Mit Bahn, Bus & Schiff nach Australien usw!

 

Mentawai Islands ~ Siberut

 

 

Etappe 47 ~ von Mi. 30.07. bis Mi. 06.08.2008

 

Ich war noch nicht ganz vom Schiff, da wurde ich bereits von einem Indonesier angesprochen, der ebenfalls Su hieß, wie zuvor der Käpten des Awera Expressbootes. Er kam von Rika, und da ich als einzige Ausländer von Bord ging, konnte ich es natürlich nur sein, den er ansprechen musste. Und da von einem Franziskus nichts zusehen war, kletterte ich auf sein Moped und ließ mich über eine fürchterlich holperige Straße zu dem kleinen Hotel WISMA Ilman bringen, das in dem einige Kilometer entfernten Ort Muara lag. WISMA ist die Bezeichnung für eine einfache und billige Unterbringungsmöglichkeit in Indonesien, obwohl ich auch Etablissements mit dieser Bezeichnung gefunden habe, in denen der „Standard Room“bereits 200.000 Rupia kostete. Der Übernachtungspreis betrug hier jedoch nur 75.0000 Rupia (etwas mehr als 5). Dafür gab es ein relativ kleines Zimmer mit Doppelbett + Moskitonetz, Strom aus dem Generator nur morgens ca. von 6 bis 8 und abends von 18 bis ca. 22:30 Uhr. Zu meinem Zimmer gehörte ein winziger Raum, die sogen. „kamar mandi“,mit der landestypischen Hocktoilette und einem Wasserbecken mit Schöpfkelle, die als Spülung für die Toilette dient, und mit der man sich begießt, was sich dann „take a shower“nennt. Das benutzte Toilettenpapier sollte übrigens nicht über die Toilette entsorgt werden, da das leicht zu Verstopfungen und zu Haftungsproblemen mit dem Besitzer führen kann, sondern in den Papierkorb. Eine Maßnahme, die mir nie gefallen hat. Aber „fachgerecht“benutzt wird in diesen Ländern eh kein Papier, sondern die linke Hand. Daher gilt sie ja auch als unrein und kommt beim Essen mit den Fingern nicht zum Einsatz. Aber das dürfte inzwischen bereits zum Allgemeinwissen gehören. Und da ich mich bisher vor dem Essen mit den Fingern gedrückt habe ~ obwohl es sicher ein sinnliches Vergnügen sein dürfte ~ habe ich wahrscheinlich so manchen echten Muselmanen geschockt, wenn ich mein Stück Hähnchen, welches so gut wie immer mit den Knochen serviert wird, gekonnt mit der linken Hand zum Mund führte. Nun denn, vielleicht hat es sich ja auch rumgesprochen, dass wir da unserer eigene Technik haben und bevorzugen und uns trotz Papier, ebenfalls die Pfoten waschen.

Dass Franziskus nicht an der Fähre war, lag daran, dass er sich auf einer Tour im Dschungel befand und somit auch per Handy nicht erreichbar war. Aber ich hatte inzwischen anhand Torstens Beschreibungen seinen Bruder Ismael im Nachbardorf Puro II gefunden. Und so kam unsere Begegnung dann erst am Abend nach seiner Rückkehr zustande. Als ich ihn traf, war schnell klar, dass ~ wenn überhaupt ~ er mein Guide sein würde, und nicht Su, der mir mit seiner aufdringlichen Art, sowie seinen preislichen Machenschaften und Vorstellungen ziemlich auf den Keks ging. So verlangte er für eine 2 Tagestour mehr, als Torsten für seine 7 Tagestour bezahlt hatte. Auch das Abholen und die Mopedfahrt zum Hotel war bei ihm um 20.000 Rupia teurer, als es normalerweise kostete. Selbst das Fährticket, dass er unbedingt für mich besorgen wollte, sollte 10.000 Rupia mehr als üblich kosten. Nun denn, bis auf das erste sind das sicher keine großen Beträge, aber was soll ich von so einem Mann halten, bzw. mit ihm anfangen? Vor allem auch, wenn ich mich mit ihm auf Gedeih und Verderb in eine neue Erfahrung stürzen will. Er bekam also einen Korb, was ihm gar nicht schmeckte, und ich war an und für sich wild entschlossen, die Insel mit der nächsten Fähre wieder zu verlassen. Aber da hatte ich Franziskus noch nicht getroffen, denn der schaffte es durch seine Erzählungen, dass sich meine Zweifel an diesem Vorhaben in prickelnde Neugier verwandelten. Kein Wunder, als Sohn der Insel erzählte er sozusagen mit Herzblut, während Su als Zugereister, nur ein Guide mit mehr oder weniger angelerntem Wissen war. Franziskus und Ismael dahingegen, lebten mit ihren Familien sowohl in dem kleinen Ort Puro II, als auch im Busch. Und er und sein Bruder liefen tatsächlich Barfuss durch den Wald, als wäre es nichts. Jedenfalls wollte ich nun plötzlich nicht mehr nur 2 Tage mit einer Übernachtung in den Dschungel, sondern 5 Tage mit 4 Übernachtungen. Wenn schon denn schon. Und dafür war ich dann sogar bereit 2.500.000 Millionen Rupia (ca. 180 €) hinzublättern, womit dieser Trip zu meinem bisher kostspieligsten Unternehmen meiner Reise wurde. In diesem Betrag war dann aber auch alles enthalten, die Miete für das kleine Boot für die Hin- und Rückfahrt (ein motorisierter Einbaum, das hier Pom-Pom genannt wurde), mitsamt Skipper, incl. Sprit, dem Reis für alle Mahlzeiten (Grünzeug und ein bisschen Fleisch bekamen wir von seinen
„local people“), Zigaretten jede Menge, Süßigkeiten, Kaffee, Tee und Zucker kiloweise ~ denn in jede Tasse Tee oder Kaffee gehörten zwei große gehäufte Esslöffel Zucker ~ Franziskus, Ismael und eine weitere Hilfsperson in einigen Bedarfsfällen, und was es sonst noch so war. Jedenfalls hatte unser Pom-Pom ganz schönen Tiefgang, so dass die Oberkannte des Bootes nur ca. eine Handbreit über dem Wasser lag, dass natürlich bei jedem etwas heftigeren Schaukeln ins Boot schwappte. Aber umgekippt sind wir nicht, was eine häufig geäußerte Warnung vor so einem Boot war. Aber die größeren Expressboote waren ohne alles schon halb so teuer, wie der ganze Ausflug. Außerdem hätten wir mit so einem Boot bei dem Niedrigwasser kaum so weit flussauf fahren können, wie wir gefahren sind. Sie kamen also so oder so nicht infrage. Denn selbst mit dem Pom-Pom hatten wir ja immer mal wieder Grundberührung oder fuhren gar fest. Was auch kein Wunder war, da der Fluss so ursprünglich war, wie es in entsprechenden Filmen immer zu sehen ist, mit Sandbänken, Untiefen und jeder Menge Ästen, ganzen Stämmen und Bäumen, die ihn mehr oder weniger blockierten. Kurzum es gab all die Dinge im Fluss, die das Vorwärtskommen nicht gerade erleichterten. Auf der Rückfahrt entdeckte ich sogar in so einer Holzansammlung einen kompletten Tierkadaver, der vom Format her ein Schwein gewesen sein dürfte, auch wenn es nicht genau erkennbar war. Gut erkennbar hingegen waren jedoch die hin und wieder auftauchenden einzelnen Hütten oder kleinen Dörfer, aber alles sah schon so aus, als wenn wir uns bereits jenseits jeglicher Zivilisation befänden. So sah ich mich plötzlich nach einer Flussbiegung einer alten Frau gegenüber, die nur mit einem Sarong und ihren Tätowierungen bekleidet am Ufer stand und mich anscheinend genauso interessiert beäugte, wie ich sie. Leider traute ich mich in dem Moment nicht, meine kleine Ixus zu zücken, es erschien mir ungehörig, diese Frau einfach so abzulichten. Eine Weile später erreichten wir dann auch schon unser erstes Ziel, ein kleines Dorf, wo wir dann mit Sack und Pack in die relativ kleine Hütte der ersten Familie einzogen.

Mittlerweile dunkelte es schon und so langsam begannen die Vorbereitungen für unser erstes Dinner in einem Dschungeldorf, wobei überall zum Schälen der Gurken, Schneiden der Tomaten und sonstiger Zutaten, die zerkleinert werden mussten, grundsätzlich und sehr geschickt, die große Machete benutzt wurde, die Männer wie Frauen und Jugendliche genauso grundsätzlich bei jedem Gang in und durch den Dschungel mit sich führten. Ich habe die ganze Zeit nie ein kleineres Messer gesehen. Und wie ich später sehen konnte, schnitten sie sich sogar die Fingernägel mit den rasiermesserscharfen Geräten, die übrigens ~ wenn sie in der Hütte waren ~ immer wieder völlig sorglos in Kindergreifhöhe deponiert wurden. Vor dem Essen wurden jedoch noch die Mitbringsel, wie Zigaretten, Kaffee, Tee und Zucker, sowie Bonbons verteilt. Kinder und Erwachsene bekamen täglich jeweils eins, das so hingebungsvoll gelutscht wurde, wie ich es noch aus meinen Kindheitstagen in Erinnerung hatte, als Süßigkeiten noch nicht zum täglichen Nahrungsangebot gehörten. Jedes Kind hatte da ~ genau wie wir damals ~ seine eigene Technik. Eins nahm es immer wieder aus dem Mund und legte es zur Seite, um es dann später weiter zu lutschen. Der Genuss ließ sich auf diese Weise vortrefflich verlängern. Ein anderes nahm es zwischen die Finger und lutschte genüsslich nur an der Längskannte, was einen ähnlichen Effekt gehabt haben dürfte. Und ein drittes zeigte mir immer wieder sein Bonbon, wie es auf der Zunge kleiner und kleiner wurde, bis nichts mehr übrig war. Es war wohl etwas Besonderes, dass sie nicht alle Tage bekamen. Wie auch auch meine Luftballons, die ich an und für sich für Kinder in Myanmar gekauft hatte und nun hier jeden Morgen an die Kinder und Jugendlichen verteilte, denn auch Letztere waren scharf darauf und bis auf die ganz kleinen wussten sie in allen Varianten damit umzugehen. Selbst dass sie mit dem geplatzten Luftballon noch eine Weile Spaß haben konnten, in dem sie kleine Bläschen zogen, war bekannt. Es war trotz allem faszinierend zu beobachten, wie begeistert sie ~ die ansonsten kein Spielzeug in unserem Sinne besaßen, auch keine Puppe ~ mit den Ballons spielten. Und vor allem, wie lange sie dafür sorgten, dass sie ganz blieben. Manchmal gab es abends mindestens noch einen heilen, den sie über den Tag gerettet hatten. Das galt allerdings nur für die Mädchen, die der Jungens waren ruckzuck hinüber.

Luftballons und Bonbons waren neben den Zigaretten und dem Zucker der Hit. Wobei die Erwachsenen mit ihren Bonbons da rigoroser vorgingen, sie lutschten die Dinger an einem Stück weg, aber auch ohne sie zu zerbeißen. Zugleich wandten sie sich aber auch den mitgebrachten Zigaretten zu, die sie abwechselnd nonstop zu den eigenen selbst gedrehten rauchten. Das waren relativ kurze Tüten ~ den Haschtüten nicht unähnlich ~ deren Papier sie aus Bananenblättern herstellten. Zigarettenblättchen gab es nicht. Nur ein Mann drehte sich seine Glimmstängel im eleganten länglichen Dschungel Kingsize Format. Er fiel mir damit in der Rauchergemeinde jedes Mal erneut auf. Genau wie mir hier noch einmal verstärkt deutlich wurde, auch wenn ich es vorher schon wusste, dass von 10 männlichen Indonesiern mindestens 15 Raucher sind. Will heißen, dass sie fast alle arge Kettenraucher sind, die für ein paar weitere Raucher gut gewesen wären. Zu diesen Kettenrauchern zählten auch schon 12-Jährige. Und diese Kette riss selbst bei den Mahlzeiten nicht ab. Ein Bissen, ein Zug aus der Zigarette, immer schön abwechselnd. Der jüngsten Raucher war ca. 6 Jahre alt. Er saß neben seinem Vater, übernahm lässig dessen halbaufgerauchte Zigarette und paffte sie weiter. Auf Lunge, versteht sich. Ohne zu Husten, hielt er den Glimmstengel wie selbstverständlich zwischen den Fingern, was deutlich machte, dass es nicht der erste war. Aber ich habe ja in den
„normalen“Ortschaften und Städten auch ca. 8-Jährige gesehen, die wie die älteren Moped fuhren, oft sogar zu dritt mit anderen Kumpels auf einem Gefährt. Und mir sind junge Paare begegnet, die selber fast noch Kinder waren und schon wieder mindestens ein Kind hatten. Sie sind hier halt schneller mit allem. Wie mir Franziskus übrigens erzählte, suchen auf den Mentawai Islands auch heute noch die Mütter die Frauen für ihre Söhne aus. Auch er und sein Bruder waren so zu ihrer Frau gekommen. Franziskus und sein Bruder waren ~ wie die meisten Menschen auf den Inseln ~ Potestanten oder Katholiken, was sich deutlich in den Namen zeigt. Franziskus, Julian, Martha usw. waren neben anderen Gang und Gäbe. Genauso, wie es alle Nase lang eine kleine Kirche des jeweiligen Glaubens gab. Kopftücher und Moscheen waren hier so selten wie bei uns, was mir weitaus besser gefiel, als immer wieder ungewollt beschallt zu werden.

Erstaunlicherweise rauchten aber auch alle älteren Frauen Kette. Und dabei war es egal, ob sie gerade ihr Baby stillten, kochten, durch den Dschungel
marschiertenoder sonst etwas taten. Und alle ~ auch die 12 oder 14-Jährigen ~ hatten bereits ihren Raucherhusten, selbst die kleineren Kinder, die ja schon seit Babytagen mitrauchen mussten. Das war vielleicht manchmal ein Gekeuche und Gespucke, besonders morgens, wie ich es selbst in China nicht schlimmer erlebt habe. Diese Rauchopferpraxis bedeutete für mich ~ da ich kaum eine Chance hatte, der Qualmerei auszuweichen ~ dass ich permanent eingenebelt wurde. Und da ich auf diesem Gebiet leider etwas empfindlich reagiere, bald einen Hals wie ein Reibeisen hatte. Im Boot saßen die Jungs gnadenlos qualmend vor mir, weil sie den Fluss auf Hindernisse beobachten mussten, im Dschungel marschierten sie und unsere Begleiter vor und hinter mir, damit ich nicht verloren ging, in der Hütte saßen sie, die Männer wie die Frauen, neben, gegenüber oder hinter mir. Und alle teilten sie jede ihrer vielen Zigaretten brüderlich / schwesterlich mit mir. Aber zumindest dort tauschte ich meinen Platz so gut es ging immer mal wieder mit einem weniger verräucherten Bereich, was aber immer nur kurzfristig half, denn irgendwie zog ich den Rauch magisch an. Auch meine Erklärung auf ihre Frage, warum ich andauernd meinen Platz wechselte, half nichts. Sie freuten sich ein Loch in den Bauch und legten eher noch ein Brikett auf. Ich war vielleicht froh, als ich dieser Dauertortur am fünften Tag nach unserer Bootsfahrt zurück in die Zivilisation entrinnen konnte. Und danach bekam erst einmal jeder, der sich rauchend in meine Nähe gesellte, sofort die die Rote Karte.

Bevor wir aber überhaupt in mein Dschungelabenteuer ziehen konnten, mussten wir noch zur Polizei. Hier wurden peinlichst alle Daten aufgenommen und dann amtlich in zweifacher Ausführung ausgedruckt und mit dem großen Amtsstempel und den Unterschriften des Polizeibeamten und Franziskus versehen. Diese Prozedur sollte meiner Sicherheit dienen, denn sowohl die Polizei, wie auch Franziskus verpflichteten sich damit, mich heile wieder in der Zivilisation abzuliefern. Das Ganze lief genauso amtsmässig und ernsthaft ab, wie es auch bei uns auf jeder Polizeistation gehandhabt würde. Ein seltsam beklemmendes Erinnerungsgefühl an unseren verkappten Obrigkeitsstaat stellte sich ein, das sich erst langsam wieder auflöste, als wir diesen Bereich wieder verlassen hatten. Und richtig genug, ich konnte keinen Schritt tun ~ nicht mal den zur Buschtoilette ~ ohne dass ich gefragt wurde, wo es denn hingehen sollte. Aber selbst wenn ich es noch so gerne getan hätte, mal alleine einem der Wege zu folgen, dort hätte ich mich kaum getraut, weil sie alle gleich aussahen, und ich an den Gabelungen nicht gewusst hätte, ob ich nun den linken oder rechten Abzweig nehmen sollte.

Eine Weile nach dem ersten Abendessen im Busch hieß es dann:
„Nimm deine Taschenlampe, wir gehen durch den Wald zu den Medizinmännern, um bei ihrem Ritual dabei zu sein.“Und schon ging es los, nachdem ich zuvor noch einen Stock in die Hand gedrückt bekommen hatte, der mich von nun an als nützliches und vor allem stützendes Werkzeug auf allen Wegen durch den Dschungel begleiten sollte. Ohne hätte es mich im Dunkeln, wie auch später im Hellen sicher einige Male umgehauen. Bereits nach wenigen Metern außerhalb des Dorfes folgten wir einem kleinen, sich immer wieder gabelnden Trampelpfad ins Dunkle des Waldes. Und dieser Pfad hatte es genauso in sich, wie alle weiteren in den nächsten Tagen. Es gab Löcher, Wurzeln, umgekippte Baumstämme kleineren und größeren Formats, Schlingpflanzen, äußerst glitschigen Matsch und Patsch und einen, vielleicht auch mehrere Bachläufe, die wir immer wieder überquerten oder ihrem Bachbett folgten. Und plötzlich tauchte ein schwaches Licht auf, das sich beim Näherkommen in mehrere Petroleumlampen in der Hütte des Medizinmannes ~ einem Onkel von Franzikus und Ismael ~ aufteilte. Er, seine ganze Familie und ein weiterer Medizinmann mit seiner Familie saßen auf dem Boden und nebelten mit ihren Bananenblatt-Tüten die Hütte ein. Nach der Begrüßung, dem Zigaretten- und Bonbonverteilen gings dann auch bald los. Es handelte sich ~ wenn ich das richtig kapiert habe ~ um die Erneuerung des Schutzes für die Hütte und die Familie. Es hatte schon etwas beeindruckend magisches, wie die beiden nicht mehr ganz so jungen Medizin-Männer ihren Singsang, ihre Bewegungen und eine Art Glockenspiel praktizierten. Der ältere der beiden war noch komplett in der Form tätowiert, wie es sich für einen Medizinmann gehört. Die jüngeren verzichten heute aber schon darauf, tragen aber noch den gleichen Schmuck und den roten Lendenschurz, der nur Medizinmännern vorbehalten ist. Von normalen, nicht initiierten Männern ~ die naturleinenfarbige Lendenschürze tragen, wenn sie sie noch tragen, darf er nur ausnahmsweise und kurzfristig benutzt werden. Es ist mit einem Tabu behaftet und hat zur Folge, wenn er zu lange getragen würde, dass sein Träger schwer erkrankt, erklärte mir Franziskus, der auch eine Tätowierung trug, wie sie auch die beiden Medizinmänner vorne auf der linken Schulter hatten. Sie war wie ein Steuerrad geformt, dass sich aus einzelnen Sternen zusammensetzte, mit denen sie und ihr Clan sich verbunden fühlen, und sein Vater hatte sie ihm eigenhändig gestochen.

Und dann ging es ~ nachdem noch einiges an Familientratsch über die Bühne zu gehen schien ~ wieder durch den Wald zurück. Dieses Mal jedoch mehr durch den Bach als auf dem Hinweg, da schnell noch ein paar Frösche mit der flachen Machete erledigt werden mussten, schließlich landet hier im Busch alles was essbar ist, irgendwie in der Küche. Affen, Wildschweine, Vögel, Fische und Wasserschildkröten aus den Bächen, Maden der Sago Palme und was es sonst noch an Proteinlieferanten und tierischer und pflanzlicher Art gibt. Aber nicht nur Essbares sammeln sie, sondern z.B. auch körbeweise die wild lebende Patschuli Pflanze. Sie wird getrocknet, um dann daraus das Patschuli Öl zu gewinnen und am Hafen zu verkaufen. Für einen Liter dieses bei den Parfümeuren beliebten Öls erzielen sie um die 7.000.000 Rupia (ca. 500 Euro), allerdings müssen dafür eine Menge Pflanzen gesammelt werden. Jedenfalls roch es immer herrlich in der Hütte, wenn sie wieder eine Ladung anschleppten. Schlangen wandern interessanterweise hier allerdings nicht in den Kochtopf. Und gejagt wird dem Speer und mit Pfeil und Bogen, wobei die Pfeile vergiftet sind, und das Gift bei der Herstellung auf die Größe des Tieres abgestimmt wird, und die Pfeile je nach Tier, eine unterschiedlich Form haben. Für die kleineren Affen werden Pfeile benutzt, die nur eine schlanke Holzspitze haben, während die für die größeren Tiere eine Metallspitze mit Widerhaken haben. Der Bogen, den Franziskus Onkel benutzte, besaß eine so starke Spannung, dass ich nicht in der Lage war, ihn komplett durchzuziehen. Und wenn ich mir dieses magere kleine Hämelmännchen anschaute, konnte ich mich nur darüber wundern, dass er das mit Leichtigkeit schaffte und auch noch traf, zumal die Pfeile alles andere als gerade waren und der Bogen keine Zielvorrichtung hatte. Aber die Kinder lernen es von klein auf, auch die Mädchen. Und Franziskus war ebenfalls in der Lage, auf diese Weise einen Affen vom Baum zu holen. Das Gift ist übrigens ein reines pflanzliches Produkt, das aus der Rinde eines bestimmten Strauches, einer bestimmten Wurzel, Chillischoten und noch ein paar Ingredenzien gemixt wird, die zerstoßen und ausgepresst werden. Der Saft wird dann mit einer Feder auf die Pfeilspitzen gestrichen und über'm Feuer getrocknet. Als alter Giftmischer ~ schließlich hatte ich mal Laborant gelernt, bevor ich umsattelte ~ fand ich den Herstellungsprozess natürlich höchst interessant. Allerdings durfte ich mir nichts von dem fertigen Produkt abzwacken. Na ja, da ich eh keine böse Schwiegermutter mehr habe, für was hätte ich es auch mitnehmen sollen? Ein Affe fällt übrigens bei einem Treffer nach wenigen Minuten vom Baum, während ein Wildschwein oder ein Hirsch, trotz höherer Dosis, etwas länger braucht, bis es aus den Hufen kippt. Aber hier kommt dann der Speer zum Einsatz, mit dem dann nachgeholfen wird.

Franziskus brachte mir übrigens eines Tages eine Wasserschildkröte von ca. 7 oder 8 cm Durchmesser aus dem Bach vorm Haus und auf meine Frage, ob sie zum Verzehr bestimmt sei, meinte er, dass sie zu klein sei und dass ich sie wieder in ihr Element entlassen könnte, was ich auch tat. Dort hatte sie dann ihre Chance genau bis zum nächsten Tag, als sie erneut von der kleinen Nima angeschleppt wurde und sie ihrer Großmutter gab. Tja, und die erteilte dann umgehend den Auftrag, sie ins Feuer zu werfen, in dem sie dann für ca. 5 Minuten verblieb. Danach warf Omi den Panzer auf den Boden, pulte aus dem aufgebrochenen Teil die wenigen kleinen Fleischstückchen und verspeiste sie ungewürzt sichtlich mit Genuss, auch wenn es nur etwas für den hohlen Zahn war. Dass es die gleiche Schildkröte war, konnte ich an einem herausgebrochenen Stück an ihrem Panzer erkennen. Aber das passierte erst in unserer neuen Behausung, zu der wir am anderen Morgen aufbrachen. Dieses Mal ~ am Freitag, dem 1. August 2008, an meinem zweiten Tag im Dschungel, der zugleich der erste Jahrestag meiner Reise war ~ ging es im Hellen über ähnliche Trampelpfade zu einem der größten und ältesten Häuser an dieser Stelle im Busch, in dem ein weiterer Onkel und Medizinmann mit seiner Familie lebte. Es war wunderschön mit anzusehen, wie herzlich sich Tante und Neffen begrüssten und wie sie miteinander umgingen. Tantchen war übrigens im gleichen Stil tätowiert wie ihr Mann.

Wie am Abend zuvor, war ich nach wenigen Minuten schweißgebadet und wieder ging es durch Matsch und Patsch, über Stock und Stein und Bäche. Ich hatte auf diesen Pfaden immer so sehr damit zu tun, nicht in irgendein Loch zu stolpern, an einer Wurzel oder Schlingpflanze hängen zu bleiben oder in einem Schlammloch knietief zu versinken, dass ich kaum etwas von meinem Umfeld wahrnehmen konnte. Und das, obwohl ich es liebe, meinen Blick umherschweifen zu lassen. Das aber war die ganze Zeit nahezu gänzlich unmöglich. Besonders spannend aber wurde es, als wir die Bäche nur noch über dünne Baumstämme überqueren konnten, da sie sich ihr Bett tiefer und tiefer gegraben hatten. Die Krönung bildete eine kleine Schlucht von 2,50 oder 3 Metern Tiefe, bei der ich die Hilfe einer stützenden Hand zwar gerne in Anspruch nahm, auch wenn ich sicher war, den Balanceakt auch alleine geschafft zu haben. Und balancieren musste ich auch immer wieder bei den äußerst schlammigen Partien der Trampelpfade, wo es nur halb im Schlamm eingesunkene Baumstämmchen oder gar nur die Mittelteile der riesigen Palmblätter zum Passieren gab. Die letzteren waren besonders glitschig, so dass ich immer wieder in den Schlamm abrutschte. Meine guten Meindl Treter und ich sahen bald aus wie Hund, und ich fragte mich, wie ich das alles jemals wieder sauber und trocken bekommen sollte. Denn hier trocknete zwar alles am Tage, wenn ich etwas gewaschen hatte, und die Sonne schien, aber des Nachts wurde es selbst im Haus auf Grund der hohen Luftfeuchtigkeit wieder feucht und klamm, so dass es witzlos war darauf zu bauen, dass meine Schuhe hier jemals wieder trockneten, zumal ja jeden Tag ein neuer Marsch in gleicher Form erfolgte. Wie ich einige Zeit später feststellen musste, hatte es sogar die Bambusstäbe meines Moskitonetzes getroffen, die ich nach meiner letzten Nacht wieder in ihrem Aufbewahrungssack verpackt hatte. Als ich das Netz dann am Lake Toba erneut gebrauchen wollte, waren die Stäbe auf Grund der voraus gegangenen nächtlichen Feuchtigkeit voller Schimmel, wobei mir die Feuchtigkeit allerdings dort nicht aufgefallen war. Wenigstens war das Netz nicht in Mitleidenschaft gezogen.

Diese Riesenhütte war viel zu groß für eine Familie. Aber Franziskus erzählte mir, dass hier früher mehr Menschen gewohnt hätten, und dass sie heute gerne für Feste und Zeremonien benutzt wurde, wie ich dann später auch erlebten konnte. Alle die gekommen waren suchten sich irgendwo ein Plätzchen und schliefen die Nacht dort. Wobei solche Feste oder Zeremonien und der Alltag grundsätzlich ohne Alkohol über die Bühne gehen. Diese Menschen tranken keinen Alkohol, auch wenn in der Nähe der Hütte ein Destille stand. Der dort hin und wieder gebrannte Alkohol wird für alles Mögliche benutzt, nur nicht zum Trinken. Außer Zigaretten und Einwegfeuerzeugen gab es also kaum irgendwelche Anzeichen von üblichen Zivilisationsgütern. Es gab keinen Strom, sondern nur die gute alte Petromax und leere Konservendosen, die mit einem Docht versehen, als Öllämpchen dienten. Somit gab es auch keine Sattelitenschüsseln und Fernseher und auch keine Handys, da hier draußen eh kein Netz zur Verfügung stand. Und es gab keinerlei sanitäre Gegebenheiten ~ der Busch war die Toilette und der Bach zugleich die Entnahmestelle für das Geschirrwaschwasser, das Badezimmer in dem sich alle ~ ich auch ~ per Schöpfkelle duschten. Und er war der Ort, wo die Wäsche gewaschen wurde. Windeln für die Kleinsten gab es ebenfalls nicht, wenn es so weit war, wurde der kleine Po halt in den Bach getaucht und abgewaschen und gut war's. Das Trinkwasser wurde aber nicht dem Bach entnommen, sondern aus einer kleinen Quelle geholt, die irgendwo hinter dem Haus sprudelte. Dann wurde es mindestens eine halbe Stunde auf dem offenen Herdfeuer gekocht, so dass es erstaunlicherweise immer wie geräuchert schmeckte. Das Gleiche traf auch auf das Essen zu. Alles, Reis, Sago, Fleisch schmeckte nach dem Rauch der Rinde der Sago Palme, die hauptsächlich als Feuerholz diente, da sie in Mengen anfiel und der Stamm eines der wichtigsten Lebensmittel dieser Menschen liefert, nämlich das das Sago. Es dient den Menschen und ihren Haustieren, wie Schweinen, Hühnern und Enten als zusätzliche Nahrung zu der, die sie im Busch finden, durch den sie den ganzen Tag streiften. Selbst die Hunde fressen das für die Menschen zubereitete Sago, während die anderen Tiere entweder einen Stammabschnitt hingelegt bekommen oder Bruchstücke aus diesem Stamm. Für die kleinen Kücken wird es geraspelt, während die Hühner Löcher in den Stamm picken. Aber alle Viecher scheinen das Zeug gerne zu fressen. Und von denen gab es jede Menge, 30 der gar 40 Hühner, 20 oder 25 Schweine, etliche Enten. Und alles gackerte, krähte, grunzte und quiekte vor sich hin und bestimmte irgendwie den Tagesablauf. Früh morgens weckten mich die Hähne und Hühner, sowie die grunzenden und quiekenden Schweine, die unter uns, unter dem Haus des Nachts ihr Domizil hatten. Die Hühner hatten ihre beiden Schlafbäume, auf denen sie es sich jeden Abend um ca. 18:30 gemütlich machten. Dazu spazierten, hüpften und sprangen sie zuerst über schräg angeordnete Stangen und danach von Ast zu Ast zu den höchsten und besten Plätzen. Das war für mich jeden Abend ein lautstarkes Schauspiel, dem ich immer wieder gerne zusah, denn sie schubsten sich gegenseitig rigoros vom Ast, wenn ein Huhn den Sitzplatz eines andern haben wollte oder eins nicht schnell genug Platz zum Überholen machte. Und dann begann der Aufstieg mit viel Gegackere aufs Neue.

Für die Menschen wird der Stamm erst eine Zeit lang im Bach gewässert, bevor er weiter verarbeitet werden konnte. So wird wohl die Zellulose aufgeschlossen und für Menschen verdaulich gemacht. Es wird dann in Bambusblätter gewickelt oder in Bambusröhren gefüllt und über dem Feuer 'ne Weile geröstet. Es sieht dann ein bisschen aus, wie das Mark des Holunders und hat auch eine ähnliche, aber körnigere Konsistenz. Wenn man es dann aus den Blättern oder dem Rohr puhlt, hat es an und für sich wenig Eigengeschmack und ist ein wenig zäh, aber es war für mich durchaus gut essbar, auch wenn es nicht zu meinen Favoriten avancierte. Man kann es solo essen, warm oder kalt oder in den Tee, den Kaffee oder Zucker stippen und auch mit anderen Dingen zusammen essen. Und es ist gut für den kleinen Hunger zwischendurch. Kittecat oder Milchschnitte auf indonesisch.

Wenn eine Sago Palme gefällt wird ~ was nach ungefähr 10 Jahren erfolgt ~ wird ungefähr ein 1 m langes Stück des Stammendes zur Wurzel im Wald zurück gelassen, damit es vermodern und dem Sago Käfer als Behausung für seine Larven dienen kann. Und damit sich nicht die Wildschweine über das begehrte Innere der Palme hermachen, wird der vordere Abschnitt verschlossen. Und dann heißt es warten, bis der Verrottungsprozess des Stammes und das Wachstum der Larven weit genug fortgeschritten ist, um dieselben zu ernten. Und genau das taten wir dann auch auf einem unserer Spaziergänge durch den Busch, nachdem mir der Onkel und Medizinmann gezeigt hatte, wie er aus einem Stück Rinde eines bestimmten Baumes den Stoff für einen Lendenschurz herstellt. Dazu schnitt er mit seiner Machete aus der Rinde dieses Baumes ein entsprechend großes Stück heraus und weichte es kurz im Bach ein. Danach konnte problemlos die äußere Rinde von der inneren Bastschicht gelöst werden, die er dann auf ein Stück Holz in den Bach legte und mit einem Schlegel aus einem schwarzen Hartholz bearbeitete, bis es tatsächlich wie ein grober Stoff aussah und sich auch so anfühlte. Das Holz ist schwer und hart wie Eisen und entsprechend schlecht zu verarbeiten. Es wird für verschiedene Werkzeuge und für den Trommelbau benutzt, wobei der Stammabschnitt erst einmal 1 Jahr im Wasser liegen muss, bevor die Trommel daraus hergestellt werden kann. Trommeln sind wichtige Instrumente, die es in unterschiedlichen Größen und somit unterschiedlichem Klang gibt. Jede Trommel wird entsprechend ihrem Klang nur für eine einzige Benutzungsmöglichkeit eingesetzt und darf anders nicht genutzt werden. Also eben mal ein bisschen damit trommeln ist nicht drin, da auch das mit einem Tabu belegt ist. Und so gibt es Trommeln und bestimmte Töne, die z.B. den anderen Waldbewohnern den Tod eines Menschen mitteilen oder die Geburt eines Kindes oder die eine Einladung zum Affen- oder Wildschweinessen oder sonst einer Feierlichkeit oder Zeremonie verkünden. Und zu hören sind sie über 6 bis 8 Kilometer. Wenn nur aus Jux getrommelt wird, benutzt man eine aus einem dickeren Bambusrohr, das natürlich völlig anders klingt, als das schwere schwarze Hartholz.

Bevorwir aber zum Ernteplatz marschierten, war erst noch ein gemeinsames Bad im Bach angesagt, für das extra alle benötigten Utensilien mit gebracht worden waren. Und da der Bach hier ~ im Gegensatz zum Bach an der Hütte ~ einige tiefere Stellen hatte, konnte man sogar richtig untertauchen. Und bei diesem Geplantsche zeigte man mir über uns eine etwa daumendicke rotbraune Schlange, die zusammengerollt auf einem Ast lag. Ich hätte sie nie gesehen und wollte natürlich als erstes wissen, ob sie giftig ist. War sie aber nicht, aber ich nehme mal an, dass sie zumindest auch gut zubeißen konnte, denn als Franziskus sie mit einem Stock störte, riss sie ihr Schlangenmaul ganz schön weit auf und versuchte sich des Stockes zu erwehren.

Von hier aus war es dann nicht mehr weit bis zu dem gammeligen Sago Baumabschnitt. Und jetzt passierte wieder etwas, was mich faszinierte. Der Verschluss wurde entfernt, um den Zustand des Holzes zu beurteilen. Und da er wohl in der passenden Verfassung war ~ das Holz war faserig und hatte eine bernsteinähnliche leuchtende Farbe ~ begannen die drei, ihn mit ihren Macheten zu zerteilen. Wobei ich immer noch nicht wusste, was sie bezweckten. Denn von den riesigen Maden, die sich im Inneren des Stammes befanden, hatten sie mir nichts erzählt oder ich hatte es nicht verstanden. Die größten waren um die 6 cm lang und mehr als daumendick. Und die kleinsten hatten immer noch gut ihre 2 cm und die Dicke eines normalen kleinen Fingers. Diese sich lebhaft bewegenden Maden wurden aus dem Holz geklaubt und auf ein großes Blatt gelegt. Und wie beim Pflücken von Kirschen, schob sich jeder immer mal wieder so ein Prachtexemplar zwischen die Zähne und verputzte es sichtlich mit Genuss. Das Angebot, mir doch auch den einen oder anderen Happen zu gönnen, mochte ich aber doch nicht annehmen und vertröstete sie auf später, wenn die Dinger gekocht worden waren, in der Hoffnung, dass auf Grund der vielen Münder für mich keine mehr übrig bleiben würde. Leider sah ich mich getäuscht, denn sie hatten mir eines der kleineren Exemplare aufgehoben, dass ich dann als Vorspeise vorm Dinner gereicht bekam und dann kurzentschlossen in den Mund stopfte, um es hinter mich zu bringen. Hinterher gabs ein Stück vom gerösteten Sago.

Bevor ich aber tatsächlich diesen weißlichen
„Leckerbissen“essen konnte, kramte ich meine Erinnerung an den Zeitpunkt hervor, als mir meine Mutter die erste Nordsee Krabbe anbot, und wie ich sie damals todesmutig in den Mund steckte und feststellte, dass sie köstlich schmeckte. Und damit ging es dann ganz prima, auch wenn sich das damalige Aha-Erlebnis nicht wiederholte, denn das Teil schmeckte einfach nach nichts und war auch nicht fest, wie Krabbenfleisch, sondern hatte eher die Konsistenz von Merettichsahne aus der Tube, allerdings etwas grisseliger, wohl wegen des Kopfes und der Beißwerkzeuge. So etwas ließ sich also doch auch von mir essen, ohne dass sich mir der Magen umdrehte oder mein Körper sonstwie komisch reagierte. Und damit hatte ich wohl eine weitere Dschungelprüfung bestanden.

Eine andere kleine Prüfung war das Schlachten eines Huhnes und eines Hahnes. Beide wurden gefangen und zusammen in einen kleinen Käfig gesteckt, so dass ich erst dachte, die beiden sollten für neue Küken sorgen. Aber dann wurden sie gegriffen und man drehte ihnen kurzerhand den Hals um, riss ihnen die Schwanzfedern für die wartenden Kinder aus und tauchte sie für einen Moment in heißes Wasser. Danach kamen sie sie solange aufs Feuer, bis von den Federn nichts mehr übrig war. Erst dann nahm man sie aus und zerhackte sie mit der Machete in kleine Stücke, die in den Topf wanderten, wobei Kopf und Füße mit wanderten. Und da man sie nicht ausbluten ließ, wie ich das von meinem Großvater kannte, wanderte auch das Blut mit in den Topf, das dann zusammen mit dem Wasser eine schmackhafte Hühnersuppe ergab. Als es dann später ans Essen ging, stellte ich fest, dass diese Vögel tausend oder mehr Flugstunden hinter sich hatten, denn das Fleisch war zäh wie ein alter Sattel und mit meinen Beißerchen kaum zu bewältigen. Und so legte ich dann, nachdem ich eine Weile ohne Erfolg auf einem Stück herumgekaut hatte, selbiges auf den Boden zu den bereits abgenagten Knochen und stieß damit auf Unverständnis oder Unglauben. Keine Ahnung was es war, jedenfalls hörte ich von Franziskus irgendwelche Laute, die sich nach Protest o.ä. anhörten, und dann schnappte er sich diesen Brocken und schaffte es tatsächlich, das zähe Fleisch von den Knochen zu nagen.

Mich erinnerte das an den alten Witz von Bauer Bernskötter, der den Pastor zum Mittagessen eingeladen hatte. Und so saß der dann mit der Familie und dem Gesinde in der Bauernküche an einem Tisch und löffelte aus einer Schüssel Suppe mit Fleischstücken. Dem Gast schmeckte es gut, bis er ein Stück erwischte, dass so zäh war, dass er es nicht bewältigen konnte und fragte den Bauern, was er damit machen solle. Und der antwortet ihm:
„Ach Herr Pastor werfen sie es ruhig wieder rein, ich habe vorhin auch schon darauf rumgekaut und es nicht klein gekriegt.“

Es war für mich äußerst interessant zu sehen, dass der Urwald diese Menschen auch heute tatsächlich noch mit fast allem versorgt, was sie benötigen. Es gibt nur wenig, was sie kaufen müssen. Und damit meine ich nicht nur die Nahrung, sondern auch Dinge des täglichen Gebrauchs. Mit Palmblättern wurde das Dach gedeckt, mit großformatigen Schindeln aus der Rinde der Sago Palme die Außenwände verkleidet, Blätter unterschiedlicher Pflanzen zum Einwickeln unterschiedlicher Dinge benutzt. Selbst 2 größere Ferkel wurden so kunstgerecht in Sago Palmblätter eingewickelt und verschnürt, dass sie anschließend wie mit einem Rucksack ins Nachbardorf getragen werden konnten. Wenn Bindfäden unterschiedlicher Dicke gebraucht wurden, namen sie Ratan Ranken, die mit der Machete so fein aufgespalten wurden, dass sich selbst dünnste Fäden daraus herstellen liessen.

Genauso faszinierend war es aber auch, ihren Tagesablauf zu betrachten. Es wurde immer nur das getan, was gerade erforderlich war. Ansonsten saß man den ganzen Tag zusammen, rauchte, trank Tee oder Kaffee, redete, machte Späßchen, bekam Besuch von Nachbarn, die dann das Gleiche taten, aß zu den Mahlzeiten, hielt ein Schläfchen, hackte ein wenig Sago für die Tiere klein, trat oder schlug den Hund, wenn er zu nahe kam, und das wars. Als sich mal wieder Regen ankündigte, wussten sie anscheinend, dass dieser Regen besonders heftig sein würde, denn wie auf Kommando fingen die Männer an, die Löcher im Dach mit Palmblättern zu verschließen, was sie bis dahin nie in Erwägung gezogen hatten. Und es war richtig, denn es schüttete, wie aus Eimern. Oder ein anderes Mal bekam ich mit, dass der Onkel, als in den Busch gehen wollte, den Fußboden im Eingangsbereich zum Wippen brachte und etwas zu den anderen sagte. Darauf wurden sie aktiv und besserten diesen Bereich komplett mit Balken und Brettern aus. Aber danach ging man wieder zur normalen Tagesordnung des In-den-Tag-Hineinlebens über.

Hatte ich schon geglaubt, die die Kunst des In-den Tag-Hineinlebens ganz gut gelernt zu haben, musste ich hier erkennen, dass ich sie nicht annähernd so gut beherrsche wie sie und sehr schnell an meine Grenzen stieß, wie auch auf andern Gebieten. In den oft langen Leerlaufzeiten konnte ich nur geduldig irgendwo rumsitzen, da es für mich nichts zu tun gab und auch nichts zu Lesen oder zum Zeitvertreib mit genommen hatte. Immerhin hatte ich in den vielen Wartesituationen auf meiner Reise gelernt, so etwas ruhig und gelassen über mich ergehen zu lassen. Denn wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich schreiend in den Dschungel gelaufen. Und obwohl die erlebten Dinge interessant und spannend waren, haben mir die Begleitumstände gezeigt, dass das Dschungelleben nicht mein Ding ist.
Ich kann einfach nicht mehr darauf ~ wie in Bundeswehr- oder Pfadfinderzeiten ~ durch Matsch und Patsch zu laufen und entsprechend dreckig zu werden, mich in einem Bach zu waschen, an dem oberhalb weitere Menschen denselben für alles mögliche nutzen, den Busch als Toilette zu benutzen, keinen Strom zu haben, auf dem harten Fußboden zu schlafen unter dem die Schweine grunzend nächtigen, vom Gegacker und Kickerie der Hühner zu den unmöglichsten Zeiten geweckt zu werden. Zu einem Tag und einer Nacht währe ich noch einmal bereit, aber nicht mehr, auch wenn es teilweise faszinierend war, und die Moskitos tagsüber durch fast völlige Abwesenheit glänzten und auch keine Blutegel auftauchten, da keine Regenzeit war.

Ich war also heilfroh, endlich meinem Dschungeltrip zu entkommen und wieder zumindest ein wenig Zivilisation genießen zu können. Dafür habe ich sogar das Angebot ausgeschlagen, ohne weitere Kosten einen Tag länger bleiben zu können und auch auf das eh zweifelhafte Vergnügen verzichtet, an meinem letzten Tag an der für Mittag vorgesehenen Schlachtung eines Schweines teilzunehmen, bei dem das Tier, dass schon die ganzen Zeit gefesselt herum lag und sich wütend grunzend zu befreien versuchte, mit dem Speer abgestochen werden würde. Ich wollte nach dem Frühstück aufbrechen, so wie wir es anfangs vereinbart hatten. Und davon konnte mich auch Franziskus Äußerung, dass es ein Tabubruch sei, vorher zu gehen, nicht abbringen. Ich machte ihm klar, dass es nicht mein Tabu sei und so marschierten wir dann auch los. Fest steht, dass ich das in der Form wohl ziemlich sicher nicht wieder machen werde, obwohl es durchaus eine Erfahrung war, die ich nicht missen möchte. Zu einem Tag und einer Nacht ~ oder viiiiielleicht auch zweien ~ wäre ich noch einmal bereit, aber nicht länger. Und so habe ich das wirklich sehr spartanische eingangs beschriebene Hotel nach meiner Rückkehr aus dem Dschungel genossen, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte, obwohl es nur ein heißes Zimmer ohne Aircon oder Fan, aber mit einem richtigen Bett und dem simplen Badezimmer zur bieten hatte. Das war Komfort hoch 3, wenn ich an die letzten Tage denke. Und so konnte ich gelassen darauf warten, dass mich eine Fähre am Abend des nächsten Tages zurück nach Padang ans Festland bringen würde. Franziskus kümmerte sich bereits um das Ticket.

 

Anfang

 

Fotos