Etappe 23~ v. Mo. 14.01. bis So. 20.01.2008
Um Punkt 8 Uhr stand unser Zugbegleiter in der Tür unseres Abteils und verkündete, dass wir in 5 Minuten in den Bahnhof von
Hue einlaufen würden, fast eine halbe Stunde früher, als die Aussagen darüber und auch der Fahrplan es vorgegeben hatten. Na, super, eine Verfrühung hatte ich ja auch noch nicht. Also würde ich
zur Abwechslung mal vor dem Bahnhof auf meinen „pick me
up“Menschen warten und sämtlichen Schleppern widerstehen müssen. Oder, ich
müsste dort mein Notebook auspacken, um nach dem Namen meines Hotels zu schauen, den ich mir natürlich nicht extra aufgeschrieben hatte. Aber dann sah ich beim Verlassen der Bahnhofshalle schon
von weitem meinen Namen auf dem obligatorischen Zettel. Entweder hatten sie von der früheren Ankunft gewusst oder die Auskunft + Fahrplan stimmten nicht oder sie sind grundsätzlich früher am
Bahnhof, weil es hier halt auch Verfrühungen gibt.
Und da es meine erste Zugfahrt in Vietnam war, möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Zugfahren in diesem Land wieder völlig relaxt möglich ist. Hier gibt es keine Durchleuchtungsgeräte und
sonstige Kontrollstellen oder zugesperrte Zugänge zu den Bahnsteigen. Man geht ganz einfach über all durch, zeigt an der entsprechenden Stelle seine Fahrkarte, sucht sich seinen Wagen, das Abteil
und sein Bett und das war's. Allerdings kommt dann auch hier im Zug noch einmal jemand, der die Tickets kontrolliert und auf seinem Zettel abhakt oder sie einsammelt und dann später wieder zurück
gibt.
Tja, bei dieser ganzen Leichtigkeit des Seins eines Einzelreisenden konnte es dann auch passieren, dass ich nach der ersten Kontrolle meines Tickets im Bahnhof durch freundliche blauuniformierte
Bahnmitarbeiter, kurz danach von einem genauso blau gekleideten und genauso freundlichen Herrn angesprochen wurde und noch einmal nach meinem Ticket gefragt wurde, um mir beim Finden meines
Wagens usw. behilflich zu sein. Eine freundliche Geste, die ich ja ähnlich zuvor auch schon auf anderen Bahnsteigen erlebt hatte. Nur dass dieser Typ dann am Ziel ein paar Dong sehen wollte. Ich
hätte mich mal wieder wegschmeißen können, habe ihm dann auf Deutsch erzählt, dass ich ihn für ein mächtiges Schlitzohr halte ~ worüber er sich sichtbar freute ~ gab ihm seinen wohlverdienten
Lohn und war um eine Erfahrung reicher. Noch bin ich zwar kein Erfahrungsmillionär, aber mein Haben auf diesem Konto wächst und wächst. Ich finde das klasse.
Wie auch die Tatsache, dass ich hier in Vietnam plötzlich feststellte, dass ein Wunsch, den ich noch in Narva, an der estnischen Grenze zu Russland hatte ~ nämlich hin und wieder in einem Hotel
mit Einzelzimmer, Bad usw. zu nächtigen ~ sich völlig in Luft aufgelöst hat. Hier in Vietnam gibt es anscheinend keine Hostels ~ ich habe bisher jedenfalls noch keins entdecken können ~ sondern
nur Hotels, die Einzel-, Doppel-, Drei- und Vierbettzimmer anbieten. Allerdings werden die Zwei-, Drei- und Vierbettzimmer normalerweise eben nur an 2, 3 oder 4 Personen vermietet. Und als
Einzelperson müsste ich, wenn ich ein Bett in einem Mehrbettzimmer haben möchte, entweder für alle Betten bezahlen oder mich an die Straße stellen und Bei-, bzw. Mitschläfer suchen. Also hatte
ich hier bisher immer das inzwischen fragwürdige Vergnügen, ein Zimmer ganz für mich allein zu haben. Und das bedeutete, dass sich Kontakte zu anderen gleichgesinnten nicht einfach wie von selbst
ergeben, sondern mehr oder weniger mühsam geknüpft werden müssen. Und macht bei den vielen seltsamen Vögeln, die in Hanoi und auch in Hue unterwegs waren, nicht wirklich Spaß. Ich sehnte mich
daher im Umkehrschluss zu damals, nach einem richtig schnuckeligen Hostel, mit all den Unzulänglichkeiten, die mir anfangs manchmal zu schaffen gemacht hatten. In dem alles und jeder munter
durcheinander wuselt und miteinander kommuniziert oder auch nicht. Tja, „times
are changing.“Wer hätte das gedacht.
Eines ist aber dennoch geblieben, nämlich mein Muster, „Klamotten inne Ecke
und los umme Ecke“,um auch hier erst einmal ein Gefühl für das Drumherum zu
bekommen. Und einem Verlangen, dass sich eine ziemliche Weile nicht mehr gemeldet hatte, erneut nachzugeben, die Garküchenszene mal wieder auszuprobieren. Au ja, etwas zu Essen zu sehen, nicht zu
wissen was es ist und trotzdem den Wunsch zu haben, es zu probieren. Und so habe ich wieder Dinge zur Freude der Einheimischen gemümmelt, von denen ich anschließend nur wusste, dass sie lecker
waren, aber mehr auch nicht. Und einheimischer konnte es auch kaum noch sein, weil ich mich mal wieder in Ecken begeben hatte, in die sich wohl nur selten ein Tourist verirren dürfte. Denn ich
war wieder einfach nur drauflosgelaufen, ohne Karte, ohne Info, nur meiner Nase folgend. Und genauso landete ich eines späten Nachmittags ~ es wurde schon dunkel ~ auf einem Markt, der in einem
Edagar Wallace Film eine prima Kulisse hätte darstellen können. Teilweise duftend ~ um nicht zu sagen stinkend ~ dass ich mich bemühen musste, weg zu riechen. Aber voller interesanter Eindrücke.
Was es hier nicht gab, musste erst noch entdeckt werden. Und ein Gewusel, dass kaum durch zu kommen war. Ich musste mal wieder an die Warnungen denken, an solchen Plätzen besonders auf der Hut
vor Taschendieben o.ä. zu sein. Aber wenn es sie gab, dann waren sie woanders, nur nicht hier. Außerdem hatte ich bis auf meine kleine IXUS eh nichts Wertvolles dabei, und auch mein Bares war
nicht der Rede wert. Und beides hatte ich auch noch, als ich wieder in meinem Hotel angelangt war.
Leidert pladderte es bei meinen Erkundungsgängen und überhaupt auch an fast allen Tagen immer wieder. 26 Grad und Regen, warmer Regen, wohlgemerkt. Vielleicht müsste ich mir hier auch so einen
Ganzkörperkondom in gelb, grün, blau, pink oder durchsichtig kaufen, den sie plötzlich alle aus irgendwelchen Taschen kramten, überzogen und dann weitergingen oder mit den Mopeds und Rikshas
weiterfuhren. Ein putziges Bild. Hoffentlich bessert sich das Wetter noch, denn all zu gemütlich stelle ich es mir bei 26 Grad unter so einem Teil nun nicht gerade vor. Aber da es von oben feucht
blieb, kühlte es sich entsprechend ab, so dass von den 26 Grad nur noch 20 übrig blieben. Immerhin, aber für Vietnamesen eine schier arktische Kälte, die sie nur dick eingemummelt überstehen
konnten, während mir unter meiner Regenjacke immer zu warm war, und ich in diesem Zusammenhang endlich feststellen konnte, dass mich der Kälteschock, dem ich in der Mongolei anheim gefallen war ~
und der mich die ganze Zeit doch an meinem Kälteempfinden hatte zweifeln lassen~ sich in Vietnam wieder aufgelöst hatte. Dieses elende Gefühl, dass die Kälte sich tief in meinen Knochen
eingenistet haben könnte und von dort aus mein Wohlbefinden beeinträchtigte, gab es nicht mehr. Die kalte und immer irgendwie laufende Nase ~ ohne noch einen Schnupfen zu haben ~ gab es nicht
mehr. Ja selbst der Husten, der mich ja zusammen mit dem Schnupfen in Peking ereilt hatte, löste sich hier nun langsam in Wohlgefallen auf. Es wurde also alles wieder etwas gemütlicher.
Auch Hue. Denn diese Stadt ist deutlich gemütlicher als Hanoi. Der Verkehr ist lange nicht so dicht und hektisch, die Häuser haben hier nicht mehr die Höhe und sind oft sehr viel kleiner.
Insbesondere auf dem Land gab es keine Zahnstocher mehr, wie ich vom Zug aus sehen konnte. Und leuchtend grüne Reisfelder, manchmal bis an den Horizont. Hier wollte einem auch nicht andauernd
einer einen LP, ein Feuerzeug, eine Sonnenbrille oder etwas anderes verkaufen. Und die jungen Frauen sind zu einem relativ großen Teil anders gekleidet, vielleicht etwas traditioneller. Sie
tragen vielfach ~ egal, ob auf dem Moped, Fahrrad oder zu Fuß ~ eine weiße lange Seidenhose und darüber ein ziemlich langes, ebenfalls weißes Hemd, das seitlich relativ hoch geschlitzt und mehr
oder weniger transparent ist. Ich vermag es nicht anders zu sagen, aber diese Mädchen hier stellten einen reizvollen Aspekt im Straßenverkehr dar. Da kommt keine noch so knallig enge Jeans, und
was der Westen auf diesem Sektor sonst noch so zu bieten hat, mit. Sorry, an alle, die es stören könnte, aber ich bin nun mal der Augenmensch geblieben, der ich immer war und dazu auch noch
männlich.
Aber nicht nur solche Reize hat Hue zu bieten, auch der Fluss ~ der Song Huong oder Perfume River ~ mit seinen Brücken, Inseln und seinen Drachenkopf-, sowie anderen Booten, Kanälen und kleinen
Seen gehört dazu. Auch wenn sie teilweise ganz schön schmuddelig sind. Reinfallen möchte ich eher nicht. Und wenn ich manchmal gesehen habe, dass die Wäsche darin gewaschen wurde oder die Haare,
die Hände, das Gesicht, dann stellte sich mir schon die Frage, ob das Wasser vorher oder hinterher sauberer, bzw. schmutziger war.
Oder die alte Stadt, im Gegensatz zur neueren, in der sich die Hotels, Restaurants, halt alles für die Touristen Erforderliche befindet. Und im Bereich dieses Stadtteils gibt es auch die sogen.
Zitadelle, eine Art Bollwerk aus der Franzosen-Zeit mit alten und neueren Kanonen, Panzern und anderem Kriegsgerät. Was daran bloß so schön ist, dass man es massenweise zur Schau stellen muss ~
wahrscheinlich eine Art Vergangenheitsbewältigung. Aber hier befindet sich auch eine Tempel- und Klosteranlage, deren älterer Teil mir sehr gut gefallen hat. Es gab also genug zum Rumlaufen und
Erkunden. An einem Tag ~ dem ersten, an dem es wieder trocken war ~ habe ich mich sogar von der Lady eines Drachenkopfbootes überzeugen lassen, dass ihr Boot das auserwählte sei, um mich ein
wenig auf dem Perfume River herum zu schippern. Und schon warf ihr Mann per Handkurbel die Maschine an ~ nix mit Elektro- oder sonstigem Starter ~ und los ging's. Ich war der einzige Fahrgast,
weil um diese Jahreszeit nicht genügend Touristen da sind, um eins oder gar die vielen Boote zu füllen. Es kam uns dann auch nur einmal noch ein anderes entgegen, das ein Pärchen komplett für
sich hatte.
Am Tag drauf ~ dem nächsten trockenen und außerdem wieder sonnigen Tag ~ habe ich dann endlich die Motorrad Tour bei Thu mitmachen können. Als ehemaliger „nur“Schönwetter-Motorrad-Fahrer hatte ich doch überhaupt keine Lust, jetzt hier damit anzufangen und bei Nieselregen mit dem Moped durch die Gegend zu fahren. Wobei die
Geschichte mit Thu übrigens bereits während eines Telefonats mit Ronni in Hanoi anfing, als er mir erzählte, dass ich, wenn ich in Hue wäre, unbedingt diese „heiße“Frau, ihren Laden und ihre zig Brüder finden, kennen lernen und mindestens eine Tour bei ihr buchen müsste. Ihr Laden ~ vollgekritzelt mit Sprüchen ehemaliger Tourteilnehmer
~ befände sich in einer kleinen Gasse, die, wenn ich von der Stahlbrücke aus losginge, dann nach mehreren Ecken und ein paar markanten Gebäuden ungefähr dort oder dort zu finden sein müsste. Er
beschrieb sie und alles andere so lebhaft und interessant, dass mir klar war, DIEmusst du finden.
Und so verband ich meinen ersten Erkundungsgang mit meiner Suche, die immerhin so erfolgreich war, dass ich Thu's Etablissement tatsächlich nach einigem Suchen auch fand. Nur leider sie nicht,
dafür aber ihre jüngere Schwester Ly, die den Laden schmiss. Und die war natürlich begeistert über meine Geschichte, wieso und warum ich Thu finden wollte und erzählte mir dann, dass ihre
Schwester für 3 oder 4 Monate in Dänemark sei, dort mit der Option Ferien machte, evtl. einen Dänen zu heiraten, den sie z.Z. besuchte. Die beiden hatten sich ~ wie könnte es anders sein ~ in
ihrem Laden kennen gelernt, wobei es wohl geschnackelt hatte. Und Ronni hatte mit seiner Begeisterung für diese Frau nicht übertrieben ~ etwas über 40, wilde Klasse-Frau, nie verheiratet, keine
Kinder usw. ~ das, was an Fotos von ihr an den Wänden hing, zeigte ein fast charismatisches Geschöpf, um das wahrscheinlich jeder Vietnamese und viele andere Männer einen großen Bogen gemacht
hatten, eine Powerfrau und nicht den hier wohl meistens üblichen Standardtyp, der spätestens mit 18 das erste Kind bekommt und damit auf zet ewig eine bestimmte Frauenrolle verkörpert.
Tja, ich wäre ihr ja gerne begegnet, aber es sollte wohl nicht sein. Und so blieb mir halt nur die Mopedtour mit ihren Brüdern, die ja durchaus auch etwas hatte. Es macht einfach Spaß, bei
schönem Wetter über Land zu juckeln, sich ein paar Sehenswürdigkeiten reinzuziehen und dabei den Wind um die Nase wehen zu lassen. Und iiiiergendwie könnte ich doch wieder auf so ein Teil, wie
ich ja auch schon auf Cat Ba bei unserer Inselrundfahrt registriert hatte.
Und so tuckerten wir als erstes zu einer asbachuralten japanischen Holzbrücke und einem sehr schön gelegenen Kloster, an dem wir gerade rechtzeitig ankamen, um an einer Zeremonie, einem Gebet
oder was weiß ich teil nehmen zu können. Warum wurde ich bloß die ganze Zeit das Gefühl nicht los, dass sich die Jungs in Ockergelb mit den ganz wenigen Haaren über die blöden Touris lustig
machten? Manchmal konnte der ein oder andere sein Grinsen kaum so schnell wieder aus den Gesichtszügen putzen, wie es dort aufgetaucht war. Und das in einer (scheinbar) heiligen Handlung, in der
es ja eigentlich nichts zu suchen hatte. Aber vielleicht sind es ja auch nur meine Aversionen, die ich bei solchen Veranstaltungen ~ egal welcher Couleur ~ nun mal empfinde. Allerdings
beeindruckte mich, dass es hier überall, auch auf den Straßen nach Räucherstäbchen duftete, fast so, als hätten sie irgendwo ein Riesenteil aufgestellt, das die ganze Gegend beduftet. Bis ich
hinter das Geheimnis kam. Die Dinger wurden hier in Massen per Hand hergestellt und dann auf der Straße zum Trocknen ausgebreitet. Bis zu dem Moment dufteten sie nur still vor sich hin, sahen
aber noch nach nichts aus. Um das zu ändern, kamen sie in ein Farbbad, um dann erneut ~ aber dieses Mal nach Farben getrennt ~ in Behältern rot, blau, gelb und grün in den Straßenläden zum
Verkauf zu stehen. Es war also nicht nur ein betörend duftendes, sondern auch ein äußerst farbenfrohes Spektakel.
Was ich vorher allerdings nicht wusste, ist, dass ich auf dieser Fahrt u.a. mit der unrühmlichen Geschichte dieses Landes ~ oder besser der des großen Möchte-gern-Bruders Amerika ~ noch einmal
konfrontiert wurde, die die Amis hier im Land gespielt haben. Und zwar durch einen von Thu's Brüdern. Der ~ wie er sagte ~ Gott sei Dank erst einige Jahre nach diesem Desaster geboren wurde, aber
trotzdem mit einer Betroffenheit und Eindringlichkeit, ohne die kleinste Hasstirade auf Nixon und Konsorten von die Zeit erzählte.
Er war mit uns an einen landschaftlich sehr schönen Ort gefahren, einen licht bewaldeten Hügel, auf dem sich drei alte französische Bunker befanden. Von hier hatte man einen sagenhaften Blick auf
den Perfum River, eine Stelle, die auch in jedem Reiseführer zu finden ist. Und auf andere, ebenfalls bewaldete Hügel. Das Ganze strahlte eine Ruhe und einen Frieden aus, dem ich mich gerne etwas
länger gewidmet hätte. Einfach nur dazusitzen, auf den Fluss zu schauen und eine Weile meinen Gedanken nachzuhängen. Das wäre allerdings mit dem, was ich dann erfuhr, nicht mehr so ganz gut
möglich gewesen. Denn vor wenigen Jahren gab es in dem gesamten Areal nur verbrannte und von Agent Orange verseuchte Erde und einen genauso verseuchten Fluss, sowie Kinder und Erwachsene, die das
Inferno vielfach nur verkrüppelt überlebt hatten oder als Baby entsprechend geschädigt zur Welt kamen, weil ihre Mütter völlig kontaminiert waren. In Ausmaßen, die vielleicht mit unserer
Contergan Affaire vergleichbar sind oder sie sogar noch übertroffen hat.
Und ein oder zwei Sehenswürdigkeiten weiter passierte es ein weiteres Mal. Wir waren bei einer Pagode angelangt, die nicht nur einen wohl besonderen Ruf hat, sondern auch sehr schön ist, was auch
ich so empfand, der ja von Tempeln und Pagoden im hundertsten Aufguss nicht viel übrig hat. Das Besondere aber war, dass hier der Mönch gelebt hatte, der sich damals in Saigon mit Benzin übergoss
und aus Protest gegen die Amis öffentlich verbrannte. Die Bilder und Texte, die damals um die Welt gingen, ja, sogar das Auto, mit dem er die 1100 Kilometer von Hue nach Saigon gefahren war ~
einen englischen Austin ~ hatten sie dort ausgestellt. Und auch hier war zwar wieder die gleiche Betroffenheit und Eindringlichkeit in seiner Stimme, aber ebenfalls ohne eine Spur von Hass,
allenfalls Bewunderung für diesen Mönch und seine Tat. Ich mich fragte mich, hat dieser Mann sich nun einfach nur sehr gut unter Kontrolle oder ist er wirklich frei von Hass. Nur zu verständlich
wäre es, wenn er es nicht wäre. Aber das ist eh etwas, dem ich bisher in diesem Land nicht begegnet bin, während ich in China oder Russland immer mal wieder zu hören bekommen hatte:
„I hate Amerika.“Traveller aus Amerika hatten dort nicht immer einen leichten Stand.
So, wie ich ihn auch nicht hatte, als sich mir auf meinem Nachhauseweg vom Stromern eine Klette in Form eines Mädchens an die Fersen heftete, das ich altersmäßig irgendwo zwischen 10 und 12
einschätzen würde. Ich hatte schon weitem gesehen, dass sie jeden Ausländer anquatschte, aber überall abblitzte. Sie wollte auch mir unbedingt ihre Postkarten verkaufen, die ich genauso wenig
haben wollte, wie alle anderen vor mir. Aber alle Abwehr nütze nichts, die Kleine war einfach Klasse oder ich zu weich. War's erst der Hunger, den sie ins Feld führte, und dann die Münzen, um die
sie mich bat ~ die werden gesammelt, um dann, wenn es genügend sind, bei einem der nächsten Touris gegen Scheine getauscht zu werden, für die sie dann bei der Bank ihre Dong bekommen ~ ging es
dann über in „Du bist doch ein reicher Tourist, du wirst mir doch wohl ein
paar Karten abkaufen können, die mir ein Überleben ermöglichen.“Und was sie
sonst noch so drauf hatte. Interessanterweise kam das aber bei ihr nicht im Jammerton rüber (wie sonst immer), sondern eher ein bisschen witzelnd und mit einem ~ ich möchte es mal so ausdrücken ~
süffisanten Lächeln auf den Lippen. Als hätte sie genau gewusst, dass sie mich, wenn überhaupt, nur auf dieser Ebene kriegen würde. Denn jetzt musste ich lachen und fragte sie, ob sie sich vom
Acker machen würde, wenn ich zwar keine Karten kaufe, ihr aber statt der dafür geforderten 8000 Dong 5000 (Wert ca. 40 Cent) gäbe? Worauf ihr Mundwerk zum ersten Mal still blieb und sie nur
freudestrahlend nickte, den Schein nahm und tatsächlich verschwand.
Eine Weile später sah ich sie an anderer Stelle erneut, aber wie ausgewechselt. Ich sah ihre Karten nicht mehr, und sie sprach auch niemanden mehr an. Stattdessen hüpfte sie ~ wie junge Mädchen
das wohl überall gerne tun ~ von einer Gehwegplatte zur nächsten, ohne auf die Fugen zu treten. Ich hörte sie vor sich hin kichern, wenn ihr ein besonderer Hüpfer gelang. Und dann sah sie mich,
brach ihr Spiel ab und kam erneut auf mich zu, obwohl wir ja abgemacht hatten, dass sie mich in Ruhe lassen würde. Aber sie fragte nur nur nach meinem Namen und sagte mit dann, dass sie Tsu
hieße, wenn ich das richtig verstanden und behalten habe. Ihre Karten hatte sie in einer Innentasche ihrer Jacke verstaut, denn sie hatte offensichtlich Feierabend. Dann bedankte sie sich noch
einmal und verschwand endgültig. Wahrscheinlich nach Haus zu ihren Eltern und Geschwistern. Und ich stand da leicht bedröppelt, weil mir klar wurde, dass meine 40 Cent anscheinend ausgereicht
hatten, aus einer Kind-Verkäuferin ~ die jeden, aber auch jeden anmachte, der ihr vor die Füße kam ~ wieder ein junges Mädchen zu machen. Und diese Taler hatte ich, der Ausländer, ihr auch noch
völlig korrekt übergeben, nämlich so, wie es sich in Vietnam gehört.
Hier übergibt man ~ wenn eben möglich ~ alles immer mit beiden Händen und nimmt es auch so in Empfang. Es ist zwar auch möglich, etwas nur mit einer Hand zu übergeben, aber dann hat es die rechte
zu sein, wobei die linke Hand den rechten Unterarm direkt hinter dem Handgelenk dann dabei zu umfassen hat. Natürlich wusste ich von diesem Höflichkeitsbrauch nur durch meine drei Deutschen und
es hat auch eine ganze Weile gedauert, bis ich dieses Geste immer und überall angewendet habe. Aber es war fast jedes Mal zu bemerken, wie mein Gegenüber kurz stutzte, mich dann anlächelte und
ebenfalls beide Hände benutze, um es anzunehmen. Und so war's auch bei der Kleinen. Sie hatte es erstaunt registriert, und entsprechend reagiert, was ich wiederum bemerkt hatte. Genauso, wie ich
immer wieder sehen konnte, dass Vietnamesen auf ihren Brauch bei den „normalen“Touristen fast immer verzichten und ihnen alles mit einer
Hand überreichen. Aber wenn ich zuvor das Geld, oder was es auch immer war, mit beiden Händen überreicht hatte, bekam ich das, was ich zurückzubekommen hatte, auch jedes Mal mit beiden Händen
zurück. Und fast immer mit diesem erstaunt-freudigen Lächeln, das manchmal auch noch wortreich begleitet wurde. Wobei ich natürlich wieder einmal mehr nicht wusste, was man mir da erzählte. Aber
solche Erlebnisse sind es dann, die die gesamte Schlitzohrigkeit wieder aufwiegen.
Und dazu gehört auch meine Erfahrung im Hotel, als ich ~ wie gewohnt, da einfacher ~ gegen einen kleinen Aufpreis mein Ticket nach Saigon buchen wollte. Der Bursche empfahl mir doch glatt, das
selber am Bahnhof zu tun, weil es dort preisgünstiger wäre, als im Hotel oder einer Agentur. Ich gehe mal bei der normalen Geschäftigkeit in diesem Land davon aus, dass er nicht zu faul war,
sondern wirklich an das Wohl meiner Finanzen dachte. Und das habe ich dann aus dem Stand heraus auch getan und sogar noch für den nächsten Morgen ein Ticket bekommen. In China wäre das unmöglich
gewesen. Und so saß ich dann am anderen Morgen wieder einmal in einem Zug, der mich weitere tausend Kilometer meinem Ziel ~ Down Under ~ näher bringen sollte.