Berkane & Taforalt I


Etappe 10 ~ v. So. 26.06. bis Mi. 29.06.2011


Als ich überlegte, von Oujda (zur Erinnerung, Uschda) weiter nach Berkane, in die Stadt der Orangen zu fahren, hatte ich 2½ Dinge im Sinn ~ sonst hätte ich mir diesen eher tristen Ort sparen und gleich nach Melilla weiterfahren können. Aber erstens reizte es mich, dort die kleine Französische Kirche zu sehen, die seinerzeit das Lebenswerk eines Priesters mit einer ungewöhnlich toleranten Auffassung gewesen war. Er hatte seine Kirche mit selbst gemalten Bildern ausstaffiert, die sehr mystisch, alchemistisch, astrologisch und naturreligiös angehaucht sein sollten. Was mich natürlich interessierte, hatte ich doch immer etwas übrig für Menschen, die mit der Kirche nicht konform gingen. Vor allem, wenn es dann auch noch ein Priester war.
Nun denn, das mit den Bildern stimmte irgendwie, auch wenn sie mich aber dann doch, um es vorweg zu sagen, nicht soooo sehr ansprachen. Mehr Spaß hatte es gemacht, mich mit den Leutchen dort zu unterhalten, endlich mal wieder auf Englisch.
Auch diese Kirche ist heute keine mehr. Berkane zeigte bereits damals das auf, was die katholische Kirche heute auch bei uns erlebt, immer mehr Kirchen werden säkularisiert. Und so wurde diese zum Zentrum der marokkanischen Umweltorganisation Association Homme et Environment umfunktioniert, zu der auch der Besitzer eines 300 Jahre alten marokkanischen Bauerngehöfts gehört. Der Gite Tagma bei Taforalt, etwa 15 Kilometer von Berkane entfernt. Dort liegt dieses Teil, wie ich im LP lesen konnte ~ und was mich zweitens reizte ~ recht abgeschieden in den Bergen in der wunderschönen Landschaft des Beni-Snassen-Massivs, einem National Park. Wobei Gite nicht Bauernhof o.ä. bedeutet, wie ich erst dachte, sondern Herberge, Unterkunft.
Es gab aber noch etwas, was sich gut las und mich ½-tens reizte
. Nämlich die Beschreibung der Auberge de Taforalt, in der man entweder in Berberzelten wohnen und nächtigen kann, wenn man zu zweit bis viert unterwegs ist ~ was ich auf Grund meines Sahara Trips nicht mehr haben musste ~ oder in höhlenartigen Zimmern, was für mich als Nicht-Gruppe eher infrage gekommen wäre. Außerdem konnte man als Gast das Schwimmbad des Club Taforalt benutzen, was ja bei den herrschenden Temperaturen auch nicht uninteressant gewesen sein dürfte.
Kurz & gut, all das reizte mich so sehr, dass ich es ausprobieren
musste. Auch wenn ich noch nicht sicher war, für was ich mich entscheiden würde. Aber bei meiner Ankunft in Taforalt würde es sich zeigen, obwohl diese Ankunft mal wieder nicht leicht zu werden versprach. Denn angefangen beim Hinkommen und wieder Wegkommen, bis über die Verständigung und die Hitze ~ obwohl ich ja gehofft hatte, dass mich in den höheren Landesteilen etwas niedrigere Temperaturen erfrischen würden ~ war es mal wieder ein kleines Abenteuer, das es da zu bewältigen galt.
Auch die 130 Wanzenbisse ~ ohne die, die ich nicht zählen konnte, weil sie sich an nicht einsehbaren Stellen befanden ~ waren als Erfahrung nicht zu verachten. Sie sollten das ganze Unterfangen auf ihre eigentümliche Weise würzen. Ähnlich der vielen Flohbisse, die ich mir mal eingefangen habe, als meine Ex-Gabi sich schon eine Weile verabschiedet hatte, und ich noch eine Runde allein in unserer alten Schule mit Mieter plus Hund lebte, der mir diese Tierchen wohlwollend überlassen hatte.
Aber letzteres war Schnee von gestern und ersteres würde natürlich erst ein bisschen später auch zu meinem Erfahrungsschatz gehören. Viiiielleicht wäre ich ja gar nicht gefahren, wenn ich vorher von den Bed Bugs und anderen Beeinträchtigungen gewusst hätte.

Da mir der Versuch, mit einem Bus von Oujda nach Berkane zu fahren, auf Grund der Gegebenheiten nicht sonderlich gefiel, weil nichts genaues zu erfahren war, außer, dass der Bus entweder führe oder eben auch nicht ~ Missverständnisse nicht ausgeschlossen ~ nahm ich den Weg per Sammeltaxi unter die Räder. Zuvor musste ich jedoch erst einmal dorthin gelangen, wo diese 240er & andere aus der „Stern-Klasse“ ihre Basis hatten.
Wie meistens, hatte ich das einen Tag zuvor ausgekundschaftet und es war zu Fuß gar nicht mal soooo weit vom Concorde entfernt. Trotzdem gönnte ich mir ein petit taxi, um nicht völlig verschwitzt mit Sack & Pack dort anzukommen, wo mich der übliche, ganz normale Rummel erwartete. Pulks aus Mercedes Limousinen, Gruppen von Fahrern, und die Typen, die als Verteiler fungierten. Alles im Chaos wohlgeordnet.
Nun musste ich nur noch den herausfiltern, der die Fahrten nach Berkane verteilte, in der Hoffnung, mich auch verständlich machen zu können, denn mit Englisch war bei diesen Jungs nichts zu machen, wie bei mir mit Arabisch und auch nur minimal mit Französisch.
Aber wie immer klappte es vorzüglich, und da ich mich ja bei meinem rauschebärtigen Bratwurst-Spezi schon nach den Preisen erkundigt hatte, und dann sah, was hier von einer Hand in die andere wanderte, konnte ich sicher sein, keinen unnötigen Zuschlag zu zahlen. Der ist wohl nur in den Touri Hochburgen unvermeidbar. Hier, wie auch andernorts zahlte ich den Preis der Einheimischen.
Und dann ~ so schnell konnte ich kaum kucken ~ war das Taxi auch schon voll und los ging's. Man hatte mir einen Platz auf dem Vordersitz zugeteilt, neben einem schlanken Mann, so dass wir zwei es recht kommod hatten. Anders hätte es im Fond ausgesehen, den sich 4 etwas „stärkere“ Personen teilten. Und so hatte ich das Vergnügen, nicht nur im Panoramablick die vielen Kurven durch die wundervolle Berglandschaft zu genießen, ich bekam sie auch von meinem zwangsweise eng an mich geschmiegten Nachbarn kommentiert, woran sich auch immer wieder der Fahrer beteiligte. Und, es war kaum zu glauben, ich verstand ihr Französisch. Jedenfalls meistens. Eine kurzweiligere Fahrt in einem Sammeltaxi hatte ich nie.
Als die Fahrt dann in der Seitenstraße einer Seitenstraße zu Ende ging, musste ich nur noch in Erfahrung bringen, wo sich das einzige vom LP empfohlene Budget Hotel Mounia befand. Also folgte ich den Angaben eines Berkaners ~ vielleicht auch Berkanesen ~ der mich erst einmal zur Hauptstraße schickte. Ihr sollte ich nach links, à gauche, folgen, und dann würde es irgendwann rechts, à droite, am Bvd Mohammed V liegen.
Nur wo? War ich doch bereits zweimal ~ wie ich hinterher sehen konnte ~ weit übers Ziel hinaus gewandert und einmal sogar drumherum, bis ich endlich realisierte, dass das Hotel inkognito ein paar Meter von einer Kreuzung entfernt stand. Auf ein Namens- oder Hinweisschild hatte man verzichtet. Vielleicht, weil sie die Pfadfinder-Intelligenz möglicher Gäste testen wollten. Dennoch ungewöhnlich für eine Herberge, war ich der Meinung. Zu dieser, fürs Geo Catching geeigneten Aufgabe, gehörte auch der Eingang, der sich gut getarnt inmitten anderer, gleich aussehender und direkt nebeneinander liegender Eingänge befand, die es der Reihe nach alle erst mal bis ins erste Geschoss abzuklappern galt, bevor ich den richtigen erwischt hatte.
Und dann kam der Schock. Das Mounia war mindestens doppelt so einfach, wie im LP geschildert und ziiiiemlich schmuddelig. Treppenhaus, Flure, Zimmer, und auch die sanitären Räumen, die zudem nur über Hocktoiletten verfügten, boten einen gleichermaßen versifften Eindruck.
Die Zimmertür meiner eventuellen Bleibe hinterließ den Eindruck, als ob sie sich durch einen zum Dietrich geformten Zeigefinger öffnen ließe. Und die Fenster befanden sich noch in ihrem Ursprungszustand, nämlich als Loch in der Wand, das allerdings mittels Klappläden verschlossen werden konnte. Bei den warmen Nächten sicher ganz angenehm. Was mich aber am meisten schreckte, war die nur wenige Meter entfernte Moschee mit ihren Lautsprechern, die herüber drohten und mich schon mal auf den nächsten Morgen mit seinem viel zu frühen Zwangswachwerden einstimmen wollten.
Wie hieß es aber im Lonely Planet irgendwie einladend:
»Günstiges Hotel neben der Grande Mosquée. Man bekommt ein sauberes Zimmer mit heißer Dusche und einen Weckruf vom Muezzin am frühen Morgen.«Nach diesem Weckruf war mir nun wirklich nicht. Ob das mit dem heißen Wasser stimmte, habe ich gar nicht erst ausprobiert. Und die Sauberkeit stand ja eh nur auf dem geduldigen Papier des LP. Auch der Preis war dann doch nicht sooo günstig, wie sich herausstellte.
Bei aller Liebe, in diesem Hotel wollte ich nicht übernachten. Also würde es wohl eines der etwas vornehmeren Hotels werden müssen. Zum Beispiel das an der Kreuzung schräg gegenüberliegende Hotel Essalam, das dem gerade erlittenen Mounia-Schock heilsam entgegen trat. Und zwar mit einem frisch gemachten Zimmer mit eigenem Bad, großem Bett und zur abgewandten Seite der Moschee zum Innenhof ausgerichtet. Es bot somit ausreichenden Schutz vor ihren Lautsprechern und war, weil ich am Sonntag angereist war, und das Kirchlein nicht geöffnet hatte ~ Öffnungszeit nur Mo. bis Sa. ~ und ich somit länger als eine Nacht bleiben musste, mit 100 DH nicht teurer, als die Schmuddel-Bleibe. Ich hätte mir also locker noch einen Tag länger in Oujda und im Concorde gönnen können, hatte aber leider diesen einschränkenden Hinweis im LP übersehen. Na ja.

Was aber das Mounia anging, fragte ich mich wieder einmal, welche Trantüten unter den LP Autoren so ein Loch empfehlen, aber das nette Essalam übersehen konnten, zumal es nicht niegelnagelneu war und schon vor der Recherche, von allen gut sichtbar, mit seiner großen Leuchtreklame dort gestanden haben dürfte. Aber das ist
nurmeine Vermutung, sie muss nicht stimmen. Der Eingang ins Hotel Essalam war übrigens nur wenig leichter zu finden, als der des Mounia. Das scheint hier eine Besonderheit zu sein.
Ansonsten aber stimmten die Infos über Berkane, es war wenig bis gar nichts los oder interessant. Mal abgesehen davon, dass es hier wieder eine Storchen Kolonie vom feinsten gab, in der es nur so von Alt- & Jungstörchen wimmelte. Erneut hellauf begeistert, bot ich allen, die mich dabei beobachten konnten, in meiner Begeisterung sicher ein belustigendes Schauspiel. Denn sie zeigten mit Fingern auf mich und lachten sich schlapp. Wie kann bloß jemand beim Anblick dieser Vögel so aus dem Häuschen geraten? Ich versteh's ja selber nicht. Vielleicht, weil mich ein Verwandter von ihnen mal gebracht hat? :-)) Warum interessierten mich nicht auch die unzähligen Schwalben, die ganze Reihen- und Haufen-Nester in den Arkaden an die Decke geklebt hatten und flink durch die Gegend sausten? Diese Gebilde hatten irgendwie eine gewisse Ähnlichkeit mit den Kasbahs in Quarzazte usw. Nur dass die Schwalben Kasbahs hier über Kopf hingen.
Neben den Störchen, denen ich ja nun schon so oft begegnet war und von denen ich nicht genug bekommen konnte, begegnete mir hier auch wieder mein Lieblingsgesöff, von dem ich ebenfalls nie genug bekam. Dem frisch gepressten und gekühlten O-Saft. Und außerdem entdeckte ich wieder ein paar neue Leckereien, als da waren, die sehr schmackhafte Kichererbsen Suppe, ein Fladenbrot, in das mit einem Löffel ein pikantes Kartoffelpüree gefüllt und mit einer scharfen Soße ergänzt wurde und auf dem Grill gebratene Fischklopse. Ächt läcka!!! Das Mittelmeer war halt nicht mehr weit.
Und es gab noch mehr, nämlich Verständigungsschwierigkeiten ohne Ende, welche auch das Frühstück beeinflussten. Denn obwohl ich inzwischen sooo gut radebrechen konnte, wurde ich selten verstanden und genauso selten kapierte ich, was man mir immer sehr freundlich mitteilte.
Aber ließ ich mich dadurch unterkriegen? Mitnichten, denn selbst als ich mich des morgens für den beginnenden Tag stärken wollte, gab es überall allenfalls einen Kaffee oder Tee ~ die marokkanische Art zu frühstücken ~ mehr nicht. Ich konnte niemandem in den Cafés klar machen, dass ich zum Kaffee gerne etwas essen würde, ein Stückchen Fladenbrot mit Käse oder Wurst hätte mir ja gereicht. Stattdessen bedeutete man mir, dass sie nichts hätten, denn in diesem Land wird erst später am Morgen gegessen, wenn unsereins schon wieder ans Mittagessen denkt. Fast hätte ich mich überzeugen lassen und einen Kurz-Ramadan eingelegt, obwohl der in diesem Jahr ja erst irgendwann im August stattfinden würde. Aber in einem five star Hotel bekam ich dann doch noch etwas zwischen die Beißerchen, nachdem ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte. Nun denn, das Haus mochte ja die 5 Sterne verdient haben, das Frühstück eher nicht. Aber egal, ich war auch an meinem zweiten Morgen dort gern gesehener Gast.
Allerdings machte ich mich danach gleich auf den Weg zum nahegelegen Platz der Sammeltaxen, die von dort in alle möglichen Richtungen fuhren, natürlich auch nach Taforalt. Schräg gegenüber sollte sogar zweimal täglich auch ein Bus dorthin fahren, aber die Zeiten, die ich in Erfahrung bringen konnte, gefielen mir nicht, entweder gaaanz früh oder erst relativ spät. Außerdem würden sie bei Bedarf an jedem Baum halten, was die Fahrzeit sicher nicht verkürzen würde.
Und so kaufte ich mich wieder in ein Sammeltaxi ein und ähnlich schnell wie zuvor in Oujda, waren wir dann auch schon unterwegs und nach einer guten halben Stunde am Ziel. Wieder hatte ich das Glück, vorne sitzen zu können, auch wenn diese Fahrt relativ still verlief. Einen Ausgleich lieferte mir erneut die Landschaft, die an mir vorbeizog. Eine Landschaft mit sanften Hügeln, postkartenblauem Himmel, gelb blühenden Bäumen, Blumen in diversen Farben & Größen, bestellten Feldern, Eseln, Ziegen usw. Einer Komposition, an der ich mich kaum satt sehen konnte.
Als wir das kleine Dorf Taforalt dann erreicht hatten ~ was ja noch ganz einfach war ~ stand ich nun dort, wie bestellt und nicht abgeholt am Rande der Durchgangsstraße, die von der Auberge de Taforalt und weiteren Lokalen, sowie Verkaufsständen mit ihren Verkäufern und möglichen Kunden gesäumt wurde. Mit diesem Bild vor Augen, musste mir erst einmal klar werden, wo ich denn nun bleiben wollte. Und ohne mir die Höhlenzimmer und alles andere näher anzuschauen, wusste ich schnell, dass es nicht die Auberge sein würde. Wieso? Das wusste ich nicht. Es war wieder einfach nur dieser kleine Impuls, der in mir für eine Entscheidung sorgt, der ich dann folge. Oder auch nicht, wenn ich innerlich auf Krawall gebürstet bin, wobei ich dann das Nachsehen habe, weil alles irgendwie aus dem Ruder läuft.
Nur wie sollte ich von hier aus zur Gite Tagma kommen? Und wo befand die sich überhaupt? Denn niemand war da, der mich abholte, wie es in Bekane im Büro der Association Homme et Environment geheißen hatte.
Als Ersatz stand aber ein Wegweiser auffordernd am Rande eines kleinen Sträßchens, das jedes Auto zum Ächzen gebracht hätte und dann auch gebracht hat. Erst einmal galt es jedoch, überhaupt eine andere Möglichkeit als zu laufen zu finden, denn am „téléphone mobil“ kam ich mit dem Typen von der Gite nicht klar. Ich verstand nicht die Bohne, und er sicher auch kaum mehr. Doch konnten wir herzlich über unseren ersten Kommunikationsversuch lachen.
Es musste also jemand her, der mir aus diesem Patt heraus half. Schließlich war ich laut Hinweisschild „nur“ noch 3,5 Kilometer vom Ziel meiner Wünsche entfernt. Allerdings, vergnüglich dreitausendfünfhundert Meter bergab & bergauf durch die Gegend zu wandern, und das mit Gepäck, dazu hatte ich null Bock. Zumal besonders um die Mittagszeit Temperaturen herrschten, die nicht, wie vermutet oder gewünscht unter den bisherigen lagen, sondern gefühlt eher noch etwas höher, weil kein Lüftchen ging. Und so transpirierte ich erst einmal weiterhin und so bewegungslos wie möglich vor mich hin und versuchte die Lage zu peilen.

 

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