Etappe 2 ~ v. Di. 07.08. bis Mo. 13.08.2007
Ein letztes Mal frühstücken im Central Globetrotter, die letzten Klamotten eingepackt, Verabschiedung von Claudine & Ian Walker, den beiden Sidneysidern, meinen Doppelwopper geschultert und ab ging die Post. Dieses Mal ohne Verzögerung oder gar Verschiebung auf den nächsten Tag. Obwohl ich in Erinnerung daran quasi auf den letzten Drücker vorm Fahrkartenschalter für die Sofort-Fahrkarten stand, mit drei Leuten vor mir, von denen die erste Person alles etwas langatmig erklärte, bestätigte und sonst was haben wollte. Der Zeiger der Bahnhofsuhr schien sie nicht im Geringsten zu interessieren. Die Guteste lag wohl gut in der Zeit. Also traue ich mich zu fragen ~ wieder mit dicken Schweißperlen auf der Stirn ~ ob einer der beiden vor mir mich freundlicherweise vorlassen könne. Und siehe da, die zierliche Frau vor mir erlaubte es. Ich hätte sie knuddeln können. Der Knabe vor ihr wollte den gleichen Zug bekommen, wie ich, und so brauchte ich ihn auch nicht knuddeln zu wollen.
Aber es langte auch so, ein paar Minuten vorm Abpfiff, befand ich mich im Abteil. Na endlich! Wo ich mein Übergewicht, dass Gott sei Dank bei der Bahn nicht extra berechnet wird, an einen etwas geschützten Platz stapelte ~ um zu vermeiden, dass noch jemand über meine Klamotten stolpert ~ den Schweiß so gut es ging abwischte, Platz nahm, tief durch atmete, mein Buch raus fischte und endlich relaxt dahocken konnte, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, jetzt, in diesem Moment zu meinem zweiten Etappenziel unterwegs zu sein. Leipzig Dresden in 1 Stunde und 41 Minuten. Genauer gesagt bis Bahnhof Neustadt, da der sich näher an meinem Hostel befinden sollte.
Laut Beschreibung, die ich mir ausgedruckt hatte, wären die ca. 1,5 Km bis zu Lollis Homestead auch zu Fuß in ca. 20 Minuten zu schaffen. Aber bei dem, was ich (auf mich) geladen hatte? Ich dampfte ja schon nach den ersten Metern bis zur Haltestelle bereits aus allen Poren, wie eine Dampflok aus dem Schornstein. Und so überlegte ich auch nicht länger und entschied mich, die Tram zu nehmen, auch wenn ich ~ weil ich noch einmal umsteigen musste ~ ebenfalls 20 Minuten für den Weg plus weitere 5 Minuten für die 100 Meter zu Fuß brauchen würde. Naja, mein persönliches, körperliches Ankommen entschied sich dann trotzdem kaum von dem in Leipzig, aber mein mentales. War die Straße doch eine einzige Baustelle, die sich Bagger, Straßenbahn, Fußgänger, Radfahrer, Hunde, Kinder, Katzen und Autos entsprechend geräuschvoll mehr schlecht als recht zu teilen versuchten.
Gewinner war auf jeden Fall der Lärm, den alles zusammen erzeugte. Und das, wie ich bald merken sollte, den lieben langen Tag, von morgens früh um ca. 6 Uhr, bis abends spät, weil sich dann vor den gegenüberliegenden Eckkneipen, ein Kubaner und ein Spanier, die Baustellen-Logenplätze füllten. Ich hatte nämlich die Los-Nr. 35 im Zimmerverteilungsroulette gezogen. Was nichts Geringeres bedeutete, als dass dieses Mal mein 6-Bett-Stübchen ~ jawohl, ich hatte eine Steigerung gewagt, wollte eigentlich sogar die 8-Bett Variante ausprobieren, die aber nicht durchgängig zur Verfügung stand ~ sich im dritten Stock eines Altbaus befand und als Eckzimmer auch noch genau zur Baustelle und diversen Lokalen ausgerichtet war. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Dank meines bisherigen Trainings kam ich ohne zu kotzen die Altbautreppen hoch und Ohropax sei Dank, habe ich mich dennoch bestens in Morpheus Armen aufgehoben gefühlt und mir, wie vor Beginn einer Fantasie- oder Trance-Reise fleißig erzählt, dass jedes Geräusch mich nur noch tiiiiefer und tiiiiefer in den Schlaf bringt. Hat sogar bei offenem Fenster prima geklappt.
Lollis Homestead war also schon eine Nummer schärfer ~ wenn ich das mal so sagen darf, und zwar in verschiedenster Hinsicht. Auch hier galt der Hostel Wahlspruch „No pay, no stay“, auch wenn er mich nicht direkt ansprang. Allerdings war hier Cash angesagt, die normale Bankkarte mochte man nicht, aus welchem Grund auch immer. Aber dafür gab es dann den Schlüssel, das hier kostenlose Bettzeug, auf Grund der Anzahl der Tage, die ich hier zu bleiben gedachte und ein pfiffiges Schild mit dem roten DDR Ampelmännchen plus zweisprachigem Text: „This bed is occupied! Dieses Bett ist belegt!“ damit es ja auch niemand wagen würde, sich unrechtmäßig an meinem Bett zu vergreifen. Ganz schön praktisch. Da, wie ich eines Nachts bemerkte, ein solcher Übergriff durchaus hätte passieren können. Ich wurde wach, weil jemand ~ nicht sonderlich leise ~ den Raum betrat und sich am Bett über mir in einer Form zu schaffen machte, die darauf hindeutete, dass diese Person in dieses Bett klettern wollte. Jedoch ohne es zu schaffen.
Also klappte sie ~ es war eine Sie, wie wir dann beim Schein einer der Leuchten am Bett feststellten ~ vor meinem Lager wie ein Taschenmesser zusammen und schlief in dieser eleganten Position in Sekundenschnelle ein. Die Beine weit gegrätscht, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, Kopf auf die Brust abgesenkt und die Arme seitlich mit den Händen auf dem Boden abgestützt. Eine an und für sich stabile Position, bei der man kaum umkippen kann. Voll auf irgendeiner Droge, aber nicht alkoholisiert. Wir schafften es dann zu zweit ~ obwohl sie uns völlig entsetzt anschaute ~ sie in ein freies ebenerdiges Bett zu verfrachten, in dem sie dann bis in den anderen Morgen wie ein Stein lag. Nach dem Frühstück verschwand sie sang & klanglos.
Was beim Betreten des Zimmers sofort ins Auge fiel, war ein gewisser künstlerischer Touch, der auch im Rezeptionsbereich zur Geltung kam. Meins war als eine Art „Religions-Verbindungsraum“ gestaltet. Jedenfalls waren die Glaubensrichtungen Islam, Hinduismus, Katholizismus, Russisch Orthodox und etwas afrikanisches, vodoo-mäßiges happeningartig zusammen gewürfelt worden. Wie ich später herausfinden sollte, waren alle Zimmer jeweils von einem anderen Künstler sehr fantasiereich gestaltet worden. Und unten am Empfang gab es eine Mappe, in der alles fotografisch und mit Namen und sonstigen Angaben dokumentiert wurde. Schön gemacht, von den Machern dieser Räume.
Auch hier handelte ich nach dem gleichen Schema, wie schon in L, Klamotten inne Ecke, Bett und mich frisch bezogen und die Füße unter die Arme geklemmt, um das nähere Umfeld zu erlaufen. Vorher habe ich jedoch einen Blick vom Balkon aus auf die Baustelle geworfen, um schon mal ein Gefühl für den eventuell zu erwartenden Lärm zu bekommen. Ein kleiner Eckbalkon mit abgeplatztem Putz, der als Muster die Tristesse eines alten Gemäuers zeigte, mit einer einzigen Blumentopf-Balkon-Pflanze, die mit ihrem leuchtenden Grün dagegen hielt. Über die Baustelle hinweg war erkennbar, was mich auf meinem ersten Erkundungsgang erwarten würde: Ein hübsches, altes Stadtviertel mit kleinen Läden, mit normalen und verrückten Dingen, kleinen Lokalen und Cafés von überall her ~ Marokko, Indien, Thailand, Russland, so richtig urban und irgendwie studentenmäßig. Und wie ich später hörte, leben sie hier auch, diejenigen, die hier studieren.
Ich schaffte es an diesem Nachmittag sogar, bis fast in die Zone der Touristen-Heiligtümer vorzudringen, jedenfalls konnte ich sie ~ nur noch durch die Elbe getrennt ~ vor mir in der leicht getrübten Sonne liegen sehen. Am meisten beeindruckte mich aber eine Riesen-Moschee (Yenidze), die da ziemlich weit entfernt, schräg rechts im Anschluss an die Semperoper usw. ihre Kuppel und Minaretts in den Himmel piekste. Obwohl ich mit allen Glaubensrichtungen nix am Hut habe, interessierte mich das Teil und fuhr noch an meinem letzten Spätnachmittag mit der Tram dorthin. Genauso, wie ich mir dann anschließend auch noch die Frauenkirche und ihr Umfeld angeschaut habe. Irgendwie schaffte ich es dann doch nicht, mich nur kulturbanausig durch DD zu bewegen, auch wenn ich mit der ganzen barocken Überfrachtung wenig anfangen konnte und schnell wieder draußen war. Immerhin ließ mich der wunderschöne große Raum mit seiner Kuppel ~ in deren Mitte ich stand ~ aufatmen, mein Herz, alles wurde weit. Aber diese Überladung ringsum (so schön sie auch bewertet wird und ganz sicher ist), ließ mich die Flucht durch den rechten Seitenausgang ergreifen. Ich musste einfach raus.
Aber dieses Moschee Teil, das gefiel mir. Zumal es aus der Nähe betrachtet nicht unbedingt eine sein musste, sondern eher so etwas wie ein Zentrum für alles Mögliche sein konnte. Mit Restaurant (gehobene deutsche und internationale Küche, nix muselmanisches) einer riesigen transluzenten Kuppel (die sich sagenhaft schön in der untergehenden Sonne zeigte), in der Märchenstunden à la 1001 Nacht stattfinden. Nach Frömmelei, Koransprüchen oder Fundamentalismus o.ä., sah das alles nicht aus. Hier mal dabei zu sein, könnte mir gefallen. Aber Näheres herauszufinden, war im Moment nicht möglich.
Später erfuhr ich dann, dass dieses Gebäude mal eine Fabrik, eine Zigarettenfabrik gewesen ist und 1909 errichtet wurde. Wobei das Gebäude schon damals so ausgesehen hat, da im Stadtbild Dresdens keine als Fabrik erkennbaren Gebäude gebaut werden durften. Natürlich erregte der Bau auch damals (wie heute), die gleichen Gemüter, die alles beim Alten belassen wollen. Wie schön, dass sie sich seinerzeit nicht durchsetzen konnten.
Auch Dresden wurde gewissermaßen von meinen unerledigten Dingen überschattet. Somit werde ich gelegentlich wohl noch einmal herkommen müssen. Obwohl ich, als ich dann im Zug saß und diese Stadt wieder verließ ~ ich weiß nicht recht, wie ich das hier ausdrücken soll / kann / darf ~ Stück für Stück, quasi mit jeder Eisenbahnschwelle registrierte, wie sich etwas in mir leichter zu fühlen begann.
Vielleicht nur ein Gespür für die Energien eines / dieses Ortes?