Zug nach Jinan ~ (Provinz Shangdong)
Am Mi. 21.11.2007
Peking entließ mich, wie ich gekommen war mit schönem Wetter und wieder angenehmen Temperaturen. Mütze und lange Unterhose hatten ausgedient. Ich
stiefelte kurz vor 11 ~ wie man es mir angeraten hatte ~ zum ersten Mal wieder unter voller Last in Richtung Metro und stellte dabei fest, dass ich kein bisschen nervös oder kribbelig war, wie
die meisten Male zuvor. Und das, obwohl ich wusste, dass mich in Jinan so gut wie nur noch Chinesisch und kaum noch Englisch erwarten würde. Was mich natürlich irgendwie freute, das mit dem
Nicht-Kribbelig-sein. Somit konnte mich dann auch alles Folgende nicht aus der Ruhe bringen. Und das ging schon am Bahnhof los.
Auf die Kontrolle hatte ich mich ja bereits eingestellt ~ jaaa, in China betritt niemand einen Bahnhof, ohne eine Röntgenkontrolle passiert zu haben, was natürlich, genau wie auf einem Flughafen,
zu Warteschlangen führt. Auf Grund des Wissens um diese Kontrolle hatte ich meine homöopathische Reiseapotheke vorher in einer meiner Jackentaschen verstaut, da man selber sinnigerweise nicht
durchleuchtet wird. Meine Reiseapotheke hätte also auch alles andere sein können.
Dann stand ich in dieser Riesenhalle, sah das Anzeigebord, auf dem ich nur meine Zugnummer, die Uhrzeit und die Bahnsteignummer lesen konnte. Der Rest war nur hübsche Grafik. Aber wo musste ich
jetzt hin? Schließlich war ich ja lt. Empfehlung der Hostel Mitarbeiter 2 Stunden früher hier. Ebenfalls wie beim Fliegen. Also machte ich eine Sightseeing Tour durch den Bahnhof und entdeckte
dann etwas, das einem Info Schalter entsprechen konnte. Und so war's. Nur das dieser Schalter am Hauptbahnhof der größten Stadt Chinas kein Wort Englisch sprach und erst einmal eine Kollegin
rufen musste, die aber auch kaum mehr als „jes“ und „no“ drauf hatte. Immerhin schleppte sie mich nach einem Blick auf mein Ticket quer durch die ganze Halle zum Warteraum Nr. 4 und dirigierte mich dort in die nächste
Riesenhalle, in der auf unzähligen Bänken unzählige Menschen, sprich Chinesen saßen, standen, lagen. Es gab kaum einen Platz, der nicht besetzt war. Schätzungsweise waren das 400 bis 500
Menschen, vielleicht mehr. Und es gab kaum jemanden, der nicht mindestens ähnlich viel Gepäck bei sich hatte wie ich, wenn auch anders verpackt. Die Chinesen benutzen ähnliche Riesentaschen, wie
ich sie schon in Russland so oft gesehen hatte. Oder sie haben einfache aber stabile Säcke, die so verschnürt sind, dass sie beim Tragen geschlossen bleiben und sich irgendwie tragen lassen.
Unterm Arm, auf der Schulter, hinter sich herschleifend, wie auch immer.
Einer dieser Kaum-Plätze war anscheinend für mich reserviert. Und so konnte ich dann meine Wartezeit auf einer halbwegs bequemen Bank absitzen und mich fragen, wie ich bloß den richtigen
Zeitpunkt erfahren sollte, an dem ich mich in Richtung meines Zuges in Bewegung setzen sollte? Und in welche? Denn auch hier gab es so gut wie nichts in Englisch, und auch die Durchsagen ertönten
nur in der Landessprache, bei der mir mein „phrasebook“ für Mandarin Chinesisch leider nicht weiterhelfen konnte. Aber immerhin enthält es die beiden in chinesischer Schrift geschriebenen
Sätze „Do you
speak English?“ und „Does anyone speak English?“ Und die hielt ich meinem Nachbarn unter die Nase. Und der fragte dann nach gewohnter Manier den nächsten und den
nächsten, bis sich einer fand, der 3 Worte kannte.
Raus kam bei diesem Procedere, dass mir mein Nachbar wortreich wahrscheinlich versicherte, dass er mir helfen würde, weil er mit dem gleichen Zug fahren wird. Und richtig, nach einer weiteren
Durchsage gab er das Kommando „Auf die Plätze fertig los.“ Ich schnappte mir meinen Kram und wir eilten ~ wie all die anderen ~ in Richtung eines kleinen Durchgangs (Breite
ca. 90 cm), über dem „Entrance“ stand, das einzige englische Wort in dieser Halle. Und durch diesen Entrance quetschte sich die Masse, bzw. versuchte es. Aber bitte schön, nicht einer nach dem
anderen, sondern in alle 500 auf einmal. Als ich dann mit meinem breiten Rucksack dran war, ging erst mal gar nichts mehr, weil mit mir zusammen partouteine Chinesin und ein Chinese durch das Nadelöhr wollten. Das Ende vom Lied, wir steckten
fest und es ging weder vorwärts und schon gar nicht rückwärts. In China geht in so einer Situation niemand rückwärts. Erst einmal ginge es gar nicht, weil der Nachdruck von hinten das nicht
zuließe. Und dann könnte es ja sein, dass derjenige, der nachgibt und einen anderen vor lässt, nicht mehr mitkommt oder einen schlechteren Platz bekommt. Keine Ahnung, was in diesen Köpfen in
solchen Momenten vorgehen mochte.
Da ich auch in anderen Situationen mit meinem Rucksack schon festsaß ~ in der russischen Metro in den engen Eingangsschleusen z.B. ~ wusste ich, hier hilft nur eins, rohe Gewalt und ein Ruck.
Nicht umsonst war mir der eine Gurt abgerissen. Und siehe da, das Patentrezept funktionierte auch hier, ich kam als erster von uns dreien durch diese hohle Gasse und konnte meinem hilfreichen
Burschen auf seinem schnellen Gang folgen. Wenigstens rannte er nicht, wie viele anderen, bei denen ich mich fragte, warum sie es so eilig haben könnten. Ich sollte es bald erfahren.
Zuvor jedoch galt es jedoch erst einmal festzustellen, dass der ursprüngliche Bahnsteig 2 gecancelt worden war, und wir zu Nr. 7 mussten. Bis auf den einzigen Ausländer wussten es alle, denn es
war wohl in einer der unverständlichen Durchsagen bekannt gegeben worden. Es wäre aber auch gar nicht anders gegangen, da alle anderen Zugänge mit äußerst stabil aussehenden Gittertoren
verrammelt waren. Und so folgte ich brav weiterhin meinem Führer, bis er mir an meinem Wagon das Zeichen gab und sich unsere Wege wieder trennten.
Auch hier wieder die gleiche Prozedur wie immer, Rucksack runter, da der Gang mit dem Teil auf dem Rücken einfach zu eng war und fein sorgsam auf die Nummerierung der Sitze geachtet. Und da ich
die Panne vom letzten Mal noch in guter Erinnerung hatte, ließ ich mir vom Zugbegleiter dieses Mal bestätigen, dass ich den richtigen Platz erwischt hatte. Einen sogen.
„Hard
Seat“, da es
angeblich in diesem Zug keinen „Soft Seat“ geben sollte. Wobei der Unterschied zwischen den beiden nur in der Dicke der Polsterung zu bestehen scheint, den ich im Laufe der nächsten 8 Stunden, incl. 1
Stunde Verspätung noch deutlich und vor allem am eigenen Leib zu spüren bekommen sollte. Okay, der harte Sitz ist schon gepolstert, aber so dünn, dass man die Härte des Untermaterials noch
deutlich spürt. Insbes. bei langem Sitzen meckern die Sitzhöcker ganz erheblich. Aber bevor es so weit war, bekam ich erst einmal einige Lektionen des chinesischen Reisealltags vermittelt. Z.B.
fing ich langsam an zu begreifen, warum sie sich so beeilten, obwohl die Plätze doch vorgebucht waren.
Auf Grund für die Menschenmengen, die mit dem Zug fahren wollten, wurde jetzt klar, der Zug war ~ wie wahrscheinlich immer ~ überbucht. Weshalb sie nicht nur ihren Platz so schnell wie möglich
einnehmen wollten, sondern viel wichtiger, auch Platz in ihrer Nähe für ihre vielen riesigen Gepäckstücke brauchten. Der stand zwar ~ anders als in den neuen Bundesdeutschen Zügen, in denen es,
wie ich ja erfahren musste, keine Gepäckablagen über den Sitzen mehr gibt ~ in üppigen Ausmaßen zur Verfügung, aber er reichte bei weitem nicht aus. Und so ging das Gedränge und Geschubse im Zug
munter weiter. Sitzplätze wurden belegt, die dann wenig später doch den rechtmäßigen Inhabern überlassen werden mussten, aber immerhin hatte das Gepäck seinen Platz, und die später Gekommenen
hatten das Nachsehen, bzw. mussten sehen, wie sie es und wo sie es denn irgendwie verstauten.
Dieser Zug übertraf nun alles, was ich seinerzeit auf der Zugfahrt von Berlin nach Greifswald beschrieben habe. Er war fast so vollgeknallt, wie die Metro oder die Busse zur Rushhour. Was zur
Folge hatte, dass man sich kaum mal zwischendurch die Füße ein wenig vertreten konnte und jedes mal erst umgeschichtet werden musste, wenn der Servicewagen durch den Gang rollte. Es war zum
Piepen. Aber das ging seltsamerweise ohne Probleme über die Bühne.
Da ich glücklicherweise durch den schnellen Gang meines Helfers ziemlich fix an und in meinem Wagon gelandet war, gelang es mir noch mühelos, den begehrten Platz über mir für mein Gepäck zu
sichern, ohne jedoch zu dem Zeitpunkt von diesem Glück zu wissen. Aber mein Sitzplatz wurde mir mehrmals streitig gemacht, in dem mir mit Händen und Füßen klar zu machen versucht wurde, dass ich
auf dem falschen Platz säße. Ich hatte so das Empfinden, dass sie es nach dem Motto probierten: „Mit dem Ausländer können wir's ja mal versuchen.“ Denn erst beim Vorzeigen meiner Karte und
Zeigen auf die Sitznummer, hörte das Theater dann auf. Köstlich, ich hätte mich wegschmeißen können. Ganz schön dreist, diese Chinesen. Denn auch die drei Leutchen, die sich auf den Plätzen neben
mir und gegenüber bereits häuslich eingerichtet hatten, mussten diese wieder räumen, als dann doch noch die rechtmäßigen Besitzer auftauchten. Und das ebenfalls mit einer Menge Gepäck, dass sie
teilweise mangels Platz auf der Gepäckablage auf ihrem Sitz verteilten und einen dicken fetten Eimer im Fußraum. So dass auch hier das bisschen Bewegungsfreiheit noch weiter eingeschränkt wurde.
In ihm befand sich irgendetwas, das sich später als zwei kleine Welpen herausstellen sollte, die, wie man mir auf meine in Zeichensprache verpackte Frage klar machte, zum Verzehr bestimmt
waren.
Ich muss gestehen, dass ich das nicht gut für bare Münze nehmen mochte ~ und vor allem nicht gut haben konnte ~ obwohl ich ja vor einigen Tagen selber noch Hund probiert hatte. Aber es ist
einfach etwas anderes, ob man das fertige, nicht mehr auf Anhieb mit dem ursprünglichen Lebewesen identifizierbare Produkt vor Augen hat oder das noch lebende Tier. Ist es doch das, was jeder
Nicht-Vegetarier bei jedem seiner Fleischeinkäufe ausblendet. Der Satz, dass es viel mehr Vegetarier gäbe, wenn jeder sein Fleisch, sprich Tier, selber schlachten müsste, spricht da Bände.
Insofern sollte nach meinem Dafürhalten jeder, der nicht Vegetarier ist, erst einmal vorsichtig sein bei Vorverurteilungen oder Unverständniserklärungen, wenn es um das Essen von Hunde-, Pferde-
und sonstigem Fleisch geht.
Als sich die Unruhe langsam legte und der Zug pünktlich abfuhr, dauerte es nicht mehr lange und alle Chinesen um mich herum redeten und lachten auf mich ein, so dass ich zu gerne gewusst hätte,
was sie an mir so belustigend empfanden. Es klärte sich wenig später auf, als eine(r) der jüngeren Frauen und Männer sich als etwas englischsprachig erwiesen. Es war einfach nur das Interesse an
diesem Fremdling, der sich da mitten unter ihnen befand. Wo ich herkäme, wo ich hinwolle, ob ich Kinder hätte und wieso meine Familie nicht auch hier sei, ob mir China gefallen würde, und ob ich
das Essen möge etc. Und wieso ich nicht friere, denn ich hatte mal wieder als einziger nur ein kurzärmeliges Hemd an. Während sie nach dem Zwiebelprinzip gekleidet waren und diverse Pullover,
Jacken und was weiß ich trugen.
Da es mit der Verständigung aber dennoch nicht ganz einfach war ~ ich sprach ihnen zu schnell und das war das erste Mal, dass jemand sich darüber beschwerte, bisher war das immer mein Satz ~ kam
der junge Mann auf die Idee, die Fragen auf eine Zeitung zu schreiben, und ich malte meine Antworten darunter. Ich sagte es ja schon, ganz schön pfiffig, die Chinesen. Außerdem war
mein „phrasebook“ sehr hilfreich, was sie sehr interessant fanden. Jeder wollte es mal in der Hand gehabt haben, schaute sich die chinesischen Schriftzeichen an und
freute sich ein Loch in den Bauch. Es war einfach klasse. Lustig fanden sie es auch, als ich mir etwas notierte und mein Nachbar mir den Zettel aus der Hand nahm und jeder ihn studierte. Sie
kringelten sich vor Lachen über meine Schrift. Aber dann habe ich sie gekriegt, als ich auf den gleichen Zettel ein paar Zeichen malte, die jeder Westler für chinesische Schriftzeichen gehalten
hätte. Sie reichten sich den Zettel, drehten ihn auf den Kopf und überlegten hin und her, was ich denn da wohl geschrieben haben könnte. Bei ca. neunzigtausend Schriftzeichen hätte es ja u.U.
sein können, dass ich da zwei aufgemalt hatte, die sie nicht kannten. Als ich den Spaß dann aufklärte ~ der viiiielleicht nicht ganz fair war ~ war das Gelächter dann auch nicht ganz so intensiv
und laut, wie zuvor. Für mich war es dennoch so etwas wie ausreichende Gerechtigkeit für all das, was sie zuvor auf meine Kosten gelacht hatten.
Nachdem ich mich nach einigen Stunden langsam aber sicher auf meinem „Hard Seat“ nicht mehr so richtig wohlfühlte, und außerdem klar war, dass die Fahrt eine Stunde länger als gedacht dauern
würde, weil wir in einem Bahnhof je einen Expresszug in beide Richtungen vorbei lassen mussten, ging mir ein Licht auf. Und dieses Lichtlein leuchtete mir, dass ich mir bei allen weiteren
Zugfahrten ~ so weit möglich ~ ebenfalls einen dieser schnellen Züge gönnen würde. Die paar Yüan oder Dollar weniger für den langsameren Zug wogen die längere Fahrzeit einfach nicht auf.
Insbesondere dann nicht, wenn mehrmals so ein Flitzer an einem vorbeibraust, weil alles auf ihn warten, bzw. Vortritt lassen muss. Manoman, bei aller Lustigkeit im Zug, das war ganz schön
frustrierend. Zumal dieses weiße stromlinienförmige Gefährt jedes mal so richtig schnittig daher kam.
Leider bedeutete diese Stunde Verspätung auch, dass Mali ~ wie sie auf Grund von Ausspracheschwierigkeiten hier genannt wird ~ nun am Bahnhof stand und auf mich wartete. Sie studiert an
der „Shangdong University of Traditional Chinese Medicine“ halt TCM, und wir hatten verabredet, dass ich sie besuche, wenn ich in China bin. Und nun war ich so gut wie
angekommen. Gott sei Dank funktionierte meine noch in Peking erstandene SIM Karte von „China mobil“ ~ anders als die Karten in Russland ~ auch hunderte von Kilometern entfernt immer noch, so dass ich sie
wenigstens die ganze Zeit auf dem Laufenden halten konnte.