Etappe 11 ~ von Mo. 17.09. bis Do. 20.09.2007
Vieles war bei meiner diesmaligen Ab- oder Weiterreise nicht mehr so, wie es anfangs noch war, das nervöse Element fehlte
inzwischen fast komplett. Nur eins blieb unverändert, ich war wieder viiiiiel zu früh fertig, damit zu früh an der Tram Haltestelle und zu früh am „Autobussijam“ = Busbahnhof. Und hier sah ich dann ein Pärchen, welches das „bussi“ aus diesem Wort
gleich in seinem Sinne umsetzte und sich die Wartezeit so aufs angenehmste gestaltete. Wohl dem der hat und kann.
Unser Bus war ein total russischer Bus, der nur mit russischen und chinesischen Schriftzeichen daher kam, zusätzlich mit ein paar Bildern von St. Petersburg garniert. Schließlich fuhr er
vorrangig ja nicht nach Narva ~ das liegt halt auf der Strecke und ist Grenzstadt ~ sondern nach St. Petersburg. Auch der Fahrer sprach nur Russisch und wahrscheinlich auch Estonisch, wie die
meisten Leute hier. So langsam wurde es Ernst und ernster.
Denn auch hier gab es wieder ähnliche widrige Gegebenheiten wie ich sie schon zur Genüge hatte. Wenn's nach mir ginge, reichen die bis ans Ende meiner Reise. Hostel jottwede, keine Touristen
Info, bzw. sowas von geschlossen, dass man überall die Spinnweben zählen konnte. Und kaum jemand sprach Englisch, nur Estonisch und Russisch. Dennoch fand sich wieder ein hilfreicher Geist aus
der Bus Gesellschaft, mit der ich gekommen war. Er machte mir klar, dass kein örtlicher Bus dorthin hinfährt, wo ich hin möchte ~ nämlich zumindest in die Nähe des Hostels, das ich mir ausgesucht
hatte ~ und dirigierte mich zu 'nem Taxi, das mich für ca. 3 Euro nahezu wieder an den Stadtrand brachte. Dorthin, wo ich gerade eben mit dem Bus hergekommen war ~ ich hätte nur auszusteigen
brauchen und wäre fast schon am Hostel gewesen, wenn ich's nur gewusst hätte.
Der Taxidriver wollte mir unterwegs klar machen, dass das Hostel kein guter Ort sei, dreckig, kein Wasser und so und empfahl mir, mich von ihm in einen Vorort von Narva zu
einem „very cheap Hostel“ bringen zu lassen. Was ich undankbarer Mensch doch glatt ablehnte und bei
meinem Hostel blieb.
Dort angekommen ~ zu Fuß plus Gepäck wäre es wirklich arg weit gewesen ~ stellte ich als erstes fest, dass auch hier niemand Englisch oder Deutsch sprach. Wie könnte es auch anders sein? Trotzdem
bekam ich mein Bett. Und zwar in einem Double Room, für den halben Preis. Üblicherweise muss man als Singel das ganze Zimmer zahlen. Und dieses Zimmer war piccobello sauber, es hatte einen
kleinen Vorraum zum Bad, mit ebenfalls sauberem WC und ein Waschbecken im Zimmer. Nur das Bett war knallhart, ich hätte auch auf dem Boden schlafen können. Außerdem war es so ruhig hier, dass ich
dachte, ich sei der einzige Gast. Wogegen ja grundsätzlich nichts zu sagen ist.
Nachteil: Es gab hier rein gar nichts, weder Internet, noch sonst was. Und so entschloss ich mich Plan B zu entwickeln, nachdem ich nur die eine Nacht hier bleiben und mich um eine andere
Unterkunft kümmern würde, was anhand einer auf dem Zimmer liegenden Info Broschüre per meines nun wieder diensthabenden Handys mit der in Tallinn aufgeladenen Prepaidkarte ganz einfach war. Wenn
auch hier wieder mit Sprachschwierigkeiten verbunden.
Die Entscheidung fiel dann mangels preiswerteren Bleiben fürs ETAPP Hotel, in das ich am nächsten Morgen überwechselte. Es war zwar deutlich teurer, aber es gab auch hier einen 10%igen Rabatt,
weil sie meine Jugendherbergsmitgliedskarte anerkannten. Zugegebenerweise habe ich dabei ein wenig gemogelt. Sie akzeptierten nämlich die Student- und Teacher-Card und eine Youth Travel Card,
deren Logo dem des Internationalen Youth Hostel Verband zum Verwechseln ähnlich sah. Was lag also näher, als mit Nachdruck darauf zu bestehen, dass ... Aber vielleicht ist es ja so. Nur muss ich
das wissen, wenn sie es nicht wissen?
Und so wohnte ich dann gar nicht backpacker-like in einem recht niedlichen Hotel. Na ja, dafür hätte ich in einem Hostel ca. 1
Woche nächtigen können. Aber ich fand's trotzdem gut, mal wieder so zu wohnen, zumal ich hier wieder satt und reichlich ins Internet konnte, was auch dringend nötig war, um meine Bleibe für St.
Petersburg zu organisieren und anderes mehr.
Und so genoss ich es, ein richtiges Bett und das sogar in 1,20-er Breite zu haben, eine etwas aufwändigere Dusche mit Viertelabrundung und
Schiebetüren statt Klebevorhang oder keinem und nur minimalem Pilzanteil in den unteren Fugen, mich mal wieder mit 2 Frotteetüchern abrubbeln zu können und eine Heizschlange an der Wand zu haben,
die diese Tücher wieder trocknete.
Hach, und endlich gab es auch mal eine Ablage über dem Waschbecken für meine komplette Backpacker Pflegeserie. *smile* Und sie
hatten einen richtigen Frühstücksraum mit Bedienung und viele weitere kleine Annehmlichkeiten. Irgendwie möchte ich mir so etwas in Zukunft ~ so weit möglich und machbar ~ einmal im Monat für ein
oder 2 Nächte weiterhin gönnen. Au ja, das könnte mir gefallen.
Ansonsten ist Narva nicht unbedingt 'ne Reise wert. Die Stadt behauptet zwar, ziemlich geschichtsträchtig zu sein, was sicher auch stimmt, aber sie machte auf mich einen derart zersiedelten und
unharmonischen Eindruck, dass ich mich immer wieder fragte, wo ich hier eigentlich bin. Dabei gab es hier sogar diese Touristen-Wegweiser, die einem sagten: 800 m bis zu dieser oder jener
Sehenswürdigkeit. Normalerweise ganz hilfreich. Und als ich auf einem las: 400 m bis zur Old Town, folgte ich dem erst einmal blind, um dann aber doch die Äugelein ganz weit zu öffnen. Manoman,
was habe ich nach dieser Altstadt gesucht, immer wieder. Ich bin sogar zu anderen Wegweisern marschiert, in der Hoffnung, die Old Town dann nach anderen Meterangaben oder wann auch immer zu
finden. Aber außer einem alten Rathaus und ein paar Häusern aus den 60- und 70-ern, die sich in großzügigen Abständen aufreihten, gab es nichts für den verwöhnten Old Town Menschen, der ich
inzwischen geworden war.
Okay, ihre alte Burganlage, die sie sich mit den russischen Nachbarn teilen, die hatte schon was. Wenn man dieses Riesenteil da liegen sieht, hätte ich mir doch am liebsten gleich die 4,5 Stunden
im wahrsten Sinne ans Bein gebunden, um den roten Punkten auf dem Lageplan zu folgen. Aber die Uhr zeigte bereits den frühen Abend und 'ne Nachtwanderung wollte ich nicht daraus machen. Also mal
schaun, wie es morgen wettermässig und sonst so aussieht.
Na ja, ein paar andere Gebäude sind ebenfalls anschauenswert ~ so ist es ja nicht ~ aber alles andere ist grauer Durchschnitt, mit ganz viel Platz und Grün drumherum, das das Grau erträglich
machte. Wenn mich dieser achtstündige Riesenhüpfer von Tallinn nach St. P. nicht zu einem Zwischenstopp verleitet hätte, wäre die Fahrtunterbrechung nicht nötig gewesen. Aber was soll's, ich
hatte nun mal so entschieden und nun galt es herauszufinden, was mir auf meinen Streifzügen so begegnen würde. Denn auch in Narva konnte ich es trotz aller Warnungen vor der hohen Kriminalität im
Grenzbereich nicht lassen, meine Erkundungsgänge auch in Ecken auszudehnen, in denen halt außer mir erst mal niemand war. Und so gab es da z.B. plötzlich einen Trampelpfad, der in hügeliges
buschbestandenes Gelände führte, in dem ruinenmäßiges Gemäuer herumstand. Und irgendwie sagte mir dieser Pfad „Komm, hier geht’s
lang“. Und ich folgte ihm, es ging einfach nicht anders. Nur ein rabenschwarzer Schäferhundmischling mit Maulkorb stromerte dort
außer mir noch längs. Aber er wollte nichts von mir, und ich nichts von ihm. Und somit haben wir uns gut vertragen.
Als ich dann um eine Trampelpfad-Biegung kam, sah ich vor mir ein Panorama aus Fluss- und Burglandschaft, dass jeden meiner Schritte ins Gebüsch belohnte. An keiner anderen Stelle hätte ich
meinen ersten Blick auf dieses zauberhafte Szenario tun wollen ~ es gab auch keine zweite. Aber, ich zuckte innerlich auch leicht zusammen, denn aus den Augenwinkeln heraus stellte ich fest, dass
weder der Hund noch ich diesem Weg allein gefolgt war. Irgend so ein Typ saß oder hockte da schräg hinter mir, nur ein paar Meter entfernt von mir im Gras.
Und nun? Es war so oder so zu spät, falls sich nun alle Warnungen bestätigen sollten. Also ging ich erst einmal, ohne mich umzudrehen, weiter in dieses Panorama hinein, um es mit allen Sinnen in
mich aufzunehmen. Und erst jetzt drehte ich mich natürlich auch ein wenig so, dass ich diesen Typen etwas besser beäugen konnte und stellte fest, dass es wohl auch nur ein Backpacker war, der dem
Lockruf des Weges gefolgt war, den Rucksack abgelegt hatte, und wie ich den Anblick auf seiner Festplatte speicherte.
Als ich zurückging, marschierte ich zu ihm rüber und murmelte:
„That's a nice view. Do you speak english?“
Und fix kam zurück:
„Jes, I do“.
Und dann plauderten wir ein wenig, über das wohin und woher, und ich erfuhr, dass er aus England kam und hier in Narva an dieser Stelle auf die Verlängerung seines Visums wartete. Gab es eine bessere Stelle?
Er erzählte, dass er in St. Petersburg Russisch studiert und trotzdem ausreisen musste, bis die Behörden seinen Aufenthalt
verlängert hätten. So kann's kommen, wenn man in einem Land studiert, dass noch solche Bestimmung meint haben zu müssen, und wenn jemand meint, den ausgetretenen Pfad für eine kleine Weile
verlassen zu müssen. Ihn und das Panorama hätt' ich glatt verpasst.
Was ist das nun? Einfach nur Leichtsinn oder das Spielen mit der Gefahr? Oder immer noch das, aus der Kindheit nicht aufgearbeitete „Verbotstrauma“, das mich schon damals fast immer das tun ließ, was ich auf gar keinen Fall tun durfte / sollte? Jemand der von dieser Macke
weiß, braucht mir also nur wärmstens ans Herz legen, etwas auf gar keinen Fall zu tun. Und schon hat er mich da, wo er mich haben will. Allerdings muss es mich heute irgendwie auch schon
anmachen, sonst nützt der ganze Verbotsrummel ooch nischt.
Der Wandertag um die Burganlage ist leider buchstäblich ins Wasser gefallen. Mein erster kompletter Regentag, seit ich losgezogen bin. Und so habe ich nur die nötigsten Dinge getan, wie Rubel
getauscht, meine Prepaidkarte unnötigerweise gefüttert und son Zeugs. Und am Rad gedreht, bzw. Panik geschoben. Hatten mich doch blödsinnigerweise all die Russen-Vorurteile wieder eingeholt, die
ich bereits mitgebracht und immer wieder bestätigt bekommen hatte. Dabei fiel mir ein, dass ich mich beinahe ~ ohne es zu dem Zeitpunkt auch nur zu ahnen ~ in meinem Wissensdrang an dem Drahtverhau vorbei gehangelt hätte, der
Narva von Russland trennt. Dann säße ich wahrscheinlich in einem Verhörzimmer und bekäme Elektroschocks oder was auch immer. Manoman, ich war drauf und dran, mir einen anderen Weg nach Australien
zu suchen, einen der mich an diesen schrecklichen Russen vorbei führen würde. Nur wo sollte der liegen?
Aber wie schon einmal, entspannte sich meine innere Lage wieder und dann war das letzte Frühstück auch schon gegessen, und das bestellte Taxi fuhr ETAPP-like vor, um mich zum Busbahnhof zu bringen.
Der Fahrer schaute mich ob meiner Frage nach den Kosten etwas seltsam an und wies dann nur auf das Taxameter. Bisher hatte der
Preis reiseführerentsprechend vorher immer ausgehandelt werden müssen. Und zu meinem großen Erstaunen, erwies sich nun die gleiche Strecke, die ich einige Male mit nicht autorisierten Taxen
gefahren war, jetzt, auf dieser ganz ordentlich mit einem offiziellen Taxi durchgeführten Fahrt, als die preiswerteste meines Narva-Aufenthaltes. Man kann sich doch auf nix mehr
verlassen.
Am Busbahnhof stand bereits ein Bus, der stolz ein St. Petersburg-Schild hinter seiner Windschutzscheibe vorzeigte. Sollte das etwa schon
mein Bus sein? Konnte eigentlich nicht sein, da ich wieder zu früh war. Und dem war auch so. Der hier kam nämlich aus Tartu und wollte mich und ein anderes Paar mit unseren Rucksäcken auf
gar keinen Fall mitnehmen. Na ja, es hätte ja die Zeit noch mehr durcheinander gebracht ~ sprich, verschoben, wenn ich nun auch noch mit einem früheren Bus losgebraust wäre.
Immerhin kam ich so mit den beiden ins Gespräch und erfuhr, dass sie gestern bereits über die Grenze gewollt hatten, was aber der Beamte vereitelt hätte. Die beiden hatten sich mit dem Tag
vertan. Ihr Visum galt, wie meines, ab dem 20. September, und so mussten sie halt eine kleine Zwangspause einlegen.
Das Interessanteste kommt aber erst noch, denn aus unserem Frage- und Antwortspiel ergab sich langsam, dass die beiden das Gleiche vorhatten, wie ich. Nämlich in 3 Jahren mit Bahn, Bus und Schiff
oder Flugzeug nach Australien und zurück nach England zu gelangen. Selbst die gleichen Länder wollen sie ansteuern. Ist das nicht verrückt?
Tja, und dann saßen wir wenig später dann gemeinsam im richtigen Bus nach St. Petersburg.