Etappe 4 ~ v. Fr. 17. bis Di. 21.08.2007
Nach einer Wegbring- und Winkaktion vorm Bahnhof, verließ mein Regionalzug pünktlich um 11:04 Uhr den Saalfelder Bahnhof Richtung Gera, Leipzig, Dresden, Görlitz. Diese Mal allerdings mit dreimal, statt zweimal Umsteigen. Und damit fuhr ich den gleichen Weg zurück, den ich bereits vor ein paar Tagen gekommen war. Eigentlich Schwachsinn, aber im Rahmen meiner letzten Juli-Chaos-Tage unter dem Stern des Rattenfängers aus Zeitgründen nicht anders planbar, da a) die Musterwohnung nicht frei war, und ich b) keine Muße dafür gefunden hatte. Jetzt, im Nachhinein fiel mir schon eine andere Lösung ein, zu spät, wie das halt manchmal so ist.
Aber wenigstens klappte es mit der Abfahrt und der Weiterfahrt besser, als neulich umgekehrt. Superpünktlich rauschten wir durch alle regulären und Behelfsbahnhöfe. Ich begann schon ein wenig stolz auf unsere so oft geschmähte BuBa zu sein.
Aaaber, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, fuhren wir doch wieder über Dresden, das ja bereits bei der Hin-, bzw. Abfahrt für Schwierigkeiten gesorgt hatte. Nur dass es jetzt die Ab-, bzw. Weiterfahrt nach Görlitz traf.
So'n Schiet aber auch, denn wieder dröhnte es aus den Lautsprechern, dass sich die Weiterfahrt um ca. 30 Minuten verspäten würde. Ich schien in einer Zeitschleife zu stecken, in der jeden Tag das Gleiche passiert. Aber es kam noch dicker, was gegen diese Theorie sprach. Denn nachdem sich die reichlichen Fahrgäste trotz Beinahe-Überfüllung häuslich eingerichtet hatten, hieß es, dass wir in einen anderen Zug umsteigen müssten.
Das Gerenne erschien loriothaft, weil jeder nun die Chance witterte, sich platzmäßig etwas verbessern zu können. Und wer hatte die Arschkarte? Ich, der mit seinem abgespeckten Doppelwopper so gut wie als letzter durch die Ziellinie kam.
Dabei hätte sich niemand sputen müssen, denn die Bahn hatte einen zusätzlichen Waggon spendiert, so dass sich die Meute besser verteilte. Allerdings ließ sich die Zeit nicht wieder einfahren, 32 Minuten sind für eine regionale Bahn einfach zu viel. Und so stand ich dann schließlich nach einer Straßenbahnfahrt endlich um kurz nach 18 Uhr 30 an der Rezeption der Görlitzer Jugendherberge ~ einem riesigen Jugendstil Gebäude mit ebensolchem Turm und interessanten Fenstern und Einbaumöbeln, erbaut von einem Martin Ephraim, der hier in der Gegend wohl einige seiner Taler verbaut hat, wie ich erfuhr ~ zahlte meinen Obolus und bekam Bettwäsche samt Schlüssel ausgehändigt. Aber auch hier hieß es zuerst: Cash.
Wie ich dann feststellen durfte, hatte man mir ein Einzelzimmer mit Waschbecken spendiert, obwohl ich seinerzeit ein Mehrbettzimmer gebucht hatte. Und das zum gleichen Preis, incl. Frühstück. Da kann man doch nicht meckern, auch wenn es hier die gleiche spartanische Ausstattung gab, wie in L oder DD. Nirgendwo ein Haken, und nirgendwo eine Ablage, aber immerhin einen Schrank und den Vorteil, dass ich mich, wie in meiner Saalfeld-Wohnung, auch in diesem Zimmer nach Belieben ausbreiten konnte.
Ansonsten war schon einiges anders. Z.B. die Öffnungszeiten. Um 21 Uhr war Schicht im Schacht, und alle Pforten waren verschlossen. Man tat also gut daran, Tor- und Türschlüssel nebst Zimmerschlüssel dabei zu haben.
Gefrühstückt werden konnte nur von 8 bis 9 und um diese Zeit musste auch ausgecheckt werden. Und es war morgens deutlich lauter, weil diese Juhe anders gestrickt zu sein schien, als die Hostels. Hier gab es niemanden, der den Wunsch hatte, die Nacht zum Tag zu machen. Daher brauchte auch niemand am nächsten Morgen seinen Rausch auszuschlafen oder sein Schlafdefizit aufzufüllen.
Und so verschaffte sich der Aufstehlärm daher morgens, und zu anderen Zeiten aus anderen Gründen rücksichtslos Gehör.
Außerdem schienen die Gäste hier mehr mit sich zu tun zu haben, sich auf sich zu beschränken, zumal sie häufig als Familie oder Gruppe auftraten. Jedenfalls erschien mir der Umgang zwischen den unbekannten Parteien deutlich reservierter, als ich es in beiden Hostels erlebt hatte. Flexibilität ist also auch in einer Juhe gefragt. Wenn auch eine andere.
Die Unannehmlichkeit der BuBa Verspätung hatte leider noch eine weitere aufzuweisen. Beim Auspacken in der Juhe stellte ich nämlich fest, dass sich mein Handy futsch war. Ich hatte es mitsamt seiner Tasche seitlich an meinem Hosengürtel so festgeklemmt, dass es möglichst beim Hantieren mit meinen beiden Rucksäcken nicht im Wege war. War es aber wohl doch, jedenfalls muss es sich aus der an und für sich sehr festen Verbindung mit meinem Gürtel heraus gelöst haben, obwohl genau das, wenn ich es ganz normal von Hand bewerkstelligen wollte, nur sehr schwer ging. Worauf ja auch meine Hoffnung baute, dass es unter den erschwerten Bedingungen mit Gepäck ebenfalls an seinem Platz bleiben würde. Aber es hatte sich verabschiedet und mich gleich mit dazu, nämlich vom Rest der Welt.
Ergo war ich jetzt im Moment mehr oder weniger von der Außenwelt abgeschnitten und es war fast wie früher, zu handylosen Zeiten. Also schaute ich bereits nach einem Ersatzgerät ~ für den Fall, dass das gute Stück nicht abgegeben werden sollte. Und zur Überbrückung hatte ich mir erneut die gute alte Telefonkarte besorgt. Blöd war halt nur, dass ich nun wieder nach geeigneten Zellen Ausschau halten musste.
Parallel dazu waren natürlich meine ersten Streifzüge durch Görlitz fällig ~ zu Fuß und mit dem sogenannten „Stadtschleicher“, einem Kleinbus ähnlichem Gefährt mit mehreren Anhängern plus Moderator ~ und festgestellt, dass sie mich noch mehr anmacht, als Leipzig, wo ich ja ähnliches mit dem „Gläsernen Leipziger“ gemacht hatte. Es ist eine (mich) bezaubernde Stadt, mit alten Jugendstil und Gründerzeit Häusern, die teilweise sehr schön renoviert sind und anderen, die noch darauf warten und vielleicht nie zu den privilegierten gehören, denen weiteres urbanes Leben geschenkt wird.
Hier müsste man mit Gleichgesinnten ein Objekt finden, um dort miteinander leben und arbeiten zu können. Neben meinem Reisetraum ein weiterer, den es noch zu verwirklichen gilt. Auch wenn er erst einmal Aufschub bekommen hat. Allerdings ~ wenn ich höre, wie Görlitz und andere Städte auf Grund der Grenzsituation langsam ausbluten, müssten sich erst einmal Menschen finden, die unter solchen Bedingungen leben möchten.
Aber nun noch etwas ganz anderes. Mir wurde nämlich im Moment des Schreibens bewusst (am Sa. 18.08.), dass sich bei oder in mir etwas verändert hat. Ich war inzwischen um einiges ruhiger, gelassener geworden (so, wie ich mich normalerweise vor meiner Abreise kannte) und ging mit allem, was geschah (s. Handy Verlust), oder auch nicht geschieht, anders um. Jedenfalls in den meisten Bereichen. Was mich aber immer noch vogelig machte, war die fehlende Möglichkeit, nach Belieben ins Internet zu gehen, sowie meine schissbüchsige Unsicherheit, Ort und vorhandene Technik betreffend, in dem Moment, wenn es dann möglich ist.
Ein großer Knackpunkt war beispielsweise das Homebanking. Ich musste dringend einige Überweisungen tätigen und traute mich bisher nicht, mich in einen Spielsalon mit Internet Angebot zu setzen, um dort mit meinen sensiblen Daten, wie Passwort usw. zu agieren. Die Horrorgeschichten der letzten Zeit über Keylogger, Fishing und Pishing wirbeln mir immer wieder durchs Hirn, obwohl sie ja vielleicht auf mich nie zutreffen werden. Aber so lange ich diese Scheu nicht überwinde, bzw. nicht mit meinem eigenen Notebook, dass entsprechend abgesichert ist, ins Internet kann, muss ich wohl den langweiligsten Überweisungsweg wählen, den es gibt, den postalischen.
Die Bank meines Vertrauens, die VOBA, ist zwar auch im Osten der Republik vertreten, aber sie ist ~ anders als ich es von anderen Geldhäusern kenne ~ in ihrem Zusammenschluss weniger fortschrittlich, wie ich erfahren musste. Ich konnte hier nicht einfach in die Geschäftsstelle latschen, mich an ein Terminal bewegen und loslegen. Mitnichten.
Das funktionierte nicht einmal, wenn ich an einen Schalter ging, um meine Überweisungen gemeinsam, wie früher meine Oma, mit einem Sach- oder Mitarbeiter zu machen. NEIN, ich musste mir ein neutrales Überweisungsformular geben lassen, es ausfüllen und per Post an meine VOBA zu Hause schicken, damit die dann für mich tätig wurde. Hirnrissig, nicht wahr?
Auch der Kauf von Dollar (mit Abwicklung über mein Konto), in kleiner Stückelung als Notgroschen für Unterwegs, war ebenfalls nicht möglich. Ich konnte sie zwar bekommen, musste sie aber bar bezahlen und für 100 $ außerdem 5 € Bearbeitungsgebühr berappen. Mannomann, leben wir tatsächlich im 21sten Jahrhundert?
Aber was soll's, wenn sich meine Füße bald nicht mehr auf nationalem Boden bewegen, wird dieses Thema ~ und nicht nur dieses, wie mir schwant ~ wahrscheinlich noch essentieller, bzw. noch weniger einfach zu bewerkstelligen sein. Dann werde ich wohl die Trommel benutzen oder mir ein Morsegerät zulegen müssen.
Hihi, was habe ich vor ein paar Zeilen am Sa. gesagt? Ich sei ruhiger, gelassener? Kommando zurück, denn heute ist Sonntag, an dem schon wieder alles ganz anders ist. Liegt es daran, dass, als ich mich zu neuen Erkundigungen aufmachte, überall noch der Hund begraben lag, weil halt Sonntag ist und hier vor dem Aufstehen niemand unterwegs ist?
Dabei war es fast 10 Uhr als ich los zog. Aber die Straßen, wie auch die Straßenbahnen gehörten mir fast allein. Ich kam mir vor wie in Ghostville. Wo sind all die Menschen, wo ist das Leben in dieser Stadt geblieben?
Ich hatte mir ein Tagesticket gegönnt, weil ich planlos die einzelnen Linien bis zu ihren jeweiligen Endstationen abklappern wollte. Aber inzwischen hatte mich der Blues voll erwischt, und ich dümpelte von einer Weiche zu anderen, ohne mich noch zu irgendetwas aufraffen zu können. Auch das schöne Sonnenwetter half mir nicht wieder aufs Fahrrad. Im Gegenteil, es heizte die Transpiration an und verstärkte mein Unwohlsein auf diese Weise noch. Und die passenden Gedanken dazu stellten sich flugs ein: Was willste eigentlich hier und überhaupt ist doch alles nur ein Hirngespinst ... aber dafür haste jetzt keine Wohnung und kein Auto mehr, und das sind Tatsachen und kein Hirngespinst. Und was meine, auf höchster produktiver Stufe laufenden grauen Zellen sich sonst noch so ausdachten.
Kurz um, ich drehte am Rad, dass sich erst beim Einschlafen bis zum Stillstand verlangsamte. Zwischendurch am Tag konnte ich es wenigstens immer mal wieder durch ein Eis bei der vorzüglichen „La Gondola“ ein wenig abbremsen. Eis ist ein hervorragendes Ablenkmittel, das zusammen mit meinen Gedanken dahin schmolz.
Mannomann, wenn ich schon mal denke, ich hätte es geschafft, dann kommt doch glatt so was. Aber Gott sei Dank war es dann auch erst mal wieder vorbei, und schon der Montag sah wieder völlig anders aus. Er begann schon beim Herbergsfrühstück mit frisch aufgebrühtem Kaffee bei einem Gespräch mit einem Paar, zu dem ich mich an den Tisch gesetzt hatte.
Endlich auch hier in der JUHE mal eine Möglichkeit zur Annäherung. Diese Gruppen- und Klickenwirtschaft mochte ja für die Betreffenden recht nett sein, aber als Nicht-dazu-Gehörender war das nicht das Gelbe. Aber solche Gespräche, die mag ich, bei denen aus dem Stand Kommunikation jenseits des Smalltalks zwischen Menschen möglich ist, die sich vor wenigen Minuten noch nicht kannten.