Di. 29. Mai 2012
Iwan brachte uns gegen 8 Uhr zur Werkstatt, damit wir noch einmal nach dem Rechten schauen konnten. Dolly sah ein wenig
erschreckend aus, wie sie da wie ausgenommen auf der Richtbank hing. Zugleich aber war schon deutlich zu erkennen, dass diese beiden „wilden“ Kerle ihr Handwerk verstanden. Sie zeigten uns, was
sie alles bereits bewerkstelligt hatten, und was sie Dolly ansonsten noch Gutes tun würden. Womit sich unser anfänglich positives Gefühl weiter bestätigte. Wir erfuhren auch, dass wir Dolly am
späten Nachmittag des nächsten Tages abholen könnten. Und damit war klar, dass wir nach dem Frühstück nach Lemberg fahren würden. Aber wie schon gesagt, fiel es aus, weil das Personal mit
verquollenen Augen und dickem Kopf noch in den Federn lag.
Wir checkten also aus, reservierten mit Händen & Füßen die Zimmer für den Tag unserer Rückkehr und überließen unser Gepäck weitestgehend der Rezeptionsfrau, weil wir für die eine
Lemberg-Nacht nur mit minimaler Ausrüstung unterwegs sein wollten. Und da es ja bei allem ~ auch bei einem ausgefallenen Frühstück ~ immer eine gute Seite gibt, konnten wir einen Bus früher
nehmen und waren somit schon gegen 13 Uhr in Lemberg und damit erstmals nur noch ca. 90 Kilometer von Polen entfernt.
Der Bus hatte allerdings eine halbe Stunde länger benötigt, weil er unterwegs eine Panne hatte, die der Fahrer ~ der zu meiner Verwunderung ein quietschgrünes T-Shirt des Hamelner Post
Sportvereins trug ~ selber beheben konnte. Und obwohl es mich als jemand, der 22 Jahre in Hameln gewohnt hatte, interessiert hätte, wie er an dieses schmucke Teil gekommen war, gelang es nicht,
meine Neugier im allgemeinen Trubel zu befriedigen.
In Lemberg, der heimlichen Hauptstadt der Ukraine, verließen wir den Bus dann an einer Stelle, die für uns absolut nach Bahnhof und Busbahnhof aussah. Was stimmte, aber auch wieder nicht. Es war
zwar ein Bahnhof und ein Busbahnhof, wo wir uns jetzt gleich schon bei unserer Ankunft erkundigen wollten, wann und wo wir zurück nach Dolyna fahren könnten, nur war es nicht der richtige. Denn
obwohl es von Bussen wimmelte, fanden wir keinen, der auch nur den leisesten Eindruck machte, als wenn er in unsere Wunschrichtung fahren würde. Erschwerend kam hinzu, dass niemand verstand, was
wir wollten. Oder wir nicht, was man uns erzählte.
Dann entdeckten wir des Rätsels Lösung auf einem Schild, das den Weg zum Hauptbahnhof wies. Wir waren wohl eine Station zu früh ausgestiegen. Und nach einem kleinen Fußmarsch bekamen wir nicht
nur ein ebenso schönes wie riesiges Bahnhofsgebäude zu sehen, sondern auch einen Bussteig, extra für Busse nach Dolyna. Damit konnten wir uns jetzt auf den Weg zu unserer Bleibe machen, dem in
unmittelbarer Nähe zur Altstadt gelegenen Hotel L'viv. Einem weiteren Hotel, das von außen betrachtet, immer noch in der alten Sowjet-Optik sein grau-tristes Dasein fristete. Wie schon in
Chişinău, ein riesiger Kasten mit hunderten von
Zimmern, die sich auf zig Etagen verteilten und auch hier über Kegelbahn-Flure erreichbar waren. Er war sogar noch größer, was auch an dem riesigen, mindestens einen Quadratmeter großen
Schlüsselbrett an der Rezeption absehbar und abzählbar war. Allerdings verhedderte ich mich andauernd bei meinen Zählversuchen.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor ein so riesiges Teil in einem Hotel gesehen zu haben. Es hing wie ein Relikt aus alter Zeit an der rückwärtigen Wand der Rezeption und besaß noch den
Charme vergangener Tage. Das Teil musste der allgemeinen Renovierung entgangen sein, die ansonsten überall im Inneren deutlich zu erkennen war.
Auch der Eingang ins Restaurant, von der Rezeption aus gerade noch mit bloßem Auge erkennbar, war hier, im Gegensatz zum Turist Hotel in Chişinău, schon wieder funktionsbereit und glänzte bis ins letzte Detail im neuen Look,
während man sich in den Hallenbereichen der einzelnen Etagen noch künstlerisch an großen Wandgemälden betätigte. Wenn dieses Hotel auch von außen noch ein wenig Farbe bekommen und man den Eingang
betonen würde, wäre es, trotz der eher langweiligen Bauweise, zwar immer noch kein Schmuckstück, aber ein kleiner Lichtblick, den man nicht mehr übersehen könnte. Was jetzt noch leicht der Fall
war. Wir standen davor und hätten es dennoch beinahe übersehen.
Von hier aus waren es nur wenige Schritte in die zum Weltkulturerbe erklärte Altstadt, der unser erster Erkundungsbummel galt. Vorbei an der Lemberger Oper, die sich ebenfalls, wie schon so viele
Gebäude zuvor, hinter Schutznetzen versteckte, die während der Renovierung die Baugerüste umspannten. Nur wenige Gebäude Details waren sichtbar. Wohingegen sich der große, langgestreckte Platz
vor der Oper, mit seinen Rabatten, Bäumen, Bänken und Menschen, in seiner gesamten Farben- und sonstigen Vielfalt zeigte.
Ältere Herren, die mit rauchenden Köpfen ihre Partie Schach spielten, knutschende Liebespärchen, Mütter mit Kindern, in ihre Vergangenheit versonnene Babuschkas, dreiste Verkäufer, die Passanten
auf die Schnelle ein Zeitungsabo, ein Los oder was auch immer andrehen wollten, Müßiggänger und Touristen bevölkerten ihn zuhauf in einer Form, wie es auch in jeder westlichen Metropole zu sehen
ist.
Nicht umsonst ist Lemberg die wichtigste Stadt der Westukraine und zugleich die siebtgrößte des Landes. In der Nähe des Platzes gibt es sogar noch eine der interessanten alten Kaffeeröstereien,
die im originalen Ambiente vor den Augen der Kunden den Kaffee röstet und zum Kauf anbietet. Im dazu gehörigen Café können Kaffeetanten aller Couleur das Gebräu in unterschiedlichster Weise mit
oder ohne Kuchen oder anderen Leckereien schlürfen. Der Gedanke, am anderen Morgen dort zu frühstücken, blieb dann leider auf der Strecke, weil wir es vergaßen.
Ich mag es, in solche urbanen und lebendigen Bereiche einer Stadt einzutauchen, selbst wenn, wie bei uns, nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Allerdings blieb von dieser Lebendigkeit abends nicht
viel übrig, weil die Bürgersteige hochgeklappt wurden und es kaum möglich war, noch einen geöffneten Mini-Market zu finden, in dem wir unsere Ritual Ingredenzien bekommen konnten. Erst nach
einigem Herumgelaufe wurden wir in irgendeiner kleinen Nebenstraße fündig. Hier drängelte sich dann auch gleich halb Lemberg in und vor dem Geschäft, als wäre es das einzige, das abends geöffnet
hat.
Um einen Überblick über die Stadt zu bekommen, sollte man den Schlossberg erklimmen. Was einen vermuten lässt, dass ein interessanter Blick von einem alten Gemäuer, zumindest einer Ruine, auf die
Stadt möglich sein würde. Das mit dem Blick stimmte zwar, aber in Wirklichkeit ist es nur die Aussicht von einem Hügel, der mich an Trümmerhügel wie „Monte Klamott“ usw. erinnerte, mit typischen
Tourismus Artefakten geschmückt und natürlich einer Menge Leute, die wohl auch dem vermeintlichen Schloss, bzw. der Ruine auf den Leim gegangen waren. Es mag ja sogar sein, dass unter dem sorgsam
ausgeformten Hügel die Reste eines Schlosses begraben liegen, denn aus irgendeinem Grund wird er sich diesen Namen ja verdient haben. Zu sehen war davon allerdings nichts. Aber „nur“ den Blick
über eine Stadt im Gedächtnis zu speichern, ist ja auch nicht zu verachten. Auch wenn der Genuss zeitweilig mal wieder von Regen und dunklen Wolken getrübt wurde.
Nicht getrübt aber wurde der Blick auf ein Lemberger Schaschlik, das völlig anders daher kam, als gewohnt. Es schwamm weder in der typischen Schaschlik Soße,
noch war es so gewürzt. Und da es nicht an einem Spieß serviert wurde, im Wechsel aus einem Stück Fleisch und Zwiebel mit Paprika bestehend, hatte es noch weniger Ähnlichkeit mit dem bekannten
Gericht. Hier bestand es aus dicken, zarten Fleischbrocken, die einem auf der Zunge zergingen und mit einem mir unbekannten Gewürz versehen waren, das dem ganzen einen Geschmack verlieh, dass ich
mich hätte reinsetzen mögen. Leider musste ich mangels Sprachkenntnissen darauf verzichten, das Gewürz zu erfragen. Wenn ich also an Lemberg denke, ist das immer eine Verbindung aus dem
ungetrunkenen Kaffee, diesem Schaschlik und dem quirligen Völkchen auf dem Platz vor der Oper. Na ja, einige andere Dinge gehörten natürlich auch noch dazu, sie gehören aber zum nächsten Tag,
unserem Abreisetag, sowohl von Lemberg, als später dann auch von Dolyna.