Singapur
Etappe 42 ~ von Mi. 11.06. bis Do. 10.07.2008
Wenn man auf eine entsprechende Landkarte der südöstlichen Erdhalbkugel schaut, sieht Singapur aus, als wenn es der äußerste
südliche Zipfel Malaysias sei. Was es geschichtlich ja auch mal war. Und tatsächlich habe ich bis vor kurzem geglaubt, dass es immer noch ein Teil dieses Landes sei. Aber ich muss sowieso
gestehen, ich wusste nicht viel über diesen Inselstaat, außer dass es hier günstig Elektronik aller Art zu kaufen geben, und dass es eine der saubersten Städte der Welt sein soll, in der man kein
Kaugummi auf der Straße kauen, bzw. es dort nicht ausspucken darf. Ich wusste als politisch nicht sonderlich interessierter Mensch nicht, dass es eine Diktatur und ein Polizeistaat ist, was ich
als „Zugereister“
nicht bemerken konnte, da jedenfalls die uniformierte Polizei kaum sichtbar war. Ich habe selten so wenig von ihr gesehen wie
hier. Aber inkognito ist sie überall, wie ich bei einem Bummel mit Dominik (meinem ersten Gastgeber) durch's Rotlichtviertel mitbekommen habe. Plötzlich ~ aus erst kaum ersichtlichen Grund ~
verschwanden nämlich rundherum die meisten Singapurer fix in alle Richtungen, während das Vakuum dafür mit zivilen Typen aufgefüllt wurde, die wie im Film, auch ohne Uniform einfach nach
Polizisten aussahen.
Aber auch wenn Polizisten in dienstlichen Outfit kaum zu sehen sind, und die anderen für mich normalerweise nicht auffallen, fallen dahingegen all die unzähligen Verbotsschilder und der absolut
kontrollierte Verkehr auf ~ der keinen oder kaum „traffic
jam“ zulässt. Für's Fahren in der Stadt sind Gebühren fällig, die
von „Big Brother“
automatisch für jedes Auto und jedes Motorrad ermittelt werden, das sich in der Stadt bewegt. Busse haben ihre eigenen
Spuren, und ein Fußgänger, der bei Rot über eine Ampel läuft oder ein paar Meter daneben die Straße überquert, wird mit empfindlichen Geldstrafen belegt, falls man ihn erwischt. Und so sieht
alles ziemlich diszipliniert aus. Vor allem aber macht sich das System an den vielen mehr oder weniger unauffällig angebrachten Videokameras bemerkbar. Wobei sich dieser Trend ja auch bei uns
schon spürbar vor meiner Abreise im Gefasel bestimmter Politiker und wohl teilweise auch schon in der Realität sichtbar wurde. Hier wird immerhin oft genug sogar direkt auf die Überwachung
hingewiesen, die natürlich auch für's Handy und das Festnetz Telefon gilt. Ohne komplette Registrierung mittels meines Passes, wäre es z.B. unmöglich gewesen, mir eine SIM Card für mein Handy zu
kaufen. Heftiger war das nur in Russland, wo mir das nur mit dem Pass eines hilfsbereiten Russen gelang.
Dass Singapur so ist, wie es heute ist, „verdankt“ diese Stadt einem einzigen Mann: Lee Kuan Yews, der die
Führung 1959 übernommen und sie bis 1990 behalten hat. Er zog sich dann zwar zurück und machte seinen Sohn zu seinem Nachfolger, aber als sogen. „Altersmitglied“ der Regierung
hält er weiterhin alle Fäden in der Hand. Und die ließ er sich bisher ~ wie es sich für Machthaber dieser Art gehört ~ auch nicht aus der Hand nehmen, wobei ihm jedes Mittel recht war und ist.
Und zimperlich war er bei bei der Mittel Wahl nicht. Nur wie schon gesagt, nach außen ist von all dem nichts zu spüren.
Aber auch in einer Diktatur wird wohl nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Und so fiel mir als Erstes auf, als ich meine Füße an der Busstation auf singapurer Boden setzte, dass
auch in der saubersten Stadt der Welt die Kippen und andere achtlos weggeworfenen Dinge in der Gegend herum lagen. Auch wenn es nicht so verdreckt aussah, wie zuvor in anderen Städten. Trotzdem
scheint die Aussage zu stimmen, dass man ein Problem hat, wenn man beim unsachgemäßen Entsorgen irgendwelcher Dinge erwischt wird. Also werde ich mich nicht erwischen lassen, bzw. nichts
wegwerfen. Ist doch ganz einfach.
Ansonsten mochte ich Singapur von der ersten Sekunde an, die Stadt erschien mir großzügig und ließ Platz zum Atmen, selbst im dichtesten Getümmel und trotz der politischen Gegebenheiten. Ich war
gegen 14 Uhr 30 an der Busstation angekommen und wusste von Daud aus Melaka, dass es von dort aus nur einen relativ kleinen Fußmarsch zur nächsten MRT Station ~ einem der innerstädtischen
Verkehrssysteme ~ hat, von der ich dann zur Aljunied Station fahren konnte, an der mich Dominik, mein erster beinaher Servas Gastgeber um 19 Uhr abholen würde.
Servas ist eine weltweite Organisation von Menschen, die gerne außerhalb der „normalen“ Tourismusangbote reisen und oft auch selber zu Low Budget
Bedingungen unterwegs sind und wissen, dass eine preiswerte Unterkunft diese Art zu reisen u.a. mitbestimmt. Und so stellen sie vielfach einem Reisenden einen Schlafplatz zur Verfügung, weil sie
auch wissen, dass auf dieser Schiene viele interessante Menschen unterwegs sind. Bei Servas muss man Mitglied sein, um beides tun zu können, um ein Bett nachzufragen oder eins anzubieten, im
Gegensatz zu Couchsurfing oder dem Hospitality Club. Und ich hatte mich vor meiner Abreise bei Servas angemeldet und für meine Reiseländer Adressen Listen zur Verfügung gestellt bekommen, von
denen ich anfangs noch keinen Gebrauch gemacht hatte, weil die Eingewöhnung in mein Nomadenleben alleine schon interessant und spannend war und mir genug abverlangte, so dass ich nicht zugleich
auch noch Gast bei fremden Leuten sein mochte. Das änderte sich auch erst ab Vietnam. Dort, in Kambodscha, Laos und Myanmar fragte ich erstmals nach Unterkunftsmöglichkeiten. Aber es gestaltete
sich nicht. Entweder kam denjenigen zu guter Letzt noch etwas dazwischen oder der Wirbelsturm in Myanmar sorgte dafür, dass es nicht klappte.
Für Thailand und Malaysia hatte ich nichts versucht, wohl aber für Singapur. Allerdings bekam ich eine Antwort von Servas Belgien, die besagte, dass Servas Singapur z.Z. ziemlich desorientiert
sei und kaum eine Chance bestünde. Man teilte mir aber die Adresse eines Servas Interessenten mit ~ einem Schweitzer, der in Singapur lebt und arbeitet ~ bei dem ich mich melden könnte. Was ich
dann natürlich auch tat. Und siehe da, ich bekam folgende Antwort:
Hallo Hans-Jürgen
Ich bin zwar (noch) nicht Servas-Mitglied, aber der Idee sehr zugetan. Da ich single und berufstätig bin, habe ich
nicht wirklich viel (oder genug) Zeit, um sie mit Gästen zu verbringen. Auch die Idee eines gemeinsamen Nachtessens ist bei mir eher schwierig zu realisieren im Moment.
Aber wenn Du ein Bett brauchst für 2-3 Nächte bist Du willkommen. Voraussetzung ist ein Letter of Introduction, den Du sicher hast.
Meine Nummer im Büro ...
Gruss / Dominik
Dieser Letter of Introdution ~ kurz LOI gennant ~ ist ein wichtiger Teil für Servas Gastgeber und diejenigen, die einen Gastgeber
suchen. Er gehört zum Aufnahme Procedere und muss bei Antragsstellung mit eingereicht werden. Die wichtigsten Daten sind hier vermerkt und ein passbildähnliches Foto gehört dazu. Aber auch die
Schilderung der Reise die man vorhat und das Land, bzw. die Länder, die man besuchen will und in die man schon gereist ist. Und natürlich Angaben über Sprachkenntnisse und ob man ggfls. selber
auch Gastgeber sein möchte. Das Ganze wird dann noch von einem Servas Instruktor in einem persönlichen Gespräch erörtert, mit Stempel und Unterschrift versehen und dient so dann unterwegs als
Türöffner. Und mir öffnete er meine erste und weitere Türen in Singapur, denn Dominik reichte mich an ein befreundetes Paar ~ Christiane, einer Deutschen und Arjen, einem Holländer und ihre 4
Kinder weiter. Eine Familie, die bereits seit 5 Jahren hier lebte und arbeitete und ebenfalls noch keine Servas Mitglieder waren. Und ich bekam sogar von Dominik noch eine Wiederholungseinladung
für die Zeit nach Christiane und Arjen, weil sie allemann für 4 Wochen in Urlaub nach Europa flogen. Gerne hätte ich in dem schönen alten singapurer Haus ind den nächsten Wochen den Housesitter
gemacht, wenn es denn möglich gewesen wäre. Stattdessen konnte ich weitere Tage und Nächte bis zu meinem Verschwinden aus Singapur im Haus ihrer singapurer Freundin Ginny und ihrem 7-jährigen
Sohn verbringen.
Das waren natürlich absolute Kontrastprogramme, wie sie kontrastreicher kaum sein konnten. Aber interessant, wie sich schon am
bereits erwähnten Bummel durchs Rotlichtviertel zeigte. Und natürlich ebenfalls in den Gegebenheiten, die sich in den familiären Umgebungen ergaben, wie gemeinsame Stadtbummel, eine Bootsfahrt
auf dem Singapur River, eine gemeinsame Parkwanderung, ein Zoobesuch, der im singapurer Zoo durchaus interessant ist, weil er zu den weltweit anerkannten, ich glaube 10 schönsten Zoos
gehört.
Obwohl Prostitution verboten ist, brodelte hier in bestimmten Straßen das Leben, wenn auch vielleicht in einer Art und Weise, die
nicht die beste ist. Aber wenn ich die Situation hier z.B. mit dem Hamburger Kiez vergleichen sollte, würde ich sagen, dass die Schwere dieses Geschäftes in Hamburg an allen Ecken und Kannten
ablesbar ist, während es hier eher einem verführerischen Tanz glich. Womit ich mich natürlich nicht für die Prostitution einsetzen möchte, denn es wird wohl ganz einfach so sein, dass auch dieser
Schatten für mich kaum, bzw. gar nicht sichtbar wurde, weil er sich hinter einer scheinbaren Leichtigkeit versteckte, wie sie wohl nur in tropischen Ländern möglich ist. Denn zwischen all den
Inseln der käuflichen Liebe pulsierte das normale Leben in Form von kleinen und größeren Läden, kleinen und größeren Restaurants und Kneipen mit all den Menschen, die dort aßen, tranken und
miteinander redeten. Auch hier wechselten sich Tempel mit Wohnhäusern und Wohnblocks ab, so dass mir nicht einmal sofort klar war, wo wir uns hier befanden.
Da sich die singapurer Arbeitszeiten von unseren in Deutschland in einer Form unterscheiden, die sich bei uns kaum jemand antun,
vielleicht sogar die Gewerkschaften auf den Plan rufen würde, starteten unsere gemeinsamen Unternehmungen frühestens um 21:30 Uhr. Wir sind aber auch um 23 Uhr noch zu einem längeren
Nachtspaziergang aufgebrochen, um dann gegen 01:00 Uhr noch lecker in einem Eckrestaurant ~ das unser Ziel war ~ an der Straße zu essen. Und so etwas ist in Singapur rund um die Uhr möglich. Hier
scheint niemand in seinen eigenen vier Wänden zu essen, alles spielt sich in den Foodstalls und Restaurants ab. Ganze 14- oder gar 20-köpfige Familien habe ich registrieren können. Und so haben
die vielen kleinen und großen Restaurants bei 4 Millionen Einwohnern anscheinend ganz schön was zu tun.
Zu tun gab es aber auch immer reichlich im familiären Bereich meiner beiden anderen Gastgeber, wobei es hier noch den bei uns fast
ausgestorbenen Beruf einer Haushaltshilfe gibt. Der allerdings ~ wenn diese „helper“ bei den entsprechenden Herrschaften landen ~ oft recht ausbeuterisch gehandhabt wird, selbst wenn es Kontrollbewegungen oder
-mechanismen gibt. Man muss ~ so erfuhr ich ~ vor der Einstellung einer Haushaltshilfe eine Art „helper-Führerschein“ machen und Fragen beantworten, die so klingen: Darf ich meinen „helper“ schlagen, ihn, bzw. sie für irgendetwas bestrafen, für zerbrochenes Geschirr oder andere beschädigte Dinge den entspechenden
Betrag vom Lohn abziehen, sie beschimpfen usw. usf. Das hörte sich schon recht gruselig und mittelalterlich an, scheint aber immer noch Praxis zu sein, vor allem, wenn die
„feinen“ Herrschaften aus asiatischen Ländern stammen und sich auf diese Weise eine oder mehrere „Leibeigene“ halten.
Natürlich ist so ein „helper“ für eine Expatfamilie ~ und nicht nur für die ~ eine feine Sache, die in der
hier gehandhabten Form bei uns kaum zu bezahlen wäre. Denn alle lästigen und ungeliebten Arbeiten im Haushalt ~ wie tägliches Wäschewaschen, Bügeln, Essen kochen und servieren, Abwaschen, Putzen,
Einkaufen, bei Bedarf auf die Kinder aufpassen, den Hund ausführen, Blumengießen, den Müll raustragen usw. werden von diesen „Angestellten“ erledigt. Und das ggfls. rund um die Uhr, da sie auch im Haus wohnen.
Gemeinsam war allen drei Gastfreundschaften, dass sie unter dem Zeichen der Offenheit, Akzeptanz, Herzlichkeit, dem Neugierigsein auf den anderen und der Annahmebereitschaft standen. Ich wüsste
nicht, wann ich mich jemals bei anfangs nun mal wildfremden Menschen je so wohl gefühlt hätte. Ich bin ihnen sehr dankbar für die vielen Dinge, die sie mir gezeigt und zugänglich gemacht haben.
Angefangen beim Kauf der Scheckkarte für Bahn und Bus, bis hin zum gemeinsamen Durian- oder Chilly Crab Essen. Wobei die Durian ~ die ja auch Stinkfrucht genannt wird ~ schon etwas ist, an dem
sich die Geister scheiden. Ihr intensiver Geschmack und Geruch war mit nichts vergleichbar, was ich bis dahin kannte. Man riecht diese Frucht an den Ständen auf den Straßen meterweit. Und so ist
es nicht verwunderlich, dass in Taxis, Hotels usw. Schilder zu finden sind, die besagen: „No durians“. Man mag sie oder lehnt sie
komplett ab. Und so sah ich an dem Stand, an dem man seine Durian dann an Tischen auch gleich verzehren konnte, drei Touristen, die überlegten, ob sie sich trauen sollten. Nach einer kleinen
Kostprobe stand dann aber fest, dass sie wohl auf einen weiteren Versuch verzichten würden. Ich habe den Eindruck, dass es nicht oder kaum überzeugt, nur ein kleines bisschen zu probieren, es
sollten schon drei, vier Kerne sein.
Meinen ersten Durian Versuch hatte ich ähnlich vorsichtig bereits in Saigon gestartet, allerdings hatte er mich auch nicht überzeugt, da sie etwas fad schmeckte. Aber hier in Singapur war das
Aroma voll und das Fruchtfleisch, dass dünn und weich ~ wie zerlaufender Camenbert ~ einen dicken Kern umschließt, war von einer Süße, die fast schon süchtig machen kann. Und da man die Kerne mit
den Fingern aus der Frucht puhlt, ist es also schon eine Matsche, die man dann sehr sinnlich vom Kern und von den Fingern schleckt. Allerdings sollte man ~ wie Ginny mir erzählte ~ nicht zu oft
und zu viel davon essen, da man Nasenbluten davon bekommen kann. Die Durian scheint eine Art natürliches Macumar zu enthalten und das Blut zu verdünnen. Außerdem las ich, dass diese Frucht, die
mit so massiven Stacheln bestückt ist, dass man sie ohne Handschuhe kaum tragen kann, als Waffe benutzt wurde. Man schneidet sie nämlich wegen ihrer Stacheln so vom Baum, dass ein Stück Stiel
dran bleibt, der als Tragegriff dient. Und damit lässt sie sich dann als Schlagwaffe einsetzen, was böse Verletzungen erzeugt. Es hieß in diesem Bericht, dass jemand, der diese Waffe benutzt und
damit jemanden verletzt hatte, nach der Anzahl der Stichwunden bestraft wurde, die das Opfer aufzuweisen hatte. Wenn man so Ding dann mal in der Hand, bzw. am Griff hatte, kann man sich das recht
gut vorstellen. Für mich stand jedenfalls fest, dass es nicht meine letzte Durian war, die ich da an meinem vorletzten Abend an der Dempsay Road ~ einem alten Engländer Wohnquartier, das heute
sehr urban mit unterschiedlichsten Lokalen und Läden daher kommt ~ gegessen hatte. Dieser Durian Abend war zwar noch nicht ganz der Abschluss meiner Zeit in Singapur ~ die immerhin 29 Tage
gedauert und damit Peking mit seinen 21 Tagen vom Thron geschubst hatte ~ aber auch in diesem Fall galt, dass selbst die schönste Zeit einmal zu Ende geht. Und am nächsten Tag, Donnerstag, dem
10. Juli war es dann soweit, (m)eine Fähre brachte mich nach Batam, einer Singapur vorgelagerten Insel, die zum Riau Achipel und damit bereits zu Indonesien gehört.
Jaaaa, Singapur hatte einen Platz auf meiner Beliebtheitsskala gefunden, der derart hoch war, dass ich allen Ernstes überlegte, ob ich hier nicht mal ein Jahr oder auch länger leben sollte.
Sicher hat das auch viel mit den neuen Menschen / Freunden zu tun, die ich hier getroffen habe, aber diese Stadt hat schon etwas, was mich fasziniert, auch wenn sie mir manchmal fast zu westlich
ist. Aber garantiert würde ich ~ wenn ich diesen Gedanken umsetzen sollte ~ nicht in einem der Expat Gebiete wohnen wollen, sondern dort, wo die Locals zuhause sind. We will
see.
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