bis auf einen kleinen Hinweis nichts bei „leo“ und auch in keinem anderen Wörterbuch zu finden war.
Da ich mich inzwischen von dem Wanzen-Überfall auf Grund einer Salbe, die mir in einer Super-Apotheke empfohlen wurde (die es natürlich in dieser mehr oder weniger europäischen Stadt auch gab),
recht gut erholt hatte ~ es juckte kaum noch, und die vielen roten Markierungen der Bisse waren fast abgeheilt, wurde langsam der Wunsch wach, meiner Wohlfühl-Oase Melilla goodbey zu sagen. Und
so kehrte ich La Rosas Doppelzimmer den Rücken, nahm den Bus nun in umgekehrter Richtung vom Plaza España zur Grenze und folgte dort dem allgemeinen Menschenpulk durchs weit geöffnete Tor ins
ungefähr 250m breite Niemandsland, das Melilla von Marokko trennt.
Dass dieses Tor so weit und einladend geöffnet war, bedeutete allerdings nicht, dass der Grenzübergang Beni Enzar in Richtung Marokko nun genauso einfach zu passieren gewesen wäre, wie zuvor mit
Coullen in Richtung Melilla. Wobei die erste Hürde, der spanische Zoll, sich als der einfachere Teil erweisen sollte. Danach ging es dann los. Angefangen bei den Typen, die mir für ein paar
Dirham das kostenlose Formular andrehen wollten, das für die Einreise nach Marokko erforderlich ist, und den Marokkanern, die zurück in ihr Land wollten. Sie reisen anscheinend immer mit der gesamten Groß-Familie. Und dann gibt Vatern einen Stapel Pässe ab, und der Beamte schaut
sich dann jeden einzeln sorgfältigst an. Außerdem werden immer wieder Grenz-Profis dazwischen geschoben, die dann ebenfalls mehrere Pässe hinblättern. Nervig, wie auch die Tatsache, dass ich nicht mehr als eine Art VIP an den anderen vorbeigeschleust
wurde.
Stattdessen musste ich mich mehrmals erneut in Warteschlangen einreihen, weil gerade in dem Moment, als ich fast an der Reihe gewesen wäre, der Beamte den Schalter schloss, alle Grenzgänger
erbarmungslos zur nächsten Schlange scheuchte und gemütlich verschwand.
Das aber war immer noch besser, als mit einem Auto die Grenze passieren zu wollen. Denn die Schlangen sahen aus, als ob es in Melilla keine Autos mehr geben würde, ihnen das Benzin ausgegangen
wäre oder als ob es ein Einfahrverbot für Autos nach Marokko gäbe.
Dann jedoch, war es geschafft, und ich lief die avenübreite und schnurgerade Zugangsstraße entlang, die ich zuvor mit Coullen abgelaufen war, nach dem unser Taxi seinen Endpunkt erreicht hatte.
Irgendwo vor mir sollte es einen Bus und Sammeltaxen Richtung Nador mit seinem trubeligen Busbahnhof & Taxen Sammelplatz geben, den ich ja bereits kannte. Das Erscheinungsbild dieser Straße ~
breit genug für ganze Fahrzeugkolonnen und/oder Parade Aufmärsche, leer, bis auf wenige Menschen, staubige Fahrzeuge am Rand und das übliche marokkanische Durcheinander ~ zeigte mir, dass ich
mich nun wieder in dem Land befand, das die letzten Etappen meiner Reise für mich bereit hielt. Bei aller Vorfreude auf diesen Teil, registrierte ich auch ein leicht wehmütiges Gefühl.
Wahrscheinlich, weil der Countdown nun immer deutlicher und spürbarer lief. Was würden die letzten Marokko-Tage noch bringen?