Teil 1
Etappe 2 ~ v. Di. 03.05. bis Do. 12.05.2011
Hah, auf
diesem Flug habe ich es doch glatt zum ersten Mal geschafft, die ganze Zeit nicht auf meine Uhr zu schauen. Ich hatte nur registriert, dass wir nach dem Flug übers Mittelmeer wieder Land unter
uns hatten, das so typisch anders aussah als zuvor und zwangsläufig Marokko sein musste. Und als der Flieger sich eine Weile später dann nach vorne und zur Seite neigte und in den Sinkflug ging,
war klar, dass unter uns Marrakesch lag. Zuvor gab es aber noch in einer Linkskurve einen ersten traumhaften Blick auf das Atlasgebirge, das aber dann beim Tiefergehen schon bald wieder in den
Wolken verschwand.
Und dann kam auch schon das typische Aufklatschen der Räder, der Bremswiderstand und das Ausrollen in der Nähe des Arrival Eingangs mit Passkontrolle, aufs Gepäck warten und erstem Geldumtausch
im Land, obwohl ich bei meiner VOBA schon etwas getauscht hatte. Wieso war das eigentlich möglich, da doch lt. Reiseführer sowohl Ein-, als auch Ausfuhr von MAD (marokkanischer Dirham) verboten
sind? Außerdem wollte ich noch auf dem Flughafen zum ersten Mal in ein marokkanisches Klo pinkeln, da ich ja ohne größeren Aufwand ~ in Form einer weiten Hechtrolle o.ä. ~ an meinem Dicken nicht
gut vorbei gekommen wäre; hatte ich auf das eh ungemütliche Bordklo verzichtet. Und wer wusste schon, wie lange es noch bis zu meinem tatsächlichen und endlichen Zielort in der roten Stadt dauern
würde.
Zuvor hieß es jedoch, mich entweder von einem Taxi abschleppen und in die Stadt bringen zu lassen, ohne die Preise zu kennen ~ was ich ohne dieses Wissen möglichst vermeiden wollte ~ oder den
angeblich pinkfarbigen Shuttle Bus Nr. 19 zu finden, der da irgendwo vor dem Flughafen seine Anlaufstelle haben sollte. Nur wo? Ein Bushalteschild oder ähnliches gab es nicht und von einem pinkie
Bus war auch nichts zu sehen.
Als mir dann bei meiner Suche ein einzelnes weibliches Wesen mit ebenfalls suchendem Blick entgegen kam, fragte ich sie, ob wir etwa das Gleiche suchen. Was sie bestätigte. Und dann irrten wir
gemeinsam weiter über den großen Parkplatz und quatschten den einen oder anderen mit gleichermaßen dünnen Französisch Kenntnissen an. Bis dann ~ oh Freude ~ der Bus Nr. 19 aufs Gelände fuhr.
Allerdings war er nicht pink, sondern hatte irgend so einen muscheligen Ton, den ich mal als schmutzigen Sandton mit einem gewissen Pinkanteil bezeichnen möchte. Da war wohl jemand an der
Flughafen Info etwas farbenblind oder so.
Wie dem auch sei, es war unser Bus, der uns für 20 Dirham, keine 2 Euro zum Place de Foucauld brachte, an dem sich auch die große Koutoubi Moschee befindet, und der Marrakeschs großem, alten und
bekanntestem Platz Jemna el Fna vorgelagert ist und wo vor kurzem im Café Argana die Bombe hochging. Unser Blick fiel dann auch quer über den riesigen Platz direkt auf das, was die Bombe übrig
gelassen hatte.
Auf dem Platz trennten sich dann auch unsere Wege, meine Kurz-Begleiterin musste nach rechts, während ich quer über den ganzen Platz zum zerstörten Café zu laufen hatte, das mir ~ noch vor dem
Attentat ~ als gut sichtbares Merkmal zur Wegfindung zu meinem vorgebuchten Riad Iaazane benannt worden war.
Ein seltsames Gefühl beschlich mich, als ich näher und näher kam. Die Ruine des Café war großräumig abgesperrt und etliche Polizisten und Soldaten hatten dort ihre Posten. Und überall waren
Kränze, Blumen, Texttafeln mit und ohne die Namen der Toten. Zweimal am Tag ~ morgens und abends, wie ich schnell herausfand ~ trafen sich die Menschen hier zum Gebet, Unterschriftsaktionen und
zu mahnenden Worten, die ich zwar nicht verstehen, aber als solche einordnen konnte. Nach einigen Tagen wurde ein haushohes Gerüst aufgebaut, von dem ich annahm, dass es von außen verkleidet
werden würde, um dahinter mit den Wiederaufbauarbeiten zu beginnen. Was sich auch später bewahrheitete. Aber erst einmal wurden hier unterschiedlich große Transparente mit Texten aufgehängt, die
sich alle auf ihre Weise mit dem Geschehen auseinandersetzen, wie ich mir habe sagen lassen.
Es war schon berührend, mitzukriegen, wie die Einheimischen auf das Geschehen reagierten. In den Gesichtern war Betroffenheit und Unverständnis zu sehen und ihr Mitgefühl mit den Betroffenen.
Natürlich gab es auch diejenigen, die mit ihren Handys ihre Kumpels und Kumpelinen in entsprechender Positur vor der Ruine ablichteten. Aber die gibt es nun mal überall. Und wenn man so will,
gehöre auch ich irgendwie dazu, weil ich die Unglücksstätte ebenfalls fotografiert habe, wenn auch ohne mich in Position zu bringen. Nur zur Beruhigung der Gemüter, hier ist alles ruhig, auch
wenn niemand sagen kann, ob nicht irgndwo im Untergrund ~ oder wo immer ~ der nächste nicht bereits an (s)einer Bombe bastelt. Aber kann man das Gleiche nicht auch von Deutschland oder anderen
Ländern sagen? Eine Art Freudentaumel erfasste die Menschen hier, als es einige Tage nach meiner Ankunft hies, dass der Täter gefasst sei.
Einer der Polizisten half mir dann auch weiter, bevor ich mich, noch mit meinem kompletten Gepäck belastet, bereits zum ersten Mal in den Souks verirrte. Denn die Wegbeschreibung war ~ bis auf
die Angabe des Cafés und ein paar anderer Details ~ so dürftig, dass mir nicht klar war, ob ich links oder rechts am Café vorbei gehen sollte. Dabei hatte ich rechts bereits probiert und war
schon nach wenigen Metern von einer Unzahl der kleinen Stände und Geschäft fast so assimiliert worden, dass ich mich nicht weitertraute und umkehrte.
Dem Rat des Polizisten folgend, marschierte ich dann links vorbei und fand dann auch bald den nächsten Hinweis, einen Torbogen, dem noch ein weiterer folgen sollte. Nur wann? Zumal sich die
schmale gewundene Gasse mit Laden an Laden hin und wieder teilte, und ich auf gut Glück dem scheinbaren Hauptstrom folgte, bis dann endlich in dem ganzen Gewimmel aus Menschen, Mopeds,
Fahrrädern, kleinen, oft bis an die Grenze beladenen Eselkarren, Motorrollern und ~ es war kaum vorstellbar ~ auch dem einen oder anderen Auto, der zweite Torbogen auftauchte. Und alles fuhr,
lief munter in einer Weise durcheinander und gegeneinander, dass es mich immer wieder wunderte, warum es weder zu einem Unfall oder einem Kollaps des Ganzen kam. Wenn ich geglaubt hatte, in Asien
alles oder doch das Meiste über das Geheimnis des Funktionierens solcher urbanen Gegebenheiten erfahren zu haben, wusste ich bald nach meinem Eintauchen in dieses Gewimmel, dass ich hier Neues
dazulernen würde und müsste, um nicht unter die Hufe oder Räder zu kommen, die sich meistens ziemlich rücksichtslos durchsetzten. Noch hatte ich ja meinen Trolley als möglichen Puffer dabei.
Stattdessen würde ich bald rundum angeordnete Augen benötigen oder doch mindestens den Kopf einer Eule, den ich einmal komplett um mich herum drehen können müsste. Na ja, kommt Zeit, kommt Rat,
vielleicht auch Rad. Gelle?
Hinter dem zweiten Torbogen sollte es irgendwie nach rechts weitergehen, nur da gab es nichts außer einem Laden und einem kleinen schmalen dunklen Durchgang, in dem ein paar Karren und Fahrräder
abgestellt waren und in den niemand zu gehen schien. Hinzu kam, dass es aussah, als ob diese Gasse wieder zurück führen würde. Das alles war etwas, was mir nicht gerade einladend, richtig und
logisch erschien. Aber was und welche Wegführung sollte sich hier schon als logisch erweisen? Und bevor ich noch auf eine innere Stimme oder etwas in der Art hören konnte, quatschte mich ein Typ
auf französisch an und wechselte, als ich ihn nicht verstand, ins Englische. Und der schleppte mich nun ~ nachdem ich ihm meinen Zettel gezeigt hatte ~ genau in diese Gasse, um mich dort
wahrscheinlich auszurauben oder etwas in der Art.
Natürlich passierte nichts dergleichen, sondern er lieferte mich genau vor der Tür meines Riads ab und das, obwohl sich auch diese Gasse immer wieder verzweigte und zum Schluss in einer noch
dunkleren und engeren Sackgasse endete. Aber „ausrauben“wollte er mich anscheinend dennoch, weil er
einen astronomischen Botenlohn i.H.v. 100 Dirham (ca. 10 Euro) für die paar Meter forderte, die ich nicht gewillt war zu zahlen, zumal er mir vorher versichert hatte, dass das eine Art
Freundschaftsdienst sei. Murrend begnügte er sich dann zwangsweise mit einem Zehntel. Es erinnert mich daran, als ich in Asien am Bahnhof von einem Typen zu meinem Zug Abteil geleitet wurde und
er dann ebenfalls von mir einen bestimmten Betrag dafür forderte.
Immerhin war ich Dank Hilfe meines räuberischen Guides wohlbehalten an meinem Riad Iaazane im Derb Laghnaiz Nr 57 angekommen, was ja schon mal ein weiterer prächtiger Meilenstein war. Der nächste
war der herzliche Empfang, nachdem ich den Türklopfer betätigt hatte. Marokkanische Herzlichkeit ist (fast) umwerfend, wie ich immer wieder merken sollte und wirkt alles andere als gespielt.
Hakim und Lativa sorgten für die erste Dröhnung und unterstützten sie gleich auch noch mit einem frisch gekochten und gesüßtem Glas marokkanischem Minztee, ein Tee, um den ich eigentlich seit
meiner Kindheit immer einen Bogen gemacht hatte. Hier in Marrakesch lernte ich ihn wieder schätzen, zumal er völlig anders zubereitet wird, als unser Pfefferminztee. Bei einem gekonnten Teeritual
wird zuerst ein chinesischer Grüntee genommen, der durch mehrmaliges Umgießen und Weggießen geklärt und mit einem faustgroßen Zuckerklumpen von einem Zuckerhut veretzt wird. Dann wird frische
Minze zerrissen, in die Kanne gestopft und mit weiterem heißen Wasser übergossen. Dann wird einen Moment gewartet und dann wird die Kanne ca. 50, 60 cm hochgehoben und der Tee zielsicher ins Glas
geschüttet. Dadurch bildet sich eine Art Schaum, wie beim Pils, nur nicht so fest. Außerdem wird er zugleich ein wenig abgekühlt, so dass man den Tee sofort gut trinken kann. Dieses
Gebräu „Nana Caj“~ in dieser Form zubereitet, was natürlich nicht immer der Fall ist ~
schmeckte mir von Anfang an einfach sehr, sehr gut, und ich wunderte mich immer wieder, zu was ich dieses süße Gebräu trinken konnte. So passte es z.B. zu jedem Essen und auch zwischendurch. Und
nach unserer Ankunftsteatime ging Hakim mit mir diese vermaledeite Gasse ab und zeigte mir, auf was ich zu achten hatte, um auch alleine sowohl hin und zurück zu kommen.
Mein übers Internet bei Hostelworld gebuchter Riad entsprach zwar nicht den atemberaubenden Bildern der riesigen Luxus Riads, war dafür aber klein und überschaubar und recht nett. Für die 110
Dirham = 10 Euro pro Nacht, incl. Frühstück und freiem Internet, konnte ich nicht meckern. Mein 4-Bett-Zimmer ~ wie alle andern im Riad auch ~ gehörte somit auch eher in die etwas zu kleine
Raumkategorie, aber auch das war ja nichts Neues. Es ist, wie alle anderen Zimmer auch, nur über den Innenhof erreichbar.
Neu und etwas gewöhnungsbedürftig hingegen waren die Matratzen, eine anscheinend marokkanische Art, die ich auch immer wieder in den Läden sah. Mehr als zweimal so dick, wie unsere etwas dickeren
Matratzen, so um die 30, 35 cm. Sie füllten natürlich den Zwischenraum zum oberen Bett weitaus mehr aus und machten ein mit-meinem-Notebook-auf-dem-Bett-sitzen unmöglich. Leider wurde so eine
meiner Lieblingsbeschäftigungen auf diese Weise gestrichen. My bed couldn't be my castel in Marrakech, may be in whole Morocco. I will see.
Aber ich sollte an meinem ersten Tag und Abend noch einiges an Lehrgeld zahlen, bis ich das System in Marrakesch so halbwegs gerafft hatte. Aber selbst am vierten Tag gelang es immer mal wieder
einem der Jungs, mich auf die eine oder andere Art zu verblüffen und auszutricksen. Dabei hatten sie zuvor Stein und Bein geschworen, dass sie kein Geld wollten. Aber diesen treuen dunklen, kein
Wässerchen trübenden Augen, hatte ich kaum etwas entgegen zu setzen. Ob es die Schlangenbeschwörer oder die Musiker oder sonst wer waren, sie wollten erst nichts und dann teilweise umgerechnet
10, 20 oder mehr Euro für ein bisschen Herumalbern o.ä. Sie wurden sogar grantig, wenn der Betrag nicht ihren Vorstellungen entsprach. Daran, und sie entsprechend ~ und vor allem rechtzeitig ~
abblitzen zu lassen, musste ich mich erst gewöhnen.
Woran ich mich nicht gewöhnen musste, waren die erst mal noch angenehmen Temperaturen, weil die Sommerhitze ja noch nicht eingesetzt hatte. Am Tag vor meiner Ankunft und davor hatte es noch
geregnet. Vor allem morgens und in diesen kleinen Gassen war es angenehm kühl, noch zu kühl für die Einheimischen, die alle mit Jacke und anderen dicken Klamotten durch die Gegend liefen. Die
kleinen Kinder sind eingepackt, wie bei uns im Winter. Aber ca. ab 11 Uhr fängt es dann an wärmer zu werden, um nicht zu sagen heißer. Jeden Tag ein wenig mehr. Aber das war ja klar, dass es so
kommen würde. Inzwischen sind wir bei 33 Grad gelandet und hatten sogar ein Gewitter mit reichlich Regen und anschließendem Hagelschauer.
Nachdem ich mich dann in und um mein Bett entsprechend eingerichtet hatte (meine rund 2 Quadratmeter Privatsphäre), konnte der erste Erkundungsversuch meiner näheren Umgebung stattfinden. Und so
ging ich ~ nachdem ich Dank Hakims Hilfe den Weg durch meine kleine Gasse zurück zur eigentlichen Hauptgasse gefunden hatte ~ von dort aus nach rechts, statt nach links, wo ich bei meiner Ankunft
hergekommen war. Aber nur das nach rechts gehen klappte problemlos, während meine ansonsten bewährte Weise, mich in immer größeren Kreisen um mein Hostel herum zu bewegen, hier nicht
funktionierte. Denn die Souks sind nicht entsprechend angelegt. Ich schaffte es nicht, einen Bogen zu schlagen oder einen parallel verlaufenden Weg zu finden. Es ging kreuz und quer und an jeder
Biegung wechselte die Richtung. Und alles sah irgendwie identisch und kunterbunt aus. Aber mit der Info, dass ich nur die Besitzer der kleinen Shops nach dem „la grande
place“zu fragen brauchte, stapfte ich munter weiter, um irgendwann von einem munteren etwas älteren Herrn darauf aufmerksam gemacht
zu werden, dass ich mich im Gerberviertel befände und dass mich sein nicht Englisch sprechender Freund, der eh in die Richtung einer Gerberei müsse, dorthin begleiten würde, und das, ohne Geld zu
fordern. Na fein, ich glaubte ihm und konnte auf diese Weise ja immerhin mal mein Französisch üben. Und so wanderten und parlierten wir munter drauflos. Wobei ich feststellen musste, dass meine
Aufbesserungskurse in Französisch nicht das gebracht hatten, was ich mir erwünscht hatte. Seltsamerweise schoben sich immer die englischen Brocken dazwischen, so dass meine Sprachgewandtheit mehr
einem Stottern glich.
Aber dann lieferte er mich auch schon an einer der Ledergerbereien an einen dritten, einen jungen Man ab, der des Englischen mächtig war und mir ein ca. 10 minütiges Einführungsgesprach in die
landesübliche Gerberei mit Taubenschiet + Pisse + Rundgang angedeihen ließ. Im Großen und Ganzen nichts Neues. Aber bei diesen klassischen Jahrhunderte alten Methoden war es kein Wunder, dass es
dort auch genauso roch. Praktisch wie aufem Bahnhofsklo, wie es früher bei uns hieß und roch.
Irgendwie hatte ich mir mehr unter so einer Gerberei vorgestellt, mal abgesehen vom Geruch, aber da war nicht viel, wenn man mal von den jeder Menge Bottiche und einigen wenigen Arbeitern absah,
die die Haare vom Fell abkratzen oder in den Bottichen herumwateten und Häute in der Brühe umschichteten. Ich weiß zwar auch nicht genau, was ich erwartet hatte ~ mehr Farbe, mehr Leute in
Aktion, fertige Häute o.ä. ~ aber es sah eher aus, als wenn bereits Feierabend gewesen wäre. Und das wiederum war bei den hier geltenden Arbeitszeiten und der allgemeinen Geschäftigkeit in den
Gassen kaum denkbar.
Wie dem auch sei, so, wie früher für das stinkige Bahnhofsklo ein Eintritt fällig war, stellte sich zum Schluss heraus, dass es hier nicht anders war, auch wenn der Bahnhof fehlte. Der Typ
verlangte plötzlich 20 Euro, für seine one-man-show. Wohlgemerkt in Euro, nicht in Dirham. Warum hatte ich Dummchen auch dem ersten Typen einfach geglaubt und nicht vorher noch mal nachgehakt? Nu
hatte ich den Salat, denn dieser Spaß wäre mir niemals diesen Betrag wert gewesen. Aber hatte ich nicht gesagt, dass noch einiges an Lehrgeld fällig war, bis ich es gerafft hatte?
Ich drückte ihm dann sinnigerweise 100 Dirham (ca. 10 Euro) in die Hand, was er ziemlich schnodderig mit den hungrigen Mäulern seiner vielen Kinder als zu wenig begründete. Aber es reichte mir
langsam, immer wieder von solchen Forderungen überrascht / überrumpelt zu werden und wurde ebenfalls etwas pampig, was die Sache zwar nicht klärte, aber abrupt beendete. Außerdem hatte er ja
tatsächlich etwas getan, für dass er mit Sicherheit ganz gut abgestaubt hatte. Zumal wenn man weiß, dass z.B. ein einstündiger Kamelausritt am Rande des Menara Gartens für ca. 200 Dirham (= ca.
20 Euro) zu haben ist. Oder eine Rundfahrt mit einer der mit 2 Pferden bespannten Kaleschen durch die Medina ~ je nach Länge ~ max. 300 Dirham kostet. Und dabei hätte ich eine ganze Kutsche für
mich allein oder könnte noch ein paar Leute einladen.
Selbst beim Fotografieren musste man aufpassen, nicht einem, der in einen ockerfarbigen Kaftan gehüllten Typen aufzusitzen, die voller Ernst einen Euro für das Fotografieren verlangten, obwohl
sie mit dem Geschehen nichts zu tun hatten. Aber woher soll unsereins das beim ersten Mal wissen? Ich habe mein Foto vor seinen Augen gelöscht und ihm quasie 'ne lange Nase gezeigt. Blöd aus der
Wäsche gekuckt hat er. Aber wahrscheinlich haben sie auch oft genug Erfolg mit dieser Masche.
Es gab natürlich auch die andere Begegnungen, z.B. mit Boubkr (lautsprachlich Bubkar), einem Marrakeschi mit österreichischer Frau und österreichischem Ausweis, den er erst seit kurzem besaß und
stolz vorzeigte. Zuvor musste er, trotz Verheiratetseins, von Zeit zu Zeit ausreisen, um ein neues Visum bekommen zu können. Er verbringt im Moment 3 Monate hier bei seiner Familie und sprach
mich in recht gutem Deutsch an, als ich auf dem schattigen, wenn auch „gefährlichen“Place de Foucauld saß und meinen
Lonely Planet wälzte und meinte, dass ich bei dem Gesicht nur Deutscher sein könnte. Ich weiß immer noch nicht, ob ich das nun als Kompliment auffassen soll oder nicht. Denn das zweite
Erkennungszeichen für Deutsche, von dem er mir lachend bei unserer zweiten Begegnung erzählte, ist, dass ältere deutsche Männer immer Socken in ihren Sandalen tragen. Das aber war zumindest bei
mir nicht Fall, weil es mir einfach zu warm in meinen Tevas gewesen wäre.
Gefährlich ist es auf dem Platz deshalb, weil man, wenn man unter einem der großen Bäume sitzt, von ihnen mit blaubeerenähnlichen Früchten beworfen wird, die beim Aufprall platzen und
blaubeerenähnliche Flecken auf den Klamotten erzeugen. Auf meiner hellen Hose hatten sich flugs 2 verewigt und weitere auf meiner Tasche und meinem Hemd. Ob die wohl wieder rausgehen oder mich
als bleibendes Andenken weiter begleiten?
Tja, wie ich dann bei der ersten Wäsche herausfand, schaffte das marokkanische Waschmittel diese Flecken locker.
Nachdem ich meiner neuen Errungenschaft ~ oder war ich seine? ~ erzählt hatte, dass ich z.B. hier auf dem Platz bereits Couscous mit Buttermilch (lecker) probiert hatte und an anderer Stelle eine
Scheibe von einer riesigen Wurst, die mit Hackfleisch und Kräutern gefüllt war (ebenfalls lecker) oder ein marokkanisches Frühstück, meinte er, dass ich unbedingt auch den Nesskaffee probieren
müsse, der hier auf dem Platz ausgeschenkt würde. Und das mir als Verweigerer allen löslichen Kaffees. Trotzdem suchte ich später nach diesem speziellen Kaffee-Ausschenker, als Bubkar sich längst
verabschiedet hatte und traf dort erneut auf meinen neuen Freund bei einem Kunststoffbecher vom guten Löslichen.
Der Kaffee Typ hatte eine kleine Kaffeebar auf Rädern, die aus 6 großen Pumpkannen aus nicht mehr ganz so edlem und leicht angebeultem Hochglanzchrom bestand, fest in Halterungen montiert, so
dass nichts umkippen oder runterpurzeln konnte.
In zwei Kannen sei heiße Milch und in den anderen Nesskaffee in unterschiedlicher Stärke, erfuhr ich. Ich könne also wählen, ob ich einen starken oder dünnen Kaffee wolle, einen kleinen oder
großen, einen schwarzen oder mit wenig oder viel Milch. Ohne oder mit Zucker und wenn ja, mit wenig oder viel. Ich wollte ~ wenn schon denn schon ~ einen großen starken mit wenig Milch und einem
Stück Zucker, obwohl ich normalerweise keinen Zucker nehme.
Und dann gings los. Kaffee + Milch wurden aus den Kannen in einen der tassengroßen Plastik Becher gepumpt und dann mit besonderem Geschick so lange und kräftig gerührt, bis sich auf dem Kaffee
eine Schaumkrone bildete. Erst dann bekam ich ihn mit einem strahlenden Lächeln gereicht und durfte unter prüfenden Blicken den ersten skeptischen Schluck nehmen.
Was soll ich sagen, dieses Getränk erinnerte mich in keinster Weise an das, was ich unter löslichem Kaffee kannte, egal welchen Namens. Es kam geschmacklich sogar beinahe an jedem guten Kaffee
heran, den ich bisher getrunken habe. Ich war so platt, dass ich gleich noch einen nachbestellte, dieses Mal einen „nous-nous“, was auf arabisch halb Milch, halb Kaffee bedeutet. Und der schmeckte nun noch einmal anders, aber auch gut. Und das alles
für je 3 Dirham, ca. 30 Cent. Tja, seitdem bin ich dort fast jeden Tag aufgekreuzt, um zwischen den Marrakeschi auf der Bank zu sitzen und mit ihnen meinen Kaffee zu schlürfen. Der Preis erinnert
mich an meine Studentenzeit, als es bei Tchibo noch ein lecker Tässchen Kaffee für 20 oder 30 Pfennig gab.
Oder es gab Abdul, der mich immer wieder mit seinen Deutscheinlagen verblüffte und mir anbot, mir jeden Tag 5 Minuten Arabisch beizubringen und von mir 5 Minuten Deutsch zu lernen. Dabei ging es
ihm hauptsächlich darum zu erfahren, warum es kaum möglich sei „to catch a German woman“, wie er
sich ausdrückte. Ich hätte mich wegschmeißen können über den Ernst, mit dem er immer wieder auf dieses Thema zurückkam. Und da es immer nur darum zu gehen schien, kam leider nicht allzu viel
Arabisch dabei raus.