Republik Moldau & Ukraine ~ Tag 15

Sa. 26. Mai 2012

 

Unser Black Dragon revanchierte sich dann am anderen Morgen, indem er krachend die Tür unseres Schlafraums aufstieß und wie am Abend zuvor mit Feldwebelstimme irgendetwas in den Raum brüllte, was bei ihrem Gemüt wohl als freundlicher Weckruf gedacht war. Jedenfalls polterten darauf hin sämtliche Frauen aus den anderen Schlafräumen laut palavernd und weitere Türen knallend durch den Flur. Die Uhr zeigte gerade mal 5, was für ein Kloster vielleicht normal, für uns jedoch schon gewöhnungsbedürftig war.
Was in Drei-Teufelsnamen sollte das? Frühstück gab es nicht, und der Metropolit sollte erst um 9 Uhr kommen. Brauchten die Damen so lange, um sich draußen im Dämmerlicht des noch frühen und kühlen Morgens an dem Edelstahlbecken frisch zu machen und das Häuschen ohne Herzchen in der Tür zu benutzen? Wir haben es nicht herausgefunden.
Da das Getöse anhielt und dieses Weck-Konzert auch für unseren Security, sowie die anderen als selbstverständlich erschien, machten auch wir das Beste daraus, folgten ihrem Beispiel und produzierten erste Gedanken, wie wir in diesen frühen Tag einsteigen wollten.
Nach einer Katzenwäsche am Outdoor-Waschtisch und Verweigerung der Outdoor-Toilette meinerseits (es pressierte noch nicht) ~ Torsten verspürte ebenfalls noch kein Bedürfnis, und Hartmut hatte eh vor, sich irgendwo in die reichlich vorhandenen Büsche zu schlagen ~ wollten wir das Dorf ein wenig näher erkunden, vor allem daraufhin, ab wann es wo etwas zu beißen plus Kaffee geben würde. Das festzustellen hatten wir nämlich am Vorabend über Rippchen & Wein vergessen.
Wie sich herausstellte, öffnete in Saharna vor 9 Uhr niemand seine Pforten, auch nicht das „magazin“. Dafür hatte es als feinen Ausgleich ~ im Gegensatz zum Kloster ~ ein properes Hock-Toilettenhäuschen. Ebenfalls außerhalb des Hauses. Wobei ich dieses, weil es Meister Propper zu kennen schien, dann doch um einiges lieber benutzte. Torsten folgte wenig später meiner Empfehlung, während Hartmut weiter auf den passenden Busch warten wollte.
Aber dann war es endlich soweit, und wir konnten unsere Wahl aus dem reichlichen Angebot des „magazin“ treffen. Hatten wir doch bereits am Vorabend gesehen, dass es hier von Brot über Wurst & Käse alles gab, einschließlich eines guten Kaffees aus der Maschine, statt aus Tütchen.
Während der Kaffee Tasse für Tasse durch die Maschine gurgelte, bediente die Magazin-Fee immer wieder einen oder auch mehrere Dorfbewohner auf eine ganz spezielle Art. Und zwar bekamen sie ~ womöglich gegen die morgendliche Kühle und / oder ihre trockene Kehle ~ einen Plastikbecher in Zahnputzglasgröße, der randvoll mit einer glasklaren Flüssigkeit, vielleicht Wodka, gefüllt war. Nachdem also alles für einen guten Start in den Morgen getan worden war, murmelten sie etwas rumänisches wie „Tschüss & einen schönen Tag“ oder so und machten sich auf den Weg, wohin auch immer. Den einen oder anderen dieser Herren sahen wir später für eine neue Dröhnung an gleicher Stelle wieder.
Im Kloster hatte man mittlerweile den orthodoxen Bären losgelassen, wobei wir allerdings den Auftritt des Metropoliten unseres Frühstücks wegen verpasst hatten. Man muss halt Prioritäten setzen, und die hatte eindeutig nicht mehr er. (S)ein schwarzer BMW, der standesgemäß aus dem obersten Segment der bayrischen Motorschmiede stammte, stand genau dort, wo sich eigentlich alles andere als ein Auto befinden durfte, im Innersten des Klosters, mitten auf dem Weg, der u.a. zur Klosterkirche führte. Wie es sich für den obersten Gockel nun mal geziemt. Ist doch bei uns auch nicht anders. Vielleicht war er ja auch gehbehindert?
Auf diesem Weg hatte man, ähnlich einem roten Teppich, einen Läufer aus tausenden Blumen gestreut, der die Gläubigen und eine gerade ankommende Prozession direkt zur Kirche leitete. Sie wurde von einer, in Silber getriebenen, ziemlich großen Ikone angeführt, der ein Altar folgte. Das Interessant-Erstaunliche war hier wieder für mich, dass alles auf die Knie fiel, und Ikone plus Altar über einige wenige Auserwählte hinweg getragen wurden. Wohl in der Hoffnung, dass ein gewisser Teil ihrer Heiligkeit auf die im Staub knienden herabrieseln würde.
Irgendetwas in mir war froh, mit solchen Dingen nichts mehr im Sinn haben, hatte ich doch als kleiner Pimpf so etwas in ähnlicher Form auch noch kennen gelernt und zig Jahre später auf Ibiza erneut erleben können.
Als es dann so langsam und wirklich reichte, und wir auch noch den hochgepriesenen, aber wenig spektakulären Mini-Wasserfall beäugt hatten ~ nur schlappe 3 oder 4 Meter stürzte er sich in die Tiefe ~ starteten wir gegen 11 unsere Dolly mit dem Gefühl in Richtung
Czernowitz in der Ukraine, dass es nun Kloster genug gewesen sein sollte.
Wir fanden
sogar dieses Mal auf Anhieb die asphaltierte Straße, trotz des nicht erhaltenen Segens, und mussten erst einmal nicht auf Schlaglochpisten fahren. Denn all diese Fahrten auf den holprigen und holprigsten Wegen dürften unserer alten Dolly-Dame nicht gut bekommen sein, wie sich später noch deutlicher herausstellen sollte. Noch aber war das nicht absehbar. Allenfalls vielleicht daran, dass die Lenkung ab einem nicht genau nachvollziehbaren Zeitpunkt scheinbar etwas schwerer ging. Aber so etwas bei einem Auto ohne Servolenkung abzuschätzen, ist nicht leicht. Wer hat denn schon noch eins ohne diesen Kraftsparer. Und je nach Untergrund geht es ohne halt eh mal leichter und mal schwerer.
Vielleicht war die schwergängige Lenkung ja mit daran beteiligt, dass wir nicht die richtige Kurve kriegten und uns bei Rezina ein weiteres Mal verfransten. Wobei die Tatsache, dass Steffi ohne GPS Signal sich im Blindflug befand, sicher mit beteiligt war. Aber dann klappte es doch noch, auch wenn wir die Straße zur ukrainischen Grenze erst nach einigen Sightseeing Runden fanden und uns dabei doch wieder auch auf schlechteren Straßen bewegen mussten, mit weiterer Auswirkung auf die Lenkung und Dolly allgemein.
Immerhin führten diese Straßen weiterhin durch bezaubernde moldavische Hügellandschaften, in der die Städtchen Floreşti, Bălţi, Edineţ
und Briceni sich aneinander reihten. Lipcani war dann der Ort, wo wir die Grenze passierten. Trotz lachender, hübscher Grenzbeamtinnen und der Aufmerksamkeit, die man auch hier Dolly von Seiten der männlichen Grenzer zollte, brauchte es eine halbe Stunde, bis das ganze Procedere hinter uns lag. Dann machten wir dem nichteuropäischen Ausland erneut unsere Aufwartung.
Trotz Wartezeit
erreichtenwir das Bahnhofshotel in Czernowitz noch vor 17 Uhr. Hier, in dem, in einen schönen alten Bahnhof integrierten Hotel, wollten wir nächtigen und fuhren regelrecht großherrschaftlich bis fast an die Tür zum Hotel vor, wie wohl zur Kutschenzeit ebenfalls üblich gewesen sein mag. Nur Empfangslakaien fehlten. Auf dem großzügigen Bahnhofsvorplatz gab es nämlich Platz ohne Ende und weder Parkuhren noch Halteverbote, so dass Dolly auch genau vor der Tür stehen bleiben konnte. Das stelle man sich bei uns mal vor.
Wie sich später herausstellte, ist das Bahhofsgebäude außen hui und innen nicht gerade pfui, aber etwas kruschig und seiner meisten Funktionen beraubt. Es gab nur noch einen winzigen Fahrkartenschalter und sonst nichts. Keinen Kiosk, kein Bahnhofsrestaurant, keine Wartegelegenheiten oder Sitzbänke, von denen aus man das Treiben der Abreisenden und Ankommenden hätte beobachten oder auf einen Zug hätte warten können. Das Gebäude ~ obwohl kleiner ~ erinnerte mich an den Bahnhof von Irkutzk und man konnte meinen, dass es vom gleichen Architekten gebaut worden sei. Nur dass der Irkutzker Bahnhof innen bei seiner Renovierung nicht vergessen wurde. Er zeigte noch das gleiche bahnhöfliche Leben, wie er es schon in der Zeit seiner Erbauung getan haben mochte. Czernowitz hatte wohl seine Wichtigkeit für die ukrainische Bahn eingebüßt, während Irkutzk sie für Sibirien
behaltenhatte.
Man sah diesen Abstieg auch dem Hotel an, das sicher einmal für Reisende eine gute Adresse gewesen sein dürfte. Heute bekamen wir dort für umgerechnet 20 € ein 3-Bett Eckzimmer o. Bad, mit Gemeinschaftstoilette plus Waschgelegenheit in einem Raum im Treppenhaus. Zimmer mit Bad & WC gab es nicht, wie das halt in Zeiten gewesen sein mag, als sanitäre Gegebenheiten noch nicht sooo wichtig waren und allenfalls eine Waschschüssel mit Wasserkrug auf dem Waschtisch stand. Trotzallem war es ein schnuckeliges Gefühl, in diesem ehrwürdigen Gemäuer für kurze Zeit abzusteigen.

Die Empfangsdame unserer Bleibe erklärte uns den Weg ins Zentrum, und so zogen wir los, um einige der städtischen Highlights abzuklappern. Gleich an der nächsten Ecke drohte und erinnerte ein russischer Panzer ~ wahrscheinlich ein T34 ~ auf einem schräg geneigten Sockel dramatisch an den Weltkrieg. Obwohl man ihn auf diesem Sockel geparkt hatte, gehörte er wohl nicht zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt, die besser vertreten waren durch das Rathaus und das Theater, an dem in Russisch auf einer stuckumrahmten Fläche der Name Wagner (Baгнep) zu lesen war. Noch während ich den Namen wie ein I-Männchen Buchstabe für Buchstabe entzifferte, machte eine ältere Dame in deutsch und englisch darauf aufmerksam, dass wir nur bis zur nächsten Ecke gehen müssten, um einem weiteren Schmankerl ihrer Heimatstadt zu begegnen. Ohne ihren Hinweis wären wir daran vorbei gelaufen.
Ein anderes entdeckten wir erst, als es schon dunkel wurde, die Universität in ihrer Backstein Architektur der Jahre vor 1900. Vor den Sowjets war es die Residenz des orthodoxen Metropoliten auf dem sogen. Bischofsberg. Nun ist es als Weltkulturerbe ausgewiesen. Leider wollte uns der Torhüter ohne entsprechendes Bakschisch nicht einmal mehr die kleine Schlupftür neben dem imposanten schmiedeeisernen Tor passieren lassen. Zu gerne hätten wir den Campus (ohne Bakschisch) näher in Augenschein genommen.
Erwähnenswert ist bei all den Sehenswürdigkeiten vielleicht auch eine im satten baby-rosa (frisch)gestrichene Kirche von 1844, die mit eierschalfarbigen und baby-blauen Bereichen abgesetzt ist. Ob diese, auch bei uns einmal sehr übliche Farbkombination Rosa/Blau eine Anspielung auf das „Wachset & mehret Euch“ im Sinne der Kirche sein sollte?
Wie dem auch sei, ich fand es bei aller, sich bei mir inzwischen aufgebauten orthodoxen Abneigung doch beachtlich, dass eine ultrakonservative Kirche den Mut zu diesen Farben hatte. Ich wüsste kein Beispiel, in dem unsere Heilige Katholische oder die mindestens genauso heilige Protestantische Kirche ähnliche mutig gewesen wäre. Vielleicht ging es ja auch nur um die Wirkung, die die Schwarzkittel (nicht die ukrainischen Wildschweine), sondern die Popen, vor diesem Rosa hatten. Leuchtend, erhaben, einfach grandios, wie sie da vor dem Rosa standen und ihren Schäfchen die Vorderpfoten zum Kuss darboten. Wenn hier auch ohne den Kratzfuß, der mir im Kloster Saharna so quer runter gegangen war. Vielleicht ist ja das ukrainische Umfeld, in dem wir uns noch für eine kleine Weile tummeln sollten, nicht ganz so religionsgeil, wie das moldavische.

 

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