Ukraine & Polen ~ Tag 19

Mi. 30. Mai 2012

 

Statt also in diesem Kaffeeröster Café zu frühstücken, ließen wir uns im Hotel eine Art Gutschein, oder auch Kontrollabschnitt, fürs Frühstück geben, der dem Sinn des Wortes nach „Talon“ hieß. Irgendwie kam mir das Wort aus dem Französischen bekannt vor, nur hatte ich gedacht, dass es bereits mit der Zeit der Belle Epoque aus dem Sprachschatz verschwunden sei. Aber hier hatte es überlebt, vielleicht als Überbleibsel der französischen Sprache, die ja mal im alten Russland sehr gepflegt, und dann in einzelnen Worten in den Sowjet Alltag übernommen wurde, in dem manches nur über Kontrollabschnitte, bzw. Talons erreichbar oder zu bekommen gewesen sein dürfte. Allerdings kann ich mich schwach auch daran erinnern, dass dieses Wort früher bei uns ebenfalls mal in Gebrauch war. Wie auch Trottoir oder Portemonnaie. Aber wer benutzt diese Wörter heute schon noch?

Bevor wir uns in Richtung Bahnhof auf den Weg machten, schickte Torsten, wie verabredet, Iwan noch eine SMS, um zu erfahren, wann wir Dolly wieder übernehmen könnten. Leider bekamen wir keine Antwort, weil sie wohl irgendwo zwischen Lemberg und Dolyna im Handy-Netz hängenblieb. Also mussten wir so zurückfahren, dass wir im Laufe des Nachmittags an der Werkstatt eintrudeln würden, um zu erfahren, ob Dolly wieder fahrbereit ist.
Passende Tickets waren schnell gekauft und so machten wir noch einen Rundgang durch den beeindruckenden Bahnhof. Irgendwie verrückt, dass diese alten Gebäude, die ca. um die Wende vom 19ten ins 20ste Jahrhundert gebaut wurden, immer noch eine derartig Wirkung haben, selbst auf mich, der sich eher der Moderne verpflichtet fühlt.
Leider konnten wir in diesem riesigen Gebäude zwar eine Toilette, aber kein Bahnhofscafé o.ä. entdecken, in dem wir einen Lemberger Bahnhofskaffee hätte testen können ~ es schien nur Zonen zu geben, in die man allein mit Ticket gelangen konnte und in denen es möglicherweise etwas zu trinken gegeben hätte. Also suchten wir außerhalb nach einer Quelle und fanden ziemlich abseits in einer Ecke des Bahnhofs eine Lokalität, die aus Party Zelten bestand. Obwohl hier eher die frühen Trinker sich ihr Bier oder härteres gönnten, brauten sie doch auch einen gut trinkbaren Kaffee, der dann erst einmal bis Dolyna reichen musste.
Auf dem Weg zum Bussteig kamen wir noch mit ein paar Taxifahrern ins Gespräch, von denen uns einer, Deutsch sprechend, verklickerte, dass er uns für 40 € nach Dolyna fahren würde. Nur wenig mehr, als unsere Bustickets gekostet hatten. Ein reizvoller Gedanke, auf diese Weise sofort und vor allem schneller und bequemer nach Dolyna zurück zu kommen, zumal es eh noch eine Weile bis zur Abfahrt des Busses dauern würde. Ein klärendes Gespräch mit der Dame am Ticket-Schalter erlaubte die Rückgabe der Tickets, so dass wir unserem Taxifahrer das Okay geben konnten. Allerdings machte die Schalter-Lady den Eindruck, als wenn es ihr schwer fiele, auf diese Einnahme zu verzichten.
Bevor es dann wirklich losgehen konnte, steuerte unser Taxidriver noch eine Tankstelle an und bat um einen Vorschuss von 20 €. Nachdem er ihn vertankt hatte, machte der raffinierte Hund uns klar, dass die Fahrt 50 € kosten müsse, weil er für 40 nun wirklich nicht den weiten Weg fahren könne. Schließlich hätte er ja auch den Weg zurück zu bewältigen. Blahblahblah.
Dieses Erpressungsgespräch fand geschickterweise natürlich jetzt und nicht erst am Ende der Fahrt statt, denn dann hätten wir den Burschen mit den 40 € stehen lassen können, was ihm sicher klar war. Auman, wie oft muss man auf diese Masche noch hereinfallen, um endlich schlauer zu werden und solchen Lockangeboten nicht mehr auf den Leim zu gehen?
Wenn wir die 20 € nicht schon rausgerückt hätten, wären wir garantiert wieder ausgestiegen und hätten uns reuevoll am Ticketschalter zurückgemeldet. Aber so blieb nur unser Verhandlungsgeschick, das den Preis dann in der Mitte bei 45 € festklopfte. Vielleicht eh von dem Typen genauso geplant. Na ja, als kleinen Ausgleich erzählte er uns dann unterwegs ein paar Dönekes aus der Zeit, als er mit falschen Papieren in Deutschland lebte und schließlich ihretwegen in den Bau sollte oder das Land verlassen musste.
In Dolyna angekommen, benötigten wir unbedingt eine Stärkung, die wir in dem bereits erwähnten Café in Rathausnähe einzunehmen gedachten. Beim Essen rätselten wir ein wenig herum, ob Dolly schon fertig sein würde, denn Iwan erreichten wir immer noch nicht.
Ein Taxi brachte uns dann zur Werkstatt, wo eine startbereite Ente schon auf uns wartete. Von Iwan noch immer keine Spur. Hartmut löhnte die restlichen Euro und dann flogen wir ~ nun wieder leicht und beschwingt ~ zum Privathotel Kieas Oleg zurück.
Und auch wenn die Reparatur etwas teurer als veranschlagt geworden war, waren wir uns einig, dass sie in unserem hochpreisigen Deutschland deutlich mehr gekostet hätte, mindestens das Dreifache, wenn nicht noch mehr ~ falls sich bei uns überhaupt eine Werkstatt an die erforderlichen Arbeiten gemacht hätte. Allein schon der bei uns übliche Stundenlohn für 2 Tage und 2 fleißige Monteure hätte schon ein Riesenloch ins bereits benannte Portemonnaie gestanzt. Plus Richtbankstunden, Materialkosten, Unternehmer Zuschlag und was einem die Werkstatt sonst noch unterzujubeln pflegt. Von der Märchensteuer ganz zu schweigen. Alles zusammen hätte Hartmut mit Sicherheit bittere Tränen in die Augen getrieben.
Und flugs war die Idee geboren, dass, falls es sich erneut einmal ergeben sollte, ein Auto wieder aufbauen zu müssen, es in der Ukraine machen zu lassen. Verbunden mit einem Kurzurlaub, z.B. in Odessa, an dem wir noch vor gar nicht langer Zeit in nur 175 Kilometer Entfernung vorbei gekommen waren. Die Versuchung, diesen relativ kleinen Schlenker zu machen und dafür anderes, wie Lemberg, Breslau o.ä. fallen zu lassen, war riesig. Aber dann siegte doch die ursprünglich angedachte Reiseroute. Wer weiß, vielleicht wäre Dolly und uns dann ihr Zusammenbruch erspart geblieben, weil wir ja diese Wahnsinnsstrecke durch die Waldkarpaten nicht unter die Räder genommen hätten.
Quod esset demonstrandum!
Nachdem wir unsere Zimmer storniert und unser restliches Gepäck wieder eingesammelt hatten, machten wir um 16 Uhr den Abflug Richtung Polen. Es wurde auch Zeit, da unser Nils Holgersons Trip sich morgen, am Donnerstag den 31. Mai dem Ende zu neigen sollte. Und da noch ein ziemliches Stück Weg von über tausend Kilometern vor uns lag, verzichteten wir auf einen weiteren Versuch, Iwan doch noch zu erreichen, uns bei ihm zu bedanken und zu verabschieden. Schade.
Wir verzichteten auch auf die kleinen Landstraßen und nutzten ~ bis auf die schon früher beschriebene Hartmut-Mautstraßen-Ausnahme ~ nur die Autobahn und autobahnähnlichen Straßen, die wegen der bevorstehenden Fußball EM in bestem Zustand, wenn auch manchmal noch im Bau waren.
In Polen waren sie interessanterweise alle paar Kilometer mit einem Starenkasten bestückt, der freundliche Erinnerungsfotos schießen konnte, wenn man ihn übersah und zu schnell flog. Aber Dank „Klein Adlerauge“, der ich immer noch bin, sah ich selbst aus der zweiten Reihe, meinem Sitz auf der Rückbank, all diese Blitzer lange bevor sie Torsten oder Hartmut als solche erkannten.
Wir weihten sogar einen, wie es schien, ganz neuen Grenzübergang ein oder zumindest einen alten, der komplett erneuert wurde. Es würde bei endgültiger Fertigstellung ein Hightech Übergang sein, der von einem noch nicht vollwertigen EU Mitglied in ein EU-fernes Land führte. Ob er wohl bis zur EM fertig sein würde? Uns brauchte das nicht mehr zu interessieren.
Was uns jedoch interessierte, war die Strecke, die wir am Stück schaffen konnten. Nicht umsonst hatten wir auch einen Nonstop Flug ins Kalkül gefasst, bei dem wir abwechselnd fahren würden. Aber im polnischen Tarnowa reichte es dann, zumal feststand, dass wir die Hälfte geschafft hatten. Es war bereits stockdunkel und an einem Punkt schien Steffi von der Autostraße genug zu haben, auf der es immer nur hieß: „Fahren Sie die nächsten Kilometer geradeaus.“ Sie forderte uns auf, abzufahren, um das angepeilte Hotel zu erreichen. Dieser Befehl aber führte zu einer Sightseeing Runde, auf der wegen Dunkelheit nichts mehr zu erkennen war. So auch der winzige Abzweig, der uns, wie wir anderntags im Hellen erkennen konnten, direkt vor die Tore des Hotels Dunajec geführt hätte. Im Dunkeln war davon jedoch nichts zu sehen und so drehten wir fröhlich mit Steffis Hilfe eine Runde nacheinander durch und um Tarnova herum, bis wir dann doch noch ankamen. Wir müssen einige Male daran vorbei gefahren sein und hatten uns schon darauf eingestellt, dass wir nur ein kleines Nickerchen im Auto machen, und dann weiterfahren würden.
Ein 4-Bettzimmer wartete dieses Mal auf uns, aber leider hatte die Küche wegen der späten Stunde schon die Feuer gelöscht, so dass uns nur noch die letzten Krümmel aus unseren Taschen vorm Hungertod retten konnten. Eine Salami o.ä. hatte es, wie durch ein Wunder, bis hier her geschafft, ohne gegessen zu werden. Wenigstens hatten wir unterwegs bereits alles besorgt, um auch in Polen unserem CW Reiseritual treu bleiben zu können.
Was wir aber durch das nicht mehr mögliche Abendessen verpasst hatten, ließ sich erst am anderen Morgen ahnen, als wir uns im Hotelrestaurant über das Frühstück hermachten. Es war reichlich und gut, was durch die Menge an Beruflich-unterwegs-sein-müssenden untermauert wurde. Dass es ein Fernfahrer Hotel war, hatten wir schon bei der Ankunft anhand der vielen Autos vermutet. Und von solchen Stellen heißt es doch, dass man dort gut einkehren kann.

 

Anfang