Teil 2
Die Chinesen sind eh ein besonderes Völkchen für mich. Wenn ich irgendwie ~
solange ich in Deutschland war und allenfalls mal ein paar verirrte Chinesen zu Gesicht bekommen hatte ~ noch mehr oder weniger dachte, dass alle Chinesen eine gelbliche Haut haben, und dass wir
als Europäer keine Chance hätten, sie voneinander zu unterscheiden, sah ich mich, seitdem ich in China bin, minütlich eines Besseren belehrt. Es wäre ja auch seltsam, wenn es anders gewesen
wäre.
Diese Vielfalt der Gesichter erstaunte und begeisterte mich jedes mal aufs neue, wenn ich durch die Straßen lief, mich im Bus, Zug, der Metro oder wo auch immer befand. Da gab es welche mit den
wirklich total schmalen Augen und es gab sie mit riesig großen dunklen Mandelaugen ~ und allem dazwischen ~ in denen ich (vor allem wenn sie weiblich waren) so hätte versinken können, wie in
einem geheimnisvollen dunklen See. ~ Ich hoffe, das ist jetzt weder sexistisch, chauvinistisch oder sonst irgendwas mit „-stisch“, denn es ist einfach nur das, was
es in solchen Momenten mit mir machte. ~ Und es gab, wenn sie mich, den Ausländer, mit einem großen Fragezeichen anschauten, und ich mit einem Lächeln,
einem „Hi, Hello“ oder gar mit ihrem „ni
hao“ das Fragezeichen in ein Ausrufungszeichen verwandelte, immer wieder dieses Lächeln oder auch Lachen in diesen Gesichtern, in
diesen Augen. Oft explodierten diese Gesichter beinahe in ihrem Lachen, ihrer Freude, in ihrer Begeisterung oder was auch immer sie in dem Moment empfunden haben mögen. Sie brachten mir soviel
Herzlichkeit entgegen, dass es mich jedes mal fast aus den Puschen haute. Und so manches Mal entstand aus der Situation ein kleines Gespräch, wenn meine Lachpartner denn dann auch noch Englisch
sprachen.
Da soll mir einer noch mal erzählen, Chinesen hätten ein Pokerface und man wüsste nie, wie man dran ist. Diese Art Chinesen mag es vielleicht im Geschäftsleben geben, aber nicht auf der Straße.
Selbst die kleinen Kinder auf den Armen ihrer Mütter lachten und strahlten beim Anblick dieses Fremden, sie winkten oder brabbelten sogar etwas. Ich habe es nur einmal erlebt, dass ein kleiner
Junge sich in die Arme seiner Mutter flüchtete, als ich näher und näher kam. Nur die Studenten hier auf dem Campus sind irgendwie anders. Sie machen bis auf wenige Ausnahmen fast den Eindruck,
als bemühten sie sich, mich nicht wahrzunehmen. Coolness ist da wahrscheinlich angesagt. Ich weiß jedenfalls eins, wenn ich nach Old Germany zurückkomme, will und werde ich jedem Ausländer auf
der Straße in der gleichen oder zumindest ähnlich offenen Art und Weise begegnen.
Mali erlebte eine ähnliche Geschichte, bei der es wichtig ist zu wissen, dass sie lange, leicht wellige blonde Haare hat, groß und sehr schlank ist, was normalerweise Attribute sind, die Chinesen
besonders faszinierend finden. Und das galt auch für ein kleines Mädchen, dem sie begegnete. Aber als Mali die Kleine dann auf Chinesisch ansprach, passierte es. Sie rettete sich schreiend in die
Arme der Mutter. Wie diese dann erzählte, hatte ihre Tochter sie staunend für eine übergroße Barbie gehalten. Aber dass diese Barbie dann sprechen konnte, raubte ihr die Fassung, es war einfach
zu viel des Guten. So kann's einem gehen, wenn man denn ein Klischee erfüllt, gelle?
Einen Abend verbrachte ich lecker essend mit David, einem Amerikaner und Mitstudenten von Mali, der sich für meine bisherigen Reiseverlauf interessierte, weil er nach seinem Studium von hier aus
mit dem Zug Richtung Belgien und Holland will, um dort ~ ähnlich wie ich mit Thüringen ~ seine Wurzeln kennen zu lernen, die Urgroßeltern kamen von dort. Auf seine Empfehlung sind wir dann in
eines der größeren chinesischen Hotels gezogen, das ein Abendbuffet quer durch die chinesische und auch teilweise westliche Küche anbot. Meine, mit 99 Yüan bisher kostspieligste kulinarische
Eskapade, aber lecker. Für deutlich weniger als diesen Betrag sind wir zu einem anderen Zeitpunkt mal zu viert Essen gewesen, und zwar mit mehreren Gängen, incl. eines ca. 45 cm langen Fisches,
der uns ~ bevor er dann das zeitliche segnen musste ~ vorher gezeigt wurde. Ich sag' es wieder, es ist für mich nicht das Gelbe vom Ei, wenn ich das Tier, das ich gleich essen soll, bzw. will,
vorher noch lebend sehe, und sei es auch „nur“ ein Fisch.
Tja, was gäbe es zu Jinan noch zu sagen? Ach ja, hier gehen die Leute meistens bei Grün über die Straße, sie stehen brav da und warten, bis so weit ist. Was aber nicht bedeutet, dass die
Autofahrer sich genauso diszipliniert verhalten, wenn die Fußgänger Grün haben. Damit erwies sich das Verkehrsgeschehen hier als deutlich langweiliger, da mir die Wartezeiten für Fußgänger extrem
lange vorkamen, und ich mich alleine dann auch nicht traute. Ansonsten ist diese Stadt sicher kein touristisches Highlight, aber das war ja auch nicht der Grund meiner Fahrt hier her. Und so fing
ich langsam wieder an, meine Weiterreise zu organisieren und zu schauen, wohin es mich als nächstes zieht.
Aber mitten in meinen Überlegungen platzte dann die Bombe. Nämlich in dem Moment, als ich quasi verabredungsgemäß mit Pass + Antrag + Taler mein Anschlussvisum abholen wollte. Ich bekam es
nämlich nicht, sondern durfte nur meine Unterlagen abgeben und erfuhr, dass es 5 Werktage dauern würde, bis ich meinen Pass mit Visum zurückbekäme. Außerdem hatte der Typ vom letzten Mal
verschwiegen, dass ich eine polizeiliche Meldebestätigung brauche. Und das wiederum bedeutete, quer durch die Stadt mit dem Taxi zum entsprechenden Revier zu fahren, außerdem meinen Pass und das
bisherige Visum kopieren zu lassen und vor 16 Uhr wieder im PSB Office zu sein. Irgendetwas musste ich da mächtig missverstanden haben, jedenfalls bedeutete das Ganze, dass ich meine
Weiterreisepläne etwas überarbeiten musste, da ich nun den Sonntag als Abreisetag nach Qufu knicken und nicht vor Freitag nächster Woche weiterziehen konnte. Prost Mahlzeit. Aber was soll's. I'm
not in a hurry, dann treibe ich mich halt noch ein wenig in und um Jinan herum. Schließlich war ich noch nicht an dem innerstädtischen See Daming Hu und die Quelle des Schwarzen Tigers habe ich
auch noch nicht gesehen.
Außerdem überlegte ich mir, die beiden Städte Qingdao (= Tzingdao) und Qufu (= Tschüfu) von hier aus in Form einer Tages- oder Zweitagestour anzusteuern und dann von Jinan aus in einem ca. 15
Stunden-Rutsch nach Schanghai zu knattern. Wobei Qingdao, wie Schanghai, ebenfalls am Gelben Meer liegt, und ich eh mal wieder Bock auf so ein richtig großes Wasser mit viel Strand habe, auch
wenn der sich jahreszeitlich bedingt, im Moment weniger zum Relaxen und Baden eignen dürfte. Hier werden sich zur Olympiade 2008 die Segler tummeln. Außerdem wird hier das berühmte Tsingdao Bier
gebraut und es ist die viert größte Hafenstadt Chinas, die zu Kaiser Wilhelms Zeiten baulich von Deutschland geprägt wurde. Qufu hingegen ist die Konfuziusstadt, in der er geboren wurde, aufwuchs
und anfangs lehrte. Ach ja, begraben wurde er hier auch. Auch wenn ich, als ich dann hingefahren bin, das olle Grab nicht finden konnte, es sollte laut Reiseführer ein Hügel sein. Nur leider war
es saumäßig ausgeschildert und es gab ziemlich viele Hügel auf dem riesigen Areal und so habe ich schließ das Handtuch geworfen. Na ja, so interessant fand ich Gräber eh noch nie.
Und damit dürfte klar sein, dass ich es mal wieder gewagt habe und in Qufu sowohl im Konfuzius Tempel, als auch in dem Areal gewesen bin, in dem sowohl er, der große Philosoph, als auch die
ganzen Familienmitglieder verbuddelt wurden. Aber es war wie immer, und ich nahm mir erneut vor, diesem verflixten Gedanken, auch ich müsste mir solche wichtigen Gedenkstätten anschauen, nicht
mehr zu folgen. Denn im Grunde genommen hätte ich mir den Aufwand mit Qufu sparen können, mal abgesehen davon, dass dieser Ort noch chinesischer daher kam, als alle bisherigen und so schon die
Reise wert war. Hier wirkten selbst die Hauptstraßen wie die kleinen Gassen in Peking, wobei es die kleinen zusätzlich auch noch gab. Und zwar hinter den Mauern, die den gesamten
Konfuzius-Bereich umgaben; es war wohl die alte Stadtmauer. So ähnlich hatte ich mir immer Chinatown in New York oder so vorgestellt, nur dass hier die Straßen etwas schlammig waren, da es
geregnet hatte. Aber das störte hier niemanden, denn hinter diesen Mauern brodelte das wahre Leben, in das ich wieder einmal nur zu gerne eintauchte. Es war ein Betrieb, wie in Hamm auf dem
Bahnhof. Aber auch hier war ich der einzige Fremdling, wie schon von Anfang an im Zug und bei meiner Ankunft. Einer Ankunft, die auf einem Bahnhof weit vor den Toren der Stadt über die Bühne
ging. Was bedeutete, dass sich die wenigen Taxifahrer um den einzigen eventuellen Fahrgast rangelten. Nur dass der gar nicht mit ihnen fahren wollte, denn der hatte sich im Zug wieder einen der
netten und hilfsbereiten Chinesen gekrallt, der ihm nun behilflich war, diese Taxifahrer-Klippe zu umschiffen und zu einem in einiger Entfernung wartenden Bus mit der Nr. 5 zu gelangen. Manoman,
die waren vielleicht sauer. Es klang gar nicht freundlich, was sie meinem Begleiter alles zu riefen. Dabei wäre ich auch ohne ihn mit dem Bus gefahren, schließlich hatte ich ja in meinem
Reiseführer auch das Wort Konfuzius Tempel in Chinesischer Schrift stehen und war also gut gewappnet. Auch für das weitere Vorgehen im Ort, denn der Bus fuhr nicht bis zum Tempel, so dass ich
mich auf diese Weise weiter vortasten musste. Und das klappte dann auch Stück für Stück. Wobei ich auf das Vorzeigespielchen in rückwärtiger Richtung dann verzichten konnte, da ich einfach
drauflos lief und meiner Nase folgte, bis ich irgendwann genug hatte und Ausschau nach besagtem Bus Nr. 5 hielt.
Und als ich ihn dann kommen sah, probierte ich etwas aus, von dem ich bisher nur vom Hörensagen wusste, dass es möglich sei. Nämlich dem Busfahrer auf offener Strecke ein Zeichen zu geben ~ den
Arm ausgestreckt schräg nach unten zu halten, damit er anhält und mich mit nimmt. Und siehe da, es funktionierte. Ich rein in das altersschwache Gefährt, einer jungen Frau, die als Schaffnerin
fungierte ~ was aber erst einmal nicht näher zu erkennen war ~ einen Yüan in die Hand gedrückt und schon ging's weiter Richtung Bahnhof. Die Falttür, die auch dieser Bus hatte, öffnete sich bei
jedem Bremsvorgang, bzw. musste anschließend per Hand wieder zugeschoben werden, da der gesamte Schließmechanismus wohl nicht mehr funktionierte. Und somit hatte die Schaffnerin neben dem
Kassieren auch die Aufgabe des Türenöffnens, bzw. -schließens. Niemanden kratzte das. Ich war wieder einmal begeistert von der Einfachheit, mit der hier alles möglich ist.
Und so war es auch (scheinbar) einfach, vom Hauptbahnhof in Jinan den richtigen Bus in Richtung Uni zu finden, zumal ich ja die Busnummer wusste. Nur um sicher zu gehen, spät abends nicht noch
eine unfreiwillige Sightseeing Tour zu machen, fragte ich jemanden an der Haltestelle nach der Richtigkeit. Aber der verstand nun ausgerechnet nur Chinesisch. Aber es mischte sich flugs eine
Chinesin mit einem freundlichen „can I help you“ein, so dass die Kuh erst einmal vom Eis war. Und als ich ihr dann erzählte,
dass ich zur Uni wolle, bot sie mir neben der Buslinie 18 gleich noch ein paar andere an. Nur meine K 51 war nicht darunter. Aber da sie sich auszukennen schien, kletterte ich brav in die 18 und
los ging's.
Während der Fahrt erfuhr ich von ihr, dass sie auch Medizin an der Uni in Jinan studiert, allerdings die westliche, und sie von mir, dass ich auf dem Campus der TCM wohnte. Und das muss so etwas
wie ein Stichwort gewesen sein, ihr sagte, dass sich beide Unis an unterschiedlichen Stellen befinden, denn sie rauschte zum Busfahrer, um das Ganze haltestellenmäßig abzuklären. Mittlerweile
hatte ich aber ein paar vertraute Wegmarken ausmachen können, so dass ich immerhin wusste, dass wir so gaaanz falsch nicht sein konnten. Und dann kam sie auch schon zurück, um mir zu erzählen,
dass wir an der nächsten Haltestelle raus müssten, um einen Weg zu meinem Campus zu finden. Wobei sie mir selbstverständlich helfen würde.
Aber an der Haltestelle war mir dann gründlich klar, wo wir uns befanden. Von dort aus hätte ich nur noch 15 Minuten zu laufen. Und das versuchte ich ihr klar zu machen. Aber nun schien sie
plötzlich kein Englisch mehr zu verstehen, jedenfalls nicht diese Art von Englisch. Denn sie bestand darauf, mich sicher durch das dunkle, finstere Jinan zu begleiten, schließlich könnte ich mich
ja verirren oder überfallen werden oder sonst etwas Schreckliches passieren. Selbst das Argument, dass ich diesen Weg schon einige Male im Dunkeln wie im Hellen gegangen war, konnte sie nicht
davon abbringen. Erst als es nur noch ca. 100 Meter bis zum Campus Eingang waren, traute sie mir zu, diese allein zu bewältigen. Ach ja, die Fahrt hatte sie ~ wie selbstverständlich ~ zuvor beim
Einstieg bereits über ihr Dauerticket auch für mich bezahlt. Ich sag's ja, die Chinesen sind ...
Einfach war es auch, meine Fahrkarte nach Qingdao mit Hilfe einer von Malis Übersetzerinnen in einem Ticketshop zu erstehen. Dieses Mal tatsächlich für den Express Zug + Soft Seat. Ich wollte
doch den Unterschied endlich mal kennen lernen. Was soll ich sagen, der weichere Sitz war tatsächlich die bessere Wahl, da unschlagbar bequemer. In so einem Teil würde ich locker auch acht
Stunden wegstecken. Und auch die Schnelligkeit, in der ich hin und zurück kutschiert wurde ~ das Schnellste waren 201 Km / h, wie an Hand der Laufschrift ablesbar war ~ gefiel mir gut. Aaaaaber,
die Fahrt war total langweilig, sie hätte auch in einem deutschen ICE stattfinden können. Es gab nur Sitze in Fahrtrichtung, in denen fast ausschließlich Männer saßen, die wie wild telefonierten,
verbissen irgendwelche Zeitungen lassen oder mit ihren Organisern kuschelten. In diesem Zug gab es einfach keine Chinesen, die sich auch nur einen Deut für einen Ausländer interessierten, der zur
Abwechselung mit ihnen im Zug nach Qingdao fuhr. Kein interessierter Blick, kein Lächeln, keine Frage, kein Gruß, kein gar nichts. Irgendwie frustrierend nach all diesen Verwöhnarien zu jeder
Gelegenheit.
Da hatte ich sie also doch noch gefunden, diejenigen mit den unnahbaren Gesichtern, schneller als ich gedacht hatte und als mir lieb war. Das Rampenlicht kann ganz schön süchtig machen,
hihi.
Auch Qingdao schien so gestrickt zu sein, wie diese Schnellzug-Chinesen. Und in mir keimte der Verdacht, dass ja vielleicht jeder Chinese, der mit so einem Zug hier ankam, hier in der Stadt
bleiben musste, weil sie hier so geballt vorkamen. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Leute dort bereits so oft mit Ausländern (insbesondere von Deutschen, wie man mir sagte) konfrontiert worden
sind, dass es sie einfach nicht mehr kratzte, als ich da nun auch noch meinte auftauchen zu müssen. Deutsche fallen hier anscheinend in Scharen ein, um sich das alte Erbe unseres damaligen
Kaisers anzuschauen. Und ich muss gestehen, dass es schon äußerst interessant war, z.T. halbe oder ganze, schön renovierte Straßenzüge zu sehen ~ oft platanengesäumt ~ die genauso in Bremen,
Hamburg oder einer anderen Stadt mit ähnlicher Bausubstanz zu sehen sind. Mit dem einzigen Unterschied, dass an diesen Häusern ~ vor allem, wenn gewerblich genutzt ~ große Schilder mit
chinesischen Schriftzeichen zu sehen waren. Und an jedem dieser Häuser war eine zweisprachige schwarze Marmortafel angebracht ~ Chinesisch und Englisch ~ die Näheres über das Baujahr, den
Architekten, den Bauherrn und die ehemalige Nutzung verriet. Das sah schon ähnlich kurios aus, wie eine echte bajuwarische Kuckucksuhr an der Waterkant oder eine Krachlederne, bzw. Dirndel bei
Jauch. Selbst einige Kirchen aus dieser Zeit gab es, und in eine bin ich, oh Wunder, sogar hinein marschiert. Hier findet dann auf Chinesisch katholischer Gottesdienst statt, was ich aber nicht
verfolgen konnte, da sie mich in die Kirche, in der gerade einer stattfand, nicht hineinlassen wollten. Ich konnte durch den Türspalt allerdings erkennen, dass sie ähnlich gut gefüllt war, wie
früher unsere Kirchen auch. Neben den prächtig renovierten Häusern gab es an vielen Stellen aber auch jede Menge, denen dieses Schicksal noch nicht bestimmt war, die vielleicht auch nie ihre
zweite Chance bekommen würden und leise vor sich hin zerfielen. Ein Jammer, aber wohl der Lauf der Dinge.
In der St. Michaels Kirche, der größten am Ort, sah ich einen chinesischen Mönch in der typischen braunen Kutte, wie wir sie in D auch hin und wieder zu Gesicht bekommen. Er hockte in einer Bank
und beschäftigte sich mit seinem Handy, verschickte oder bekam anscheinend eine SMS. Und vorne, in der ersten Bank, saß ein chinesisches Pärchen, das eng aneindergeschmiegt zu beten schien. Aber
auch hier war Eintritt fällig, wenn auch nur bescheidene 5 Yüan (= 50 ct).
Die Hauptsache an Qingdao aber war für mich das Meer, dass ich aus den Fenstern des Old Observatory Hostels bereits sehen konnte, zum Greifen nah, aber dennoch sicher eine halbe Stunde Fußmarsch
entfernt. Die Lage dieses Hostels auf einem Hügel, von dem man einen Blick über die ganze Stadt und eben auch über das Meer haben sollte, waren ausschlaggebend für meine Wahl. Auch wenn das
bedeutete, dass es wieder einmal nicht so gaaaaaanz leicht zu finden sein würde, zumal ich vergessen hatte, mir den Namen + Adresse in Chinesisch aufschreiben zu lassen.
Und richtig genug. Es fing damit an, dass der Zug nicht in dem schönen alten Bahnhof einlief, sondern in einem Ausweichbahnhof. Wie ich auf meinen Spaziergängen später sehen konnte, wurde das
Prachtstück gerade mit einem ziemlichen Aufwand renoviert. Wahrscheinlich mit Hinblick auf die Segel-Olympiade. Das aber bedeutete, dass ich die angegebene Buslinie nicht finden konnte, da sie
anscheinend den Ausweichbahnhof nicht anfährt, und mich die Taxi- und Dreiradfahrer auf meinem Suchgang bereits wie die Geier verfolgten. Allerdings ohne einen Zettel mit entsprechenden
Hyrpglyphen konnte ich ihre Dienste vergessen. Also versuchte ich mit meinem strahlendsten „ni hao“ unter
den jüngeren wieder jemanden zu finden, der zumindest ein paar Brocken Englisch beherrschte und hatte gleich beim ersten Versuch das Glück, erneut eine dieser unsagbar hilfsbereiten Chinesinnen
anzusprechen, die immerhin sagte „a little“. Und ihr Talent + dem meinigen, reichten dann aus, um alle Taxi- und
Dreiradgeier in die Flucht zu schlagen und mich in einen der wartenden Busse zu zerren. Nicht ohne von ihrem Dauerticket meine Fahrt gleich mit abbuchen zu lassen. Eine Erstattung des Betrages
kam auch hier nicht in Frage.
Mein Talent bestand u.a. darin, dass ich mich immerhin mit der möglichen Aussprache der Wegzeichen, wie einem „Municipal“
= Hospital und einer „red christians church“ befasst hatte und ihr das nun versuchte
vorzulesen. Hihi, wenn man die Betonungszeichen nicht beachtet, die auf manchen Buchstaben stehen, ist die Chance nicht sehr groß, dass man verstanden wird. Denn je nach Betonung kann das Wort
einen völlig anderen Sinn bekommen. So könnte ein Wort mit einer bestimmten Betonung z.B. Brot bedeuten und mit einer anderen möglicherweise Damenbinde. Ein entscheidender Unterschied im Fall des
Falles, gelle? Aber das ist jetzt meine Fantasie, obwohl es dennoch so ist. In meinem kleinen Sprachführer gibt es immerhin den Hinweis, dass ein einziges Wort, je nachdem welches der 4
Betonungszeichen oben drüber steht, 4 verschiedene Bedeutungen hat. Also kaum weniger diffizil, als als bei meinem in künstlerischer Freiheit verwandten Beispiel.
Aber richtige oder eher falsche Betonung hin und her, wie schon mal erwähnt, holt ein Chinese immer noch einen weiteren dazu, wenn er allein nicht klarkommt und so beteiligte sich dann bald der
hintere Bussektor an meinem heiteren Ratespiel. Bis schließlich eine andere junge Frau mit dieser Kombination „Municipal + red christians
church“ etwas anzufangen wusste ~ nachdem ich auch noch mein „phrasebook“dazu genommen hatte ~ und meinem Engel die Hintergründe und Zusammenhänge wortreich erklärte. Und so fuhr sie mit mir in
diesem Bus bis zu irgendeiner Stelle, an der ich überhaupt keine Ahnung mehr hatte, wo ich mich denn befinden könnte. Hier stiegen wir aus, und sie fragte sich durch, bis wir tatsächlich einen
Bus mit der Nr. 5 fanden und enterten. Und hier ließ sie doch glatt gegen alle meine Widerstände erneut auch meinen Fahrpreis von ihrer Karte abbuchen. Nur mit Gewalt hätte ich sie daran hindern
können und so konnte ich nur mein „ßjeißjei“ (= Danke) erneuern. Genau wie eine Weile später, als sie mich dann an der
Municipal Haltestelle aus dem Bus nötigte und selber den ganzen Weg wieder zurück fuhr. Tja, was soll ich dazu sagen.
Auf jeden Fall war die rote Kirche von hier aus nicht mehr zu übersehen, und ich machte mich auf die Suche nach dem Hostel-Hinweisschild an ihren Mauern, um dann der kleinen Straße den Hügel
hinauf zu folgen. Wie schön, dass ich nur mein kleines Daypack und nicht meine gesamtes Gepäck da hinauf zu tragen hatte. Und dann lag es vor mir, das altehrwürdige Gemäuer der ehemaligen
Sternwarte von Qingdao, umfunktioniert in ein Youth Hostel, aber noch bestehender Kuppel mitsamt Teleskop, das hin und wieder auch noch mal ausgefahren wurde, aber ansonsten nur als Vorraum für
das kleine Restaurant + großer Dachterrasse diente. Leider war die Terrasse auf Grund der dezemberlichen Witterungsverhältnisse nicht mehr als Außensitzplatz zu gebrauchen. Aber als Quartier für
den Hostelhund ~ einen verspielten Husky ~ und zum Luftschnappen + Blick auf die Stadtlandschaft und das Meer ein durchaus gutes und wunderschönes Plätzchen. Hier würde ich zu gerne noch einmal
mit ein paar netten Leutchen an einem lauschigen Sommerabend sitzen.
Aber diese Stadt sollte mir in der kurzen Zeit noch etwas zeigen, was ich inzwischen in keiner chinesischen Stadt mehr vermutet hätte. Nämlich einen Park der etwas anderen Art. Einer, in dem es
nicht von Pagoden und Pagödchen, sowie Buddhas in allen möglichen Ausführungen wimmelte. Obwohl es einige dieser Dinge auch hier geben soll, nur sind sie mir wohl auf Grund der Größe des Areals
nicht begegnet. Es ist der Zhongshan Park, der größte der Stadt und ein relativ alter dazu. Lt. Reiseführer einer der besten ganz Chinas. Um diese Zeit gab es nur noch wenige Besucher und alles
machte den typischen Eindruck eines Parks, de sich auf den Winterschlaf vorbereitet. Empfindliche Pflanzen waren abgeschirmt, alles wirkte ein wenig verwahrlost, verlassen, sich selbst
überlassen. Aber das machte für mich den Charme dieses Parks aus.
Sicher, es gab sie, die Buden und Büdchen ~ statt der Pagoden ~ und es gab auch Figuren und Pavillons, aber höchst profan, mit keinerlei religiösem Touch. UND, sie waren nicht mehr in Betrieb.
Außerdem gab es reichlich Wege ~ besser Trampelpfade ~ die von den gepflasterten Wegen in die Wildnis des Parks führten. Schön, dass es trocken war, und ich der Einladung dieser Pfade folgen
konnte, anders als auf dem Konfuzius Friedhof in Qufu, wo ich auf Grund des nassen Wetters die Hauptwege nicht verlassen konnte.
Und als ich mal wieder einen der kleinen Hügelchen hochkraxelte, bemerkte ich, dass mich von oben jemand beobachtete und dann freundlich grüßte. Ein nicht mehr ganz junger Mann, mit einem Block
in der Hand. Als ich an ihm vorbei weiter gehen wollte, fragte er mich mit Gesten, ob er mich skizzieren dürfe. Er durfte. Und dann saß ich im Zhongshan Park von Qingdao auf einem Stein in der
Sonne und ließ mich mittels eines Kugelschreibers im Skizzenheft eines chinesischen Hobbymalers verewigen. Mich hat noch nie jemand skizzieren wollen, außer in irgendwelchen Zeichenkursen oder
den Straßenmalern, die einen für einen Obulus mehr oder weniger gekonnt aufs Papier bannen wollen. Dazu musste ich erst tausende von Kilometern anreisen. Hier war es wieder, dieses kleine,
besondere Gefühl der Freude, des Glücks und der Dankbarkeit, das ich auf meiner Reise schon so manches Mal erleben durfte. Und es gab gleich zwei Menschen, die so fühlten, denn auch für diesen
Mann schien es etwas besonderes zu sein. Er bedankte sich immer wieder und schrieb mir in chinesischer Schrift ~ wie ich vermutete ~ auf einem seiner Skizzenblätter seine komplette Adresse +
Telefonnummer auf. Wie ich später von Lin, der Chinesin mit dem deutschen Mann erfuhr, lebt er in der gleichen Straße, in der sie als Kind mit ihren Eltern gewohnt hat. Lin stammt nämlich aus
Qingdao, wie sie immer wieder erzählte und wäre, wenn sie Zeit gehabt hätte, nur zu gerne mitgefahren.
Tja, und dann saß ich schon wieder im Taxi, um mich zum besagten Ausweichbahnhof bringen zu lassen. Denn einen Aufguss des Abenteuers meiner Anreise musste ich nicht haben und 2 + eine halbe
Stunde später war ich dann schon wieder in Jinan, mit der Gewissheit, morgen, am Nikolaus Tag mein „extended
visa“ausgehändigt zu bekommen. Und Knecht Ruprecht zuckte nur einmal kurz mit der Rute, weil ich es mangels besseren Wissens gewagt
hatte, schon am Morgen dort aufzukreuzen, die Visa-, bzw. Passausgabe aber erst nachmittags ab 13 Uhr stattfindet. Und so hatte ich sie, meine weiteren 30 Tage China, wenn auch mit dem kleinen
Wermutstropfen, dass diese 30 Tage am 29. Dezember zu Ende sein werden. Und so würde ich den Jahreswechsel nicht irgendwo in Afrika und auch nicht in China erleben, sondern mich irgendwo im
Nirgendwo aufhalten / bewegen müssen. Will heißen, dass ich mich ausgerechnet zu dem Zeitpunkt mit dem Wechsel in ein anderes Land und ein anderes Domizil befassen werden muss. Eine Vorstellung,
die mir nicht besonders behagte.
Aber noch am gleichen Abend wurde dann Plan B ins Leben gerufen, als ich nämlich sozusagen meinen Ausstand für Marli. Lin und David gab, denn am Tag drauf wollte ich ja allen eigenen Unkenrufen,
von wegen langweilig und so, zum Trotz, meinen Express-Zug nach Schanghai besteigen, für den ich mit Lin's Hilfe immerhin noch das letzte Ticket bekommen hatte, wie man uns im Ticket-Shop
erzählte. Die Empfehlung gilt halt, dass Tickets nicht erst am Tag vor der Reise gebucht werden sollten, weil dann evtl. keins mehr zu haben sein könnte. Und das muss man sich mal reinziehen, die
chinesischen Eisenbahnen sind ~ wie ich ja immer wider erlebte ~ in aller Regel bis zum letzten Platz ausgebucht, während in Deutschland von so einem Zustand nicht einmal mehr geträumt wird. Aber
bei den Preisen hier ist das wahrscheinlich auch kein Wunder. Ca. 23 Euro für knapp 1000 Kilometer und das in einem ICE Gefährt ohne weiteren Zuschlag, dem CRH (China Rail Highspeed), der
immerhin auf dieser Strecke teilweise mit 205 Km/h durch die Gegend rauschte. In dem langsameren Normalzug wäre es dann noch einmal günstiger, wenn auch deutlich langsamer, nämlich 15 Stunden,
statt siebeneinhalb. Wobei sich der Preisvorteil mehr oder weniger relativieren dürfte, da man sich ja höchstwahrscheinlich einen Schlafplatz gönnen würde. Und wenn es dann der in der Soft
Sleeper Kategorie (der besseren Klasse) wäre, würde das Ticket dann ca. 21 Euro kosten. Das Hard Sleeper Ticket habe ich im Moment nicht auf dem Schirm, es würde aber wohl bei 14 bis 16 Euro
liegen.
Und damit hieß es nun nach immerhin 16 Tagen mit etwas Wehmut Abschied zu nehmen, denn irgendwie hatte sich in der Zeit hier in Jinan etwas Vertrautes aufgebaut, auf das ich jetzt erst einmal
wieder verzichten müsste. Hatte es doch sogar Situationen gegeben, in denen ich z.B. im Bus, oder auf der Straße plötzlich jemanden aus meinem neuen Bekannten- / Freundeskreis traf. Etwas, was in
den ganzen Monaten meiner Reise noch nicht gegeben hatte.
Aber trotzdem: „Tschüss Jinan, tschüss Mali, Lin, Penda, David und ihr anderen.“, auf
zur nächsten Etappe. Schanghai, ich komme.
Und weil es vielleicht ganz gut passt, hier ein Gedicht von Max Feigenwinter, das ich von einer guten Freundin gemailt bekam. Sie war der Meinung, dass es prima zu meiner Situation, meinem
Reiseentschluss passt. Und da stimme ich gerne zu. Sie fand es in einem etwas anderen Adventskalender und wusste wohl auch, dass es bei mir besser ankommen würde, als die
üblichen „Macht hoch die Tür, usw.-Verse“.
Schweige und höre
Vielleicht geht dir
in der Nacht ein Licht auf,
vielleicht ahnst du plötzlich,
dass Friede auf Erden denkbar ist.
Vielleicht erfährst du schmerzhaft,
dass du Altes zurücklassen musst.
Vielleicht spürst du,
dass sich etwas verändern wird.
Vielleicht wirst du aufgefordert,
aufzustehen und aufzubrechen.
Schweige und höre,
sammle Kräfte und brich auf,
damit du den Ort findest,
wo neues Leben möglich ist.
In diesem Sinne wünsche auch ich allen, die sich hier tummeln, eine beschaulich schöne
Zeit.