Republik Moldau & Transnistrien ~ Tag 14


Fr. 25. Mai 2012


Unser erstes Ziel nach Chişinău würde ein altes, orthodoxes Felsenkloster sein. Das Orheiul Vechi, das in der Nähe von Orheil liegen sollte.
Ein Felsenkloster vermittelt ja irgendwie den Eindruck, dass man dort einem alten Eremiten mit Rauschebart begegnet, der einem den Frieden mit sich selbst und anderen vermittelt. Würde das auch hier der Fall sein? Wir würden es sehen, aber weiß der Geier, warum man dem Kloster ein zusätzliches „u“ im Ortsnamen gegönnt hat und dem Ort nicht.
Zuvor aber erschwerte erst einmal eine Baustelle uns und Steffi den Weg auf Anhieb zu finden, was Dollys inneren Frieden, also uns, nicht so ganz zuträglich war. Betrieben wir doch auf diese Weise wieder einmal ein wenig unfreiwilliges Sightseeing, bei dem Hartmut ~ wie schon beschrieben ~ sich beim Tanken von einem seiner Brillengläser verabschiedete. Auch das dürfte zumindest seinen eigenen inneren Frieden eher nicht erhöht haben. Und der ANAL Bus von Orheil schaffte es ebenfalls nicht, ihn in uns komplett wieder zu erzeugen, immerhin aber ein Schmunzeln in unsere Gesichter zu zaubern.
Dieser ockerfarbige Bus wartete nämlich zu unserer Belustigung in der schwülen Hitze einer äußerst sonnigen Regenpause auf Fahrgäste, als wir in einem nahegelegenen Café eine Kaffeepause einlegen wollten. Was aber ist nun ein ANAL Bus? Nun, das ist einer, dem man ein Nummernschild verpasst hat, auf dem AN AL 516 zu lesen war. Was sicher nur ein Ortskürzel oder irgendeine Buchstabenkombination gewesen sein dürfte, die niemanden sonst im Land zum Schmunzeln brachte. Nur uns.
Aber mich interessierte nicht nur das, sondern selbst als Nichtraucher auch die, in dem Lokal auf den Tischen stehenden Aschenbecher aus Getränkedosen. Um sie als solche benutzen zu können, hatte man sie in ca. 5 cm Höhe abgeschnitten und die scharfen Kanten so umgebörtelt, dass niemand sich daran schneiden konnte. Irgendwie hatte der Bastler es sogar geschafft, den Aufreiß-Ring als Griff zu integrieren. Dennoch war das Design
nicht gerade vom Feinsten, aber praktisch und kostengünstig.
Nach einem nicht gerade kostengünstigen, wenn auch gutem „cafea mare“ ~ wobei „mare“ nicht Meer, sondern groß bedeutet ~ mit extra berechneter Kondensmilch, sahen wir dann irgendwann, nachdem wir Dolly wieder auf die Straße gejagt hatten, das Kloster und seinen Berg näher und näher kommen. Wir konnten die Kirche schon ausmachen, die man der Bergspitze als würdige Zierde oben drauf gesetzt hatte. Außerdem ein paar Ameisen-Menschen, die dort auf einem Felsplateau herumspazierten und in einem Loch, einem Höhleneingang, wieder verschwanden. Darüber war noch ein separater Glockenturm zu sehen, der sicher bei Bedarf seine Glocken für das Felsenkloster erklingen ließ.
Wie das aber alles zusammen gehörte, war erst auszumachen, als wir den Bergrücken hinauf gewandert waren, begleitet von einer steifen Brise und dem Fluss, der sich links tief unter uns malerisch durchs Tal schlängelte. Rechter Hand schmiegte sich ein Dorf an diesen, wie ein Keil in die Landschaft ragenden Bergrücken, erinnernd an den Schwanz eines Tatzelwurms. Alte Sagen und Märchen von Drachen wurden in dieser Landschaft lebendig. Oben angelangt, hatten wir uns nur noch durch eine Ladung von Schulkindern zum Ziel zu wühlen, die kurz vorher mit ein oder zwei Bussen angekarrt worden waren.
Jungen und Mädchen, so um die 10 bis 12, die wie geprickt den Gang in die Höhlen des Felsenklosters rauf und runter rannten, um dem alten, rauschebärtigen Mönch ihre Penunzen für Kerzen, Heiligenbildchen & Co in die faltigen Hände zu drücken. Also war es nix mit Frieden mit sich selbst usw. Die Kerzen wurden mit großen Rehaugen andächtig gleich an vorgesehenen Stellen vor der Mutter Maria oder anderen Heiligen angezündet, während die restlichen Dinge wohl als Mitbringsel mit nach Haus genommen wurden.
Der Mönch schien in dieser Höhle auch zu wohnen ~ wie sich das für einen Eremiten gehört ~ denn eine Felsnische war wie ein großer Alkoven mit Bettzeug und allerlei Krimskrams ausstaffiert. Seitlich neben dem Alkoven befand sich der Ausgang auf das von weitem hoch über dem Fluss sichtbare Plateau, auf dem jeder für weitere Ankömmlinge zu den Ameisen wurde, die wir zuvor auch wahrgenommen hatten. Dieses Plateau war wie ein Balkon in luftiger Höhe über dem Fluss angelegt ~ natürlich oder künstlich, war nicht zu auszumachen ~ auf dem man sich in die sagenumwobene Landschaft oder überall hin träumen konnte. Geländer oder ähnliches gab es nicht, aber den immer noch heftig blasenden Wind. Gottvertrauen oder Selbstverantwortlichkeit reichten hier zur Absicherung. Auch etwas, was mich unterwegs ja immer wieder begeistert, wenn ich sehe, wie locker man in anderen Ländern mit Gefahrenzonen umgeht und den Menschen
nicht durch alles Mögliche ihre Selbst-Verantwortungraubt.
Und wie schon so manches Mal, war auch diese Berg-Kirche eine Baustelle, die von einer hohen Mauer von der Schönheit der Landschaft ausgesperrt wurde. Außer einem Haufen Steine, Sand und sonstigen Baumaterialien, diversen Pflanzen incl. einem hohen Baum und einem munter sprudelnden Brunnen mit angekettetem
Trinkbecher, sowie ein paar frisch gewaschener Mönchskutten war ansonsten wenig zu sehen. Dann tauchte noch ein spindeldürrer Einsfünfundneuzig-Typ auf, der aussah, wie ein Mönch in Zivil; asketisch in seiner Figur, mit Rauschebart. Unzugänglich und dem irgendwie typischen Gang dieser Spezies, was wir beides aber erst später noch näher kennen lernen sollten.
Wie jedoch hier an der fast höchsten Stelle des schmalen Bergkamms eine Quelle so munter sprudeln konnte, war mir ein Rätsel. Aber das Wasser war köstlich kühl, wie sich das gehört. Möglicherweise eine heilige Quelle, was durch ein Kreuz und weitere kirchliche Artefakte dem Anschein nach deutlich wurde. Ein artesischer Brunnen konnte es hier auf dem Gipfel des Bergrückens nicht sein. Womöglich wurde das Wasser insgeheim hochgepumpt und die Mönche machten einen Wunderbrunnen o.ä. draus. Ich traue diesen Burschen ja alles zu. Möglicherweise aber geht da auch nur mal wieder die Fantasie mit mir durch.

Als wir dann den Tatzelwurm wieder hinunter stapften, kam uns eine Gruppe mit weißem Fleck in der Mitte entgegen. Eine Braut mit wehendem Kleid und Schleier, incl. dazugehörigem Bräutigam plus Hochzeitsgruppe. Sollte sie etwa, einem alten Brauch folgend, dem Tatzelwurm geopfert werden? Aber diese Zeiten sind vorbei und in heutiger Zeit war das Paar wohl eher hier, um Stimmungsfotos zu schießen und / oder ihrer Verbindung den Segen dieses rauschebärtigen und verkaufstüchtigen Eremiten zuteil werden zu lassen. Ob's hilfreich sein würde? Ich wünschte ihnen jedenfalls nur das Beste.
Dolly wartete schon auf uns und lenkte ihre Räder erst mal durchs Dorf, in dem wir so etwas wie den Dorfkrug o.ä. zu finden hofften. Aber so etwas profanes schien es in direkter Klosternähe jedoch nicht zu geben. Außerdem schien der Ort wie ausgestorben zu sein und wie verwunschen in der Mittagssonne zu liegen. Nur zwei Kinder, die uns perplex anschauten, waren zu sehen, so dass sich mir der Gedanke aufdrängte, dass möglicherweise kurz vorher der Rattenfänger von Orheiul, wie seinerzeit durch Hameln, hier durchs Dorf gezogen sein könnte. Und diese beiden Kinder waren die einzigen, die seiner magischen Flöte nicht gefolgt waren.
Na ja, den Fluss gab es, und auch die steile Bergflanke existierte, in der er mit den Kindern verschwunden sein könnte. Alles genau wie in Hameln. Die alte Geschichte könnte in einer Art Parallel-Version beide Orte vielleicht sogar verbinden. Heißt es doch, dass der Mann mit der Flöte damals die Kinder nach Siebenbürgen entführt hätte, was ja quasi umme Ecke liegt. Und hier ist er aus dem Fels wieder hervorgekommen. Hah, was für eine Geschichte, der Rattenfänger vom Felsenkloster Orheiul Vechi. Irgendwie schien das Kloster meiner Fantasie wirklich Flügel zu verleihen.
Aber anders als sonst in Sagen, Märchen & Co, fanden wir unseren Weg relativ leicht wieder hinaus aus diesem sich endlos hinziehenden dorfkruglosen Dorf. Ein ziemlicher Holperpfad brachte uns dann doch zu einer befestigten Straße, die uns zu einem Grenzübergang bringen sollte, mit dem wir an dieser Stelle nicht gerechnet hatten. Dabei waren wir weder vom Weg abgekommen, noch hatte uns Steffi in die Irre geführt und uns zurück nach Rumänien oder schon in die Ukraine geschickt. Wir hatten einfach nur nicht gewusst und auch anhand der Karte nicht erkannt, dass es zwischen der Republik Moldau und der Ukraine noch einen Landstrich gibt, der nicht zu den beiden Ländern gehören, sondern auf Biegen & Brechen ein eigenständiger Staat sein will, auch wenn er bisher international nicht anerkannt wird. Wir standen vor den Schlagbäumen der sogen. Autonomen Republik Transnistrien. Da konnte einem doch glatt Tom Hanks grandioser Film „Terminal“ einfallen.
Zuhause angelangt, wurde erst mal gegoogelt, und tatsächlich, Wikipedia wusste einiges über diese seltsame Pflanze in der Geographie Osteuropas zu berichten. Zum Beispiel, dass es gerade mal etwas mehr als dreieinhalbtausend Quadratkilometer groß ist und ähnlich viele Einwohner wie Bremen, Hannover oder Freiburg hat.

Der Grenzübergang war dann auch nicht ganz so easy wie bisher, auch wenn Dolly hier ebenfalls entsprechend gewürdigt wurde. Es war alles etwas komplizierter, bei der Ein- & Ausreise. Aber gut aussehende Grenzerinnen hatten sie, das muss man ihnen lassen. Es hätte mich bei den bisherigen Erfahrungen auch gewundert, wenn es in Transnistrien anders gewesen wäre.
Für Doly musste zusätzlich ein spezielles Dokument ausgefertigt werden, leider nicht bei einer der charmanten Grenzerinnen, sondern von einem eher muffeligen Grenzbeamten per Hand, was natürlich dauerte und mit 10 € die Staatskasse bereicherte. Außerdem galt es festzulegen, ob wir noch am gleichen Tag das Land wieder verlassen würden oder erst später.
Eine Stippvisite, war unsere einhellige Meinung, würde genügen, und dann knatterten wir schnell in die nahe Grenzstadt Dubăsari, in der Hoffnung, unseren Magen mit einem echten transnistrischen Mittagessen zu füllen. Doch außer Andys Pizza lag nichts am Wegesrand, und nachdem uns ein Bankomat noch die erforderlichen transnistrischen Rubel zur Verfügung gestellt hatte, besuchten wir Andy, bzw. seine Mitarbeiter in ihrem, wie überall, in Gelb-orange gestaltetem Fastfood Gourmet-Tempel, der immerhin Pelmini auf der Speisekarte hatte und zwei transnistrische, unechte Blondinen und einen jungen Mann, der in ihrem Kielwasser schwamm. Die drei befanden sich allerdings nicht auf der Speisekarte, sondern am Nachbartisch.
Die beiden Mädchen hatten uns längst entdeckt, schon als wir mit Dolly vorgefahren waren und wohl auch, weil sie dann meine Bridge Kamera entdeckt hatten, die ich wie immer, wie ein scheinbarer Profi offen zur Schau trug. Das Gerät sieht zwar für einen Kenner beileibe nicht wie die Spiegelreflex eines Profis aus, macht aber wohl mehr her, als eine Handy- oder digitale Knips-Kamera. Denn kaum waren die ersten Worte gewechselt, leiteten sie eine Art Fotoshooting vor der orangefarbenen Hauswand von Andys Pizza ein, in das auch Torsten munter mit seinen Kameras einstieg.
Eine ziemliche Fotostrecke mit & ohne Dolly war das Ergebnis. Da aber er altersmäßig nun mal weit eher im Interessensbereich der beiden angesiedelt war, als Hartmut oder ich, dauerte es nicht lange, dass zwischen ihm und Lera das Gebalze losging. Hartmut wollte ihm daraufhin gar Dolly für eine Spritztour ins transnistrische Hinterland zur Verfügung stellen, was Torsten, vielleicht ans Allgemeinwohl denkend ~ wie zuvor Hartmut beim Zahnbürsten / Weinbrandkauf ~ nicht annahm. Und das bereut er wahrscheinlich noch heute. Nachvollziehbar, wie ich meine. Aber auch für ihn und uns galt der alte Elvis Song, den jener Ende der 50er Jahre gesungen hatte: „Muss i denn, muss i denn zu-um Städele hinaus ...“? Auch wenn weder Torsten noch wir diesen alten Ohrwurm bei unserem Ausmarsch gesungen haben, war es dennoch eine Tatsache, dass wir weiter mussten. Und so versuchten wir den Grenzfluss, die Nistru zu finden, um an ihr entlang so weit möglich auf kleinen transnistrischen Uferstraßen zur nächsten Grenzstation zu kutschierten. Dabei begleitete uns das Steilufer von Moldavien auf der anderen Seite des Flusses, an dem lt. Reiseführer an einer Stelle die einsame Kirche des Klosters Tipova zu sehen war. Jedenfalls nahmen wir das an, dennoch unerreichbar in diesem Moment. Aber wir wollten ja eh Richtung Rezina, um nicht nur wieder zurück in die Republik Moldau zu gelangen, sondern auch um unserem eigentlichen Ziel, dem orthodoxen Kloster Saharna in Saharna näher zu kommen. Einem insofern besonderen Kloster, weil wir, wie im Reiseführer empfohlen, in seinen Mauern übernachten wollten. Darauf war nicht nur ich gespannt, sondern auch T.&H. Aber außer mir, hatte nur Hartmut einschlägige und durchaus positive Erfahrungen mit dem Übernachten im Kloster.

War der Grenzübergang
von der Republik Moldau nach Transnistrien etwas komplizierter, konnte der umgekehrte Weg als etwas ruppiger bezeichnet werden. Vielleicht, weil man uns übelnahm, dass wir den abtrünnigen und nicht anerkannten Nachbarn besucht hatten. Aber dann hatten wir alles überstanden und versuchten über die weiß in der Karte eingezeichneten Straßen nach Saharna und zum Kloster Saharna zu gelangen. Weiß deshalb, weil die Legende darauf hinwies, dass wir hier wieder einmal auf teilweise ungepflasterten Wegen fahren würden. Und da Steffi irgendwann kein GPS Signal mehr bekam und nur blind fliegen konnte, verpassten wir den entsprechenden Abzweig und hatten bald nur noch holprige und steinige Feldwege unter den Rädern ohne das kleinste Hinweisschild. Bis uns dann Raphael, Schutzengel aller Reisenden, einen roten Farbklecks in Form eines anderen Autos zusammen mit seinem Besitzer auf den immerhin doppelspurigen Feldweg schickte. Der Typ stand in dieser Einöde mit seinem Handy locker an sein Fahrzeug gelehnt und telefonierte wie ein Weltmeister. Jedenfalls bis wir ihn nach dem Weg zu fragen. Woher hatte der dort bloß ein Netz?
Da er zwar kapierte, dass wir zum Kloster Saharna wollten, wir aber seiner Feldweg-Beschreibung sprachlich nicht folgen konnten, fuhr er uns voraus. Wenn auch nur bis zum Ortrand von Saharna Noi (= Neu Saharna). Dort wünschte er, dass wir uns an seinen Spritkosten beteiligten, und zwar i.H.v. 50 moldavischer Leu, umgerechnet ca. 3 €. Ein Kurs, der uns für die kurze Strecke dann doch zu hoch erschien. Wer weiß, was er für den Rest verlangen würde.
Obwohl wir nun auf seine Dienste verzichteten, zeigte er uns freundlich den Weg, dem wir folgen sollten. Und wenn noch Platz in der Ente gewesen wäre, hätten wir schon wenig später 2 Bauersfrauen mit Sach & Pack mitnehmen können. Sie standen ~ wie allgemein üblich ~ am Straßenrand und versuchten in dieser Einsamkeit uns und damit eines der seltenen Autos anzuhalten. Leider konnten wir nun mal beim besten Willen nicht mit einer Transportmöglichkeit dienen, entdeckten aber ein paar Meter weiter, noch in Saharna Noi, einen Wegweiser zum „Mănăstir Saharna“. Damit waren wir scheinbar so gut wie am Ziel. Allerdings mussten wir dann in Saharna erneut fragen und gelangten schließlich, wie früher vielleicht einmal die Pilger, doch noch ans offene Klostertor. Rechter Hand gleißte auf einem Felsen ein weiß gestrichenes Kreus in der grellen Sonne, die unsere Ankunft ausnahmsweise mal ohne Regen begleitete.
Hier war erst mal Sense, weil ein Verbotsschild die Einfahrt für KFZ ins Kloster stoppte. Nach unserer Anmeldung durften wir dann später aber doch bis zum Kloster-Parkplatz fahren. Zuvor dackelten Hartmut & ich erst einmal in die verbotene Zone, um die Lage zu peilen und trafen dort auf einen Typen, einen Zivilisten, der des Englischen mächtig, uns mit weiteren Infos versorgte und uns später auch noch durchs Kloster zu führen versuchte, soweit es für ausländische Zivilisten zugänglich war und wir ihm folgen wollten.
Ehe wir uns versahen, erfuhren wir von ihm, dass er ein im heiligen Feuer geläutertes Mitglied der Gattung Mensch sei. Er hätte für irgendeine große Firma als Scurity gearbeitet und schlimme Dinge verbrochen, die solchen Leuten ja locker zugetraut werden. Als er dann nicht mehr konnte, hätte man ihn hier in diesem Kloster innerhalb des letzten Jahres so weit geläutert, dass er nun wieder ein Gutmensch sei, was er uns permanent in der einen oder anderen Form meinte beweisen zu müssen, auch wenn er bei uns damit auf wenig Gegenliebe stieß. Alles kam irgendwie oberlehrerhaft, mit erhobenem Zeigefinger oder gar als massives Verbot herüber, wenn er uns mit dem Blick einer gequälten Kreatur vermittelte, wie sehr unsereins sich an diesem heiligen Ort gerade wieder einmal daneben benommen hatte. Grrrrr.
Zum Beispiel, als ich, ohne es zu ahnen, durch eine einladend geöffnete Tür den Flur des Gebäudes betrat, in dem wohl ~ unerkennbar für mich ~ die Popen wohnten. Mit entsetztem Gesicht scheuchte er mich hinaus, wie ein Huhn, dass sich in die gute Stube verirrt hat. Oder als Torsten es wagte, sich auf dem Weg durch ein Wäldchen eine Zigarette anzuzünden. Obwohl 100 Meter oder mehr vom eigentlichen Kloster entfernt ~ wir hatten es durch ein massives Tor verlassen ~ fiel unser „Scurity“ in Panik. Aber nicht, weil ja viiiielleicht, trotz des vielen Regens Waldbrandgefahr bestanden hätte, sondern weil der Weg zu einer heiligen Quelle führte, somit irgendwie doch noch zum Kloster gehörte und durch Rauchen verschmutzt werden könnte. Rauchen sei nun mal Teufelswerk. Wer konnte das auch ahnen? Wenn Torsten seinem Laster frönen wolle, müsse er das Kloster komplett verlassen und ein paar Schritte ins weltlichere Dorf oder sonst wohin tun. Der überzeugte Raucher Torsten fand dennoch Wege, auch innerhalb des Klosters das ein oder andere Zigarettchen zu schmöken. Man darf sich nur nicht erwischen lassen, oder?
Unser Security machte uns auch mit einer Frau bekannt, die maximal einsfünfzig groß und komplett Schwarz verkleidet war, wenn auch ohne Burka. Aber wie die Trägerin einer Burka, vermied sie jeglichen Augenkontakt zu uns männlichen Wesen, wie auch die anderen zivilen weiblichen Wesen hier. Gab es nicht früher mal den Glaubenssatz, dass (männliche) Blicke ~ nein, nicht töten ~ sondern eine Schwangerschaft auslösen könnten?
Vermutlich war diese schwarze Gestalt eine orthodoxe Nonne, die alles Weltliche hinter sich gelassen hatte und als giftspeiender Drache für das ewige Leben stritt und dabei vergessen hatte, dass nicht jeder das Gleiche zu tun gedachte. Und so hatte sie bei jeder Gelegenheit lautstark etwas an uns auszusetzen. Wobei es nicht die Worte waren, die wir ja eh nicht verstanden, sondern der Ton.
Nur widerwillig ~ so schien es ~ teilte sie uns in einem Gebäude am Eingang des Klosters einen Schlafraum für Männer mit 6 Etagenbetten zu, in dem schon einige Betten besetzt waren. Auch Freund Security hatte dort sein Bett und das sogar neben meinem. Hoffentlich forderte er mich nicht vorm Schlafengehen auf, zusammen mit ihm vor dem Bett auf die Knie zu fallen, um eine gute Nacht oder was auch immer zu erflehen.
Hier würde es jedenfalls bei der vorherrschenden Stimmung unmöglich sein, auch nur an unser Cola-Weinbrand Ritual zu denken. Sicher hätten wir die größten Schwierigkeiten bekommen. Die hatten wir eh schon, nur weil wir gegen 22 Uhr noch draußen vor der Tür standen und quatschten ~ bis unser schwarzer Drache uns dann laut schreiend ins Bett scheuchte. An was erinnerte mich das bloß?
Falls sich aber außer ihr noch jemand an unserem Gespräch gestört haben sollte ~ was ja durchaus möglich gewesen sein kann ~ spätestens bei ihrem Geschrei
musstennun alle senkrecht in den Betten sitzen, was sie vielleicht aus einem anderen Grund eh schon taten. Denn diese Betten waren die ältesten und unbequemsten seit meiner Jungendzeit, wenn wir als kleine Pfadfinder in einer Hütte o.ä. übernachteten. Die Federung bestand noch aus „Kettenhemden“, einem überstrapazierten Metallgeflecht, das wie ein solches Hemd aussah und Schlafkuhlen bildete, die erst einmal von Matratzen gnädig abgedeckt wurden, bis man sich aufs Bett fallen ließ. Außerdem war ihre Füllung im Laufe der letzten 50 oder 60 Jahre so verrutscht und verklumpt, dass man sich keine geeignete Schlafposition mehr wühlen konnte. Ähnlich verhielt es sich mit der Zudecke und dem Kopfkissen. Beides bestand auch nur noch aus aneinander gereihte Klumpen und kaum nicht mehr aufschüttelbar. Und das Kissen war so hart und schwer, dass ich gerne darauf verzichtete und es auf dem Fußboden deponierte.
Ein weiterer Fehler, denn wenig später legte mir unser Security das Kissen, vor sich hin grummelnd, wieder ins Bett, gutmenschlich, wie er nun mal war. Es war bestimmt der Ersatz fürs ausgefallene gemeinsame Gebet.
Dass Sanitärräume in irgendeiner Form ein Haus aufwerten könnten, hatte dieses alte Gemäuer nie erfahren. Immerhin gab es für diejenigen, die auf ein Minimum an Körperpflege nicht verzichten wollten, im Hof ein ausrangiertes, an der Hauswand montiertes Edelstahl Spülbecken mit Wasserhahn, ohne weiteres Beiwerk. Kein Spiegel, keine Ablage, kein gar nix.
Als Toilette diente in der letzten Ecke des gleichen Hofes eine weitere Unvollendete in Form eines Kabuffs aus unverputzten Ziegeln; das Ganze in zwei kleine Räume unterteilt. Hier hatte man ~ so, wie ich es damals auch in der Mongolei in der Gobi vorgefunden hatte ~ ein Loch in die Erde gebuddelt, ein paar Bretter mit einer Lücke dazwischen darüber gelegt, und fertig war die Hock-Toilette.
Und damit sich eine mögliche Geruchsbelästigung in Grenzen hielt, hatte dieser Abtritt kein Dach, so dass bei Einsetzen des Regens durchaus von einem höchst komfortablen Nassraum mit Wasserspülung die Rede sein konnte. Aber im Gegensatz zu meinem damaligen Gobi Trip, wo ich mir anfangs den Gang zur Toilette so lange verkniffen hatte, bis es nicht mehr ging, schnappte ich mir hier mein fürsorglich mitgebrachtes Toilettenpapier und knatterte fröhlich drauf los. Wobei eine Frage auftauchte: Was würde man machen, wenn diese Grube eines Tages voll war? Das Gemäuer abreißen und einige Meter daneben um eine neue Grube herum wieder aufbauen? Bei den Bretterverschlägen in der Gobi war das ein leichtes.
Ein Schmunzeln überkam mich, wenn ich daran dachte, wie angenehm in jeder Hinsicht doch dahingegen meine anderen Klosteraufenthalte waren.
Was aber kann man für 100 moldavische Leu (ca. 6,50 €), schon erwarten, die wir hier für uns drei für die Übernachtung incl. der Freitagsabend-Mahlzeit bezahlten? Wobei dieses Essen, wie unser Security sagte, ein alter Klosterbrauch sei, der immer Freitags im Anschluss an die Speisung der Mönche durchgeführt würde. Was zur Folge hatte, dass das Essen ~ eine an und für sich gut schmeckende Kartoffel-Gemüsesuppe ~ nur noch als Kaltschale, ähnlich einer Gaspacho gegessen werden konnte. Auch nicht schlecht. Aber wenn man Pech hatte und die Schöpfkelle erst in die Terrine tauchen konnte, wenn andere das zuvor schon getan hatten, waren sämtliche Kartoffelstücke bereits aus der Suppe gefischt. Damit hatte sich die Gemüsesuppe in eine Gemüsebrühe verwandelt. Da aber das leckere, selbstgebackene Weißbrot reichlich zur Verfügung stand, und sich gut zur besagten Kaltschale essen ließ, brachte das dann den erwünschten Sättigungseffekt.
Aber nicht nur eine kostenlose Suppe gab es, sondern auch ein besonderes Ereignis am nächsten Tag, wie unser Security-Info-män uns voller Begeisterung mitteilte. Deswegen fiele das Frühstück aus, und wir müssten uns im Dorf selber darum kümmern. Kein Problem, konnten wir ihn beruhigen.
Das höchste Tier, bzw. der höchste Pope der moldavischen orthodoxen Kirche, der sogen. Metropoliten, würde das Kloster besuchen, eine Messe halten und allen armen Sündern seinen Segen angedeihen lassen.
Na prima, dieses Ereignis und diesen Segen wollten wir uns nicht entgehen lassen. Besonders letzteres konnten gerade wir kirchlich Unabhängige sicher gut gebrauchen. Hinzu kam, dass man reichlich Recht-Gläubige erwartete, was sicher interessant zu beobachten sein würde, bei alldem, was es bisher bereits zu sehen gegeben hatte. Gegen 9 Uhr sollte das orthodoxe Event starten. Und wenn wir schon mal hier waren, wollten wir an diesem kirchlichen Zirkus selbstverständlich teilhaben, auch wenn wir erst später loskommen würden.

Jaaa, in meinen Augen war es ein Zirkus, wenn auch nicht à la André Heller oder dem Cirque de Soleil, sondern einer, der in den Zeiten des Kommunismus keine oder kaum Möglichkeiten zum Auftritt hatte. Somit wurde nun alles nachgeholt, auch wenn man dabei irgendwann im Mittelalter anknüpfte.
Hier war sie noch sehr präsent, die Macht einer Kirche über gläubige Erwachsenen-Schafe, wie auch gleichermaßen über die Baby-Schäfchen. Deutlich zu erkennen an jedem einzelnen der Gläubigen und am Verhalten jedes Popen. Diese Typen stolzierten samt & sonders wie schwarze Gockel mit geschwollenem Kamm durch ihren klösterlichen Hühnerhof. Nur die Federn achtern fehlten. Ansonsten waren Verhaltensweise, Haltung und Gang absolut identisch und mir wurde klar, dass das Wort Popanz von Pope abgeleitet worden sein musste.
Wie ihre schwarze Kollegin, der die Würde eines imaginären Federbüschels und eines Kammes naturgemäß fehlte, vermieden diese Prachtexemplare männlichen Dünkels ebenfalls jeden Augenkontakt mit mir, mit uns, sie schienen uns nicht einmal wahrzunehmen. Dadurch war es nicht möglich, mit jemanden von ihnen ins Gespräch zu kommen. Was ich bedauerte und mir eigentlich gewünscht und erwartet hatte. Aber ein Gespräch mit einem Nicht-Untertanen hätte ja gefährlich oder ihrem Seelenheil abträglich sein können. Hihi, dabei war einer dieser Typen meiner / unserer Meinung nach zu 99,99 % eine Tunte, die auf Grund ihrer tänzelnden Bewegungen und ihrem Gehabe, einem entsprechenden Schwulenfilm glatt zur Ehre gereicht hätte. Was für mich / uns durchaus okay sein würde. Mich würde interessieren, wie dieser schwarze Vogel es hierher geschafft hatte.
Das alles, incl. Tunte, hätte allerdings noch nicht ausgereicht ~ wie schon angedeutet ~ dass sich mir Haare und Fußnägel kräuselten. Das passierte erst, als ich mit ansehen musste, wie sich unser Security und andere verhielten, wenn sie auf einen Gockel trafen. Dann war ein Kratzfuß fällig, ähnlich denen, die in Historienfilmen à la Angelique vor französischen Königen zu sehen sind: Ein Bein tritt vor, beide knicken ein, der Oberkörper beugt sich weit nach vorn, der Hintern schiebt sich im Gegenzug weit nach hinten, der linke Arm wird im Bogen elegant seitlich am Körper vorbei ebenfalls nach hinten gestreckt, während der rechte Arm elegant nach vorn geführt wird, so dass die willig hingestreckte Hand des Popen ergriffen werden kann, um sie oder den dicken Ring mit demütig gesenktem Haupt zu küssen.
Jedes Mal, wenn ich diese, aus meiner Sicht, würdig-unwürdige Szene beobachten durfte / musste, hätte ich am liebsten demjenigen, der da seinen Bückling machte, in den, mir ach so bereitwillig entgegen gestreckten Allerwertesten getreten. Und zwar mit Macht. Aber das ist meins, sorry. Andere ~ zumindest die Beteiligten ~ mögen so etwas durchaus
als angemessen empfinden, aber im 21sten Jahrhundert sollte sich, wie ich meine, kein Mensch mehr öffentlich so devot einem anderen gegenüber verhalten (müssen).

Als wir uns das Kloster, incl. seiner heiligen Quelle, das Abendessen und anderen Gegebenheiten des Tages zu Gemüte geführt hatten, reichte es erst einmal. Irgendwie ging mir / uns das ganze Bimbamborium mehr und mehr auf den Keks. Und so wollten wir mal schauen, was das Dorf zu bieten hatte und wo wir am anderen Morgen frühstücken oder etwas fürs Frühstück kaufen könnten. Natürlich dachten wir dabei auch an unser Ritual, das wir uns nicht vermiesen lassen wollten.
Wir wurden fündig im sogen. „magazin“, eine Art Geschäft mit mehreren Funktionen. Zuerst einmal hatte es den reinen Laden- und Geschäftsbereich, in dem alles Ess- und Trinkbare angeboten wurde, was das Herz der Dorfbewohner und wir begehrten. Dann gab es, wie bei einem Lokal, eine Terrasse und einen Gästeraum, in dem wir ohne klösterliche Beeinträchtigung unser Ritual durchführen konnten. Es dauerte aber nicht lange, und wir waren nicht mehr allein, wurden aber nicht beeinträchtigt.
Ein junger Bursche mit Schlangenmensch Ambitionen gesellte sich mit seinen Verbiegungen plus diverser Kartentricks zu uns, und bald darauf noch ein mittelalter Typ. Und so konnten wir munter und gekonnt durcheinander radebrechen. Das klappte wohl so gut, dass der jüngere noch einmal im Laden verschwand und mit weingefüllten supersize Plastikbechern und einem Teller mit geräucherten Rippchen zurück kam. Dabei hatte er doch für Unterhaltung gesorgt.
Noch pappsatt von der Gemüsebrühe mit Weißbrot, durften wir nun noch Knochen abnagen und Wein auf unsere Cola mit Weinbrand schütten. Ich sah schon ein Saufgelage vor meinen Augen, denn wir hätten uns natürlich revanchiert und der mittelalterliche hätte möglicherweise das gleiche getan, bis wir alle vom Stuhl gefallen wären. Doch soweit kam es nicht, denn unser neuer junger Freund stand plötzlich mit einer 1,5 Liter PET Flasche vor uns ~ ebenfalls mit Wein gefüllt ~ und bestand darauf, sie uns als Geschenk zu vermachen. Danach verschwand er mit beschwingtem Schritt. Und wir wenig später auch, um den Rückweg zum Kloster unter die Hufe zu nehmen und dabei in die bereits erwähnte Geschichte mit Hartmuts „rausgefallenen Karten“ zu stolpern, sowie dem Gebrüll unseres Drachen vorm Haus Folge zu leisten.
Im Nachhinein lässt sich ja vielleicht ergänzend sagen, dass dieser Anschnauzer möglicherweise deshalb zustande kam, weil Weinbrand plus Wein ohne Brand dafür sorgten, dass einer den anderen nicht mehr sooo gut verstand, bzw. hörte und deshalb um ein Dezibelchen mehr aufdrehte. Shame on us.
Geschlafen haben wir aber wegen unseres sprichwörtlich guten Gewissens trotz dieses Anpfiffs und der zuvor beschriebenen Kalamitäten der Betten jedoch ganz gut, wenn auch deutlich kürzer, als an jedem Tag unserer Fahrt.

 

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