Rumänien ~ Tag 3

Mo. 14. / Di. 15. Mai 2012

 

Nach bestandenem Frühstück beluden wir Dolly nach einem explizit ausgetüftelten System, bei dem zuerst Torstens kleiner Trolley ganz rechts im Kofferraum platziert werden musste, dann Hartmuts riesige Reisetasche hochkant gegen die Rücksitzbank gequetscht ~ er war schließlich der längste von uns, und die Mehr-Zentimeter an Hosen, Hemden usw. mussten ja irgendwo bleiben ~ und mein Trolley, der etwas größer als Torstens war, weil ich mittelgroß daher kam ~ musste wiederum quer davor seinen Platz finden, so dass noch Platz für Reserve- und Ölkanister, Feuerlöscher und weiteres Kleinzeug blieb.
Nur in dieser Reihenfolge bekamen wir alles hinein, mussten aber aufpassen, dass sich die Rollen von Torstens Trolley oder Hartmuts Tasche nicht durch die rückwärtige Sitzbespannung in den Rücken des dort Sitzenden drückten, der auf meinen Wunsch hin meistens ich war.
Wenn dieses Packsystem ~ aus welchem Grund auch immer ~ mal nicht funktionierte, hatte ich bei der dünnen Polsterung ein Problem, denn ein mehr oder weniger dicker Knubbel drückte mir unangenehm ins Kreuz. In aller Regel konnte ich ihn aber von meiner Sitzposition aus noch so weit zurecht drücken, dass es aushaltbar war.
Nachdem wir uns also ~ wie Entenküken unter die Flügel ihrer Mutter ~ gemütlich in Dolly hinein gekuschelt hatten, bemühte sich Steffi, Torsten den 424 Kilometer weiten Weg nach Timişoara zu weisen, unserer ersten Stadt in Rumänien. Zugleich viertgrößte im Land, und die Stadt, in der 1989 die Revolution Ceauşescus Ende einleitete.
Um unsere letzten Forint loszuwerden, steuerten wir noch in Ungarn eine Art Mini-Supermarkt an, um für Hartmut eine Zahnbürste zu kaufen, die er vergessen hatte, und Stoff für unser nächstes Abendritual zu erstehen. Wir glaubten, dass es für beides reichen würde, was aber nicht der Fall war. Ein paar kleine Münzen fehlten und so musste die Entscheidung gefällt werden, welches Wohl Vorrang haben würde. Das Allgemeinwohl oder das persönliche. Und großzügig, wie er nun mal ist, entschied sich Hartmut für unser aller Wohl, so dass er dann zwar ohne Zahnbürste, aber wir mit unserer rituellen Ausrüstung dann über Kescemet und an Budapest vorbei zum Grenzort Mako / Kiszombor fahren konnten.
Dann ließen wir ~ endlich in Rumänien ~ Großsanktnikolaus / Sânnicolau Mare hinter uns, bis Steffi uns zu einer Fähre leitete, an der sie uns klarmachte, dass wir den dazugehörigen Fluss überqueren sollten. Nur leider war die Mini-Fähre nicht einmal für so ein kleines Auto wie die Ente ausgelegt, so dass wir irgendwo im Nirgendwo über kleine und kleinste Landsträßchen unsere Weiterfahrt zu einer Brücke organisieren mussten. Woher hätte Steffi auch von dieser Nuss-Schale wissen sollen? Immerhin vermochte der Fährmann uns mit einigen Brocken Englisch plus Handzeichen zu erklären, dass es irgendwo rechts eine Brücke gäbe. Also hielten wir die wirklich ausgezeichnete RKH Karte von Rumänien in einer Hand und ließen parallel dazu Steffi die Route so lange und immer wieder neu berechnen, bis sie uns tatsächlich am Deich entlang und über schmale Wirtschaftswege zur Brücke brachte. Ist schon irre, was ein modernes Navigationsgerät so drauf hat.
Ab hier lernten wir dann unsere erste Schlaglochpiste kennen, wenn auch eine der noch ziemlich gemäßigten. Viel anders sehen manche Straßen bei uns inzwischen auch nicht mehr aus, und auch sie führen ja irgendwann zum Ziel. Hier zum angepeilten Timişoara, wo es regnete wie Sau ~ was dann auch erst einmal so bleiben sollte ~ als wir am Freeborn Hostel in der Nähe des Piaţa Victoriei ankamen und von Fritz, dem jungen Betreiber des Hostels und einem von seinem Vater gebrannten ţuica de prune, dem beliebten Pflaumenschnaps begrüßt wurden. Der schmeckte tatsächlich noch richtig nach Pflaumen, was ich, als Nichttrinker harter Sachen nicht für möglich gehalten hatte und somit gut mit trinken konnte.
Unter Pflaumenschnaps Einwirkung versuchten wir gemeinsam mit Fritz erste rumänische Vokabeln zu erlernen, wie danke! usw. Allerdings mussten wir einsehen, dass wir für die Landessprache nicht sonderlich geeignet waren, denn schon das Wort „muiţumesk“ (gesprochen muizumesk), überforderte uns jedes Mal. Allenfalls „noroc“ für „Zum Wohl“ klappte auf Anhieb ganz gut. Prost, wie wir es kennen, sollte man in Rumänien unbedingt vermeiden, bedeutet es doch „dumm“, wie im Kulturschock zu lesen war. Und so bekamen wir problemlos für 66 Leu (ca. 15 €) pro Person unsere Betten im 8-Bettzimmer und Dolly einen Stellplatz im abgeschlossenen Hof des Hostels, so dass wir ihr die Wegfahrsperre am Lenkrad ersparen konnten. Wir hatten uns dafür entschieden, nicht weil wir glaubten, dass eine alte Ente vom Wert her ein interessantes Klau-Objekt sein könnte, sondern weil sie eventuel als Spaßobjekt Jugendliche verlocken könnte.
In diesem Hof versprühten abends noch 2 maskierte Kammerjäger intensiv riechende Schwaden in alle Öffnungen, Klappen und sonstiges, um Ratten, Schaben & Co ihre tödliche Aufwartung zu machen. Was Dolly wenig juckte, unseren Gang aber leicht beschleunigte.
Dass dieser Parkplatz im Hof ansonsten noch weitere, ganz spezielle Tücken hatte, erfuhren wir erst anderntags, am Dienstag, als es weitergehen sollte. Obwohl die Ein- oder Ausfahrt durch ein doppelflügeliges Tor als solche gut erkennbar war, erschien dieser Bereich einem Passat-Fahrer als idealer Parkplatz. Was, wie Fritz uns sagte, von anderen Autofahrern zuvor auch immer mal wieder so gesehen worden war. Nachdem er sich überall in der Nachbarschaft umgehört hatte, und wir Dollys etwas piepsiges Horn etliche Male ohne Erfolg hatten ertönen lassen, rief Fritz, wie auch schon zuvor, die Polizei, die dann bald mit einem Abschleppwagen kam und begeistert unsere Ente befreite. Dumm gelaufen für den dreisten Parker, denn laut Fritz ist es kein billiges Vergnügen. Der Sünder sei mit ca. 200 € dabei. Für viele Rumänen ein Monatsgehalt, allerdings wohl kaum für den Fahrer dieses Autos.
Zuvor hatten wir noch ~ wie am Abend zuvor ein Essenslokal ~ ein brauchbares Lokal gesucht, in dem wir unser „mic dejun“, ein Frühstück bekommen könnten. Am Vorabend hatte es im Regen nur für ein Döner Lokal gereicht und nun hatten wir die Wahl zwischen einem McDonald am Theaterplatz und auf dem Markt an einer Art Imbiss-Bude mit einem kleinen Ausgabefenster.
Wahrscheinlich wäre ersteres die bessere Wahl gewesen, denn das Frühstück an der Marktbude brachte uns nicht gerade zum Strahlen. Gott sei Dank gab es keinen Kaffee, der wäre sicher noch weniger schmackhaft gewesen. Damit war klar, dass auch frühstücken dem try and error Prinzip unterworfen wurde, als wir uns gegen den großen Junkfood-Beglücker entschieden hatten, obwohl er ja ein brauchbares Frühstück im Sortiment hat. Unsere Entscheidung hatte u.a. damit zu tun, dass schnell ersichtlich wurde, wie auch hier in Rumänien und in den umliegenden Ländern die Überschwemmung mit den Global Playern an Laden- und Fastfoodketten in vollem Gang ist.
Überall schossen sie wie Pilze aus dem Boden, McDoov, Burger King, Lidel, Penny, Aldi, Carefour, dm, Hornbach, Obi, Praktiker und wie sie alle heißen. Das Ergebnis, alles sah genauso aus wie bei uns. Einheimische Produkte gab es dort nur vereinzelt, allenfalls in Form von Schnaps, Wein oder auch Zigaretten neben der Importware. Die kleinen Tante-Emma-Läden würden hier über kurz oder lang genauso schnell verschwunden sein, wie überall. Noch haben wir auch keine fettleibigen oder „nur“ dicke Kinder und Erwachsene gesehen, was sich sicher auch in diesen Ländern in den nächsten Jahren schnell ändern dürfte.
Nach unserem nicht so dollen „mic dejun“ im Stehen, aber noch bevor wir von der Enten-Inhaftierung im Hostel Hof wussten, machten wir im Regen einen Mini-Rundgang durch die umliegenden Straßen mit den alten Jugendstil Häusern und der anscheinend nicht ganz so alten orthodoxen Kirche, der Metropoliten Kathedrale, die uns schon von weitem über einen Grüngürtel mit der Romulus & Remus Statue hinweg aufgefallen war. Aus der Landesgeschichte und der damaligen Verbindung zu Rom ergibt sich, dass diese Figur, die immer mal wieder irgendwo herumstand, ein wichtiges Verbindungsglied zur damaligen Zeit der römischen Besatzung darstellt. Aber nach diesem Rundgang und nach unserem o.a. kleinen Ausflug ins vorbestimmte Schicksal eines demnächstigen möglichen neuen Euro-Zonen-Mitglieds und unserer Enten-Befreiung, schnallten wir die Schwimmflossen wieder an und rauschten ab in Richtung Sibiu oder Hermannstadt, wie es früher einmal hieß.

 

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