Zeitverschiebung ist schon was feines, zumal sie in Russland erneut stattfand. Vor allem dann, wenn einem dabei die Zeit wie
im Flug vergeht. Denn ehe wir uns versahen, hielt unser Bus in St. Petersburg mitten im Trubel anderer Busse und Menschen. Meinem Zeitgefühl nach, hätten wir noch gar nicht dort sein dürfen. Und
nun kam es mir in dieser Unwirklichkeit vor, als befänden sich hier einige hundert Busse und tausende von Menschen auf einem Haufen. Aber es war erst einmal Endstation, und meine Uhr zeigte immer
noch 14 Uhr 30. Aber in diesem Land und an dieser Stelle war es bereits 15 Uhr 30 und damit hatte ich nun die zweite Zeitverschiebung um eine weitere Stunde. Insges. inzwischen, also zwei.
Was hier allerdings auf mich / auf uns einstürmte, war mit nichts mehr vergleichbar, was ich bis hierher auf meiner speziellen „Reise nach Jerusalem“
kennen gelernt hatte. Ein Kontrastprogramm, wie es kontrastiger für diesen Moment kaum sein konnte. Dabei waren mir einige Kontrasteschon in den ersten Sekunden nach
dem Grenzübergang sehr bewusst geworden, als plötzlich überall nur noch kyrillische Buchstaben zu sehen waren. Spätestens da war klar, dass ich im Land der Kosaken, des Wodkas, der Ikonen ~ und
was es sonst noch für Klischees von und über Russland geben mag ~ angelangt war. Manoman, und nun dieses Ding hier. Da stand ich nun vor meinem Bus und fühlte mich, ähnlich wie ein Wal sich
fühlen mag, wenn er im Irgend- oder auch Nirgendwo gestrandet ist.
Meine beiden Briten wollten die Nummer mit 'nem russischen Taxi wagen, um zu ihrem Domizil zu gelangen, während ich mich für die sicher aufregendere Metro entschieden hatte. Komischerweise war
die ganze Panik, die ich noch einen Tag zuvor in Narva geschoben hatte, wie weggeblasen. Was hatte ich gebibbert und gezittert, vor diesem Moment, in dem ich mich noch mutterseelenalleiner als
zuvor fühlen würde, weil hier nicht nur die Sprache, sondern auch gleich noch die Schrift eine Herausforderung sein würden. Außerdem sollte es ja unterirdisch vom
„Baltik vokzal“ ~ so hieß das Teil, an dem wir im Gegensatz zum Wal freiwillig gestrandet
waren ~ durch eine Millionenstadt, vorbei an allen bösen Buben dieser Welt bis zu meinem rettenden Hafen, dem Youth Hostel Metro Tours in der „Blagodadnaja
ul“ gehen. Jungchen, woher nimmste bloß die halbe Pulle Wodka, um datt heil zu überstehen?
Wie schon gesagt, war vom großen inneren Zittern nichts mehr spürbar, sondern eher das Gegenteil. Ich WUSSTE
irgendwie, dass alles gutgehen würde. Und zwar ohne die bisherigen kleinen Widrigkeiten. Kurz noch Tschüss gesagt und dabei dann in der beiderseitigen Aufregung vergessen, irgendetwas
auszutauschen, um vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt mal wieder ein Stück gemeinsam weiterzuziehen. Aber das wird schon werden, wenn es so sein soll. Schließlich haben wir ja noch ca. drei
Jahre Zeit, gelle?
Aber nun galt es, erst mal diesen Klotz von Metrogebäude etwas genauer anzupeilen, um den Eingang in den Hades von St. P. zu finden und darin abzutauchen. Schließlich hatte ich ja per Mail eine
Beschreibung bekommen, welche Bahn ich zu nehmen hätte, wo ich umsteigen und wo ich raus müsste. Und das alles trotz russischer Worte in mir vertrauten, weil unseren Buchstaben geschrieben. Also
genauso, wie ich eben gerade den Namen der Metrostation und der Straße hingeschrieben habe. Alles klar? Damit würde ich aber nicht weit kommen, wenn, ja wenn hier nicht mein ganz persönliches
Wunder von Bern oder sonst was passiert wäre. Anders ausgedrückt, wenn mir nicht meine visuelle Seite mit aller Macht unter die Arme gegriffen hätte, wäre es schwierig geworden, denn diese
eingedeutschte Schreibweise gab es nirgends. Für wen auch? Etwa für die paar Touristen, Backpacker und sonstige Verrückten, die sich freiwillig hierher in den Underground von St. Petersburg
verirrten?
Um dieses Wunder nun etwas näher zu beleuchten, sei gesagt, dass ich mal zum Ende meiner Bundeswehrzeit aus Spaß an der Freude ca. für ein dreiviertel Jahr an einem Russisch Kurs teilgenommen und
als Vorbereitung für Russland vorher schnell noch einen VHS Kurs belegt hatte, an dem ich leider nur zur Hälfte teilnehmen konnte. Aber dank dieser Gegebenheiten ist die kyrillische Schrift gut
hängen geblieben, jedenfalls besser als die Vokabeln. Sogar so gut, dass ich mit ein wenig Unterstützung durch einen Spickzettel mit dem russischen Alphabet von der ersten Sekunde an jedes Wort
lesen, bzw. entziffern konnte. So erkannte ich sehr oft die Bedeutung und wusste, was gemeint war. Das ging zwar nur im rasanten Tempo eines i-Männchens, Buchstabe für Buchstabe, aber es
funktionierte, machte Spaß und übte sich ungemein.
Außerdem hatte ich mir an dem Regentag in Narva alles, was ich für meine ersten Schritte in St. P. gebrauchen würde, in kyrillischer Schrift auf eine Art Laufzettel geschrieben, den ich jedem
unter die Nase halten wollte, von dem ich Hilfe erwarten konnte. Zuerst also den Namen der Station, an der ich angekommen war (Baltik vokzal), dann den Namen der Linie, die ich nehmen musste
(Metro Baltisskaja) und wieder einen Pfeil zum Namen meiner Umsteigestation (Technologichesky) und dann wieder einen Pfeil zum Namen meiner Endstation (Elektrosila) plus der Straße, an der ich
wieder das Tageslicht erblicken würde (Moskowski prospekt) und der Straße, in der sich das Hostel befinden sollte (Blagodatnaja ul). Denn hier auf Englisch, Deutsch oder eine andere Sprache zu
vertrauen, wäre ein bisschen viel Vertrauen gewesen.
Und siehe da, gleich der erste Versuch klappte. Eine junge Frau packte mich, den „älteren Herrn“ beim Arm, bugsiert mich vor einen
Schalter und macht mir klar, dass ich dort erst einmal Jetons für das Metro-Spiel kaufen muss, um damit auf das Spielfeld zu gelangen. Wie das gehen sollte, zeigte sie mir auch gleich noch und
den Weg zu meiner Metro. Ich konnte dann nur noch begeistert „spassiba“ (= Danke) sagen, und dann war meine gute Fee auch schon wieder in der
Menschenmenge verschwunden. Und Menschenmenge ist weiß Gott nicht übertrieben. Denn wenn man diese Mengen hier untertage sieht, kommt die Frage auf: „Und wer ist
noch oben, übertage?“
Es ist verrückt, aber die Züge fahren tagsüber im Minutentakt und sind immer ~ ich betone immer ~ knüppeldicke voll, als wäre permanent Rushhour. Die Menschen quetschten sich rein, bis nichts
mehr ging und oft genug blieben einige zurück, weil beim besten Willen niemand mehr zu all den Sardinen hineinpasste. Immer wieder so erlebt. Und genauso ist es an den Fußgängerampeln. Ich wusste
bis heute nicht, dass sich mit einem Schlag bei Grün hunderte von Menschen über die Straße wälzen können. Es ist wie in einem Ameisenhaufen. In dieser Form habe ich es weder in Hannover, noch
Düsseldorf, Hamburg, Berlin, München, London, Paris, Bangkok oder sonst wo erlebt. Vielleicht habe ich es auch nur vergessen. Jedenfalls staunte ich in beiden Fällen jedes Mal aufs neue. Dabei
wurde hier oft genug gelaufen und gefahren, als wären die einen die Jäger, und die anderen die Gejagten. Aber auch als deutscher Fußgänger gewöhnte ich mich schnell daran und mischte genauso fix
mit, denn sonst stünde ich heute noch auf einer der Straßen von St. P. und wartete auf einen sich gerade nicht auf der Jagd befindenden Autofahrer. Oder man hätte mich mit einem Halali
erlegt.
Der Abstieg in die Unterwelt war jedes Mal etwas Besonderes. Ich sah zuerst immer nur eine endlos lange Rolltreppe ~ ohne ihr Ende auch nur im Geringsten ahnen zu können ~ und hatte das Gefühl,
es geht mit einem ziemlichen Tempo mindestens 300 m diagonal bei 45 Grad nach unten oder nach oben. Und das alles völlig diszipliniert. Jeder stand auf der rechten Seite ~ jedenfalls abwärts ~
damit eiligere Zeitgenossen im Schweinsgalopp an den anderen vorbeitrampeln konnten. Man hörte es die ganze Röhre rauf und runter, während die Luft ~ auf Grund der Geschwindigkeit der Treppe ~ an
uns vorbei strömte. Und irgendwann ~ am spektakulärsten beim Runterfahren ~ tauchte dann die Ebene auf, auf der sich die Bahnsteige und die Geleise befanden. Allerdings hatte man von der Treppe
aus ~ je nach Station ~ noch durch diverse Gänge zu laufen, da ja jede Linie ihre eigenen Zuwege hatte, die es zu finden galt.
Tja, und auch hier in dieser Unterwelt hatte mir mein optisches Empfinden für alles, was mit Formen, Grafik o.ä. zu tun hat, halt sehr, sehr gute Dienste getan. Ich war schon während meiner
allerersten Fahrt in der Lage, die Namen, auf die es ankam, auf den Schildern lesen zu können und habe so den Metro-Parcours gleich in der ersten Runde völlig fehlerfrei absolviert. Das
Umsteigen, wie das Aussteigen, klappte auf Anhieb und das Finden meiner Straße und meines Hostels genauso. Endlich mal wieder ein Durchgang ohne diese vermaledeiten nervigen Widrigkeiten.
Allerdings galt es noch den Hotel-ETAPP-Hostel-Schock zu überwinden. Schließlich war in diesem riesigen Hostel, mit wahrscheinlich über hundert Zimmern, jetzt wieder Mehrbettzimmer angesagt und
alles, was nun mal hostellike war. Die Duschen und die WC's, eigentlich zu wenig und die für die vielen Gäste zu kleine Küche, in der es immer turbulent war, weil Russen, viel zu kochen scheinen.
Und zwar zu jeder Mahlzeit. Aber da würde ich mich schon wieder eingewöhnen, schließlich hatte ich das anfangs ja auch geschafft, gelle? Am lustigsten war es immer mit einer Truppe nicht mehr
ganz junger Frauen, die irgendeinem Job nachgingen und hier wohnten, weil es preisgünstig war. Auf eine Art verstanden wir uns gut, auf eine andere wiederum gar nicht. Meine
paar Brocken Russisch reichten einfach nicht, ihre nicht vorhandenen Englisch Kenntnisse zu überbrücken. Schade. Bei den Männern ~ sofern es Russen waren, und die meisten waren es ~ war es
ähnlich. Am Wochenende fuhren fast alle nach Hause.
Es gab also nur wenige andere Backpacker wie mich. U.a. ein junger Deutscher aus Berlin, der durch einen Teil der anderen ehemaligen Sowjet Republiken gezogen war, Kasachstan usw. Für mich Anfänger hörten sich seine Erzählungen seltsam aufregend an. Aber das, was er hinter sich hatte, würde ich mich (noch) nicht trauen. Obwohl es mich schon gereizt hätte, nach Usbekistan und seine Hauptstadt Taschkent zu kommen. War es doch die Zwischenlande-Station auf meinem allerersten Rucksack-Tripp 1994 nach Thailand.
Was mich aber noch mehr faszinierte und reizte, war das, was er über den letzten Hüpfer zurück nach Berlin erzählte. Den würde
er mit eine alten Wellblech Tante Ju aus dem zweiten Weltkrieg machen, die ihn von St. Petersburg nach Berlin bringen würde. Manoman, da kam ich doch glatt einen Moment ins Grübeln, ob ich diesen
Flug nicht hin und zurück mit machen sollte.
In meinem Hostel in St. Petersburg gab es aber auch
etwas komplett Neues, an dass ich mich zu gewöhnen hatte. Und zwar an die Art Zudecke, die an und für sich nächtens einen wohligen Schlaf unterstützen sollte. Was sie aber nicht tat, weil
zu dünn und die Temperaturen inzwischen bereits zu niedrig. Dieses Teil bestand nämlich nur aus einer normalen Decke ~ aus welcher Faser auch immer ~ die in den Bettbezug eingezogen wurde. Und
das war's. Jedenfalls so lange, bis es ungemütlich wurde, und ich mir kurzer Hand eine weitere Decke von einem freien Bett mopste und sie noch oben drauf packte. Aber so richtig kuschelig war die
erste Nacht damit auch noch nicht. Das klappte erst, als ich in der zweiten meinen Schlafsack auspackte und ihm als zusätzliche Zu-Decke den Wohlfühl-Auftrag erteilte. Und so kam das gute Stück
dann endlich auch mal zu Ehren.
Zu Ehren kam auch die Eremitage durch meinen Besuch. Jaaaa, ich habe sie mir angetan, habe den gesalzenen Obulus bezahlt ~ bei dem es im Gegensatz zu den vorausgegangenen Nachbarländern keinen
pensionärsfreundlichen Nachlass mehr gab ~ mich dann in den meisten Sälen und Gängen gelangweilt, die Möglichkeit genutzt, endlich ins Internet zu gelangen (was bisher nicht möglich war und auch
weiterhin nur erschwert möglich sein sollte) und mir die Füße rundgelaufen.
Warum kann ich bloß mit diesen alten Schinken, Skulpturen, Gefäßen, Möbeln usw. ~ und seien sie noch so kostbar und wertvoll ~
nichts anfangen? Aber das verstehe ich ja selber nicht. Dabei habe ich mich wieder sooooo um einen Zugang bemüht, nur scheint bei mir auf diesem Gebiet Hopfen und Malz verloren zu sein. Also
musste ich irgendwann die Hütte verlassen, es ging einfach nicht mehr und bin dann erst mal drum herum gelaufen, was anscheinend kam jemand tut. Jedenfalls sah ich nur hin und wieder einen
anderen Menschen, von denen einer ganz besonders auffiel. Ich traf nämlich eine der hier zur Zeit sehr zahlreichen Bräute. Besser, ich habe sie dabei beobachtet, wie sie ebenfalls
mutterseelenallein um die Eremitage eilte und dabei krampfhaft ihren Schleier festzuhalten versuchte, mit dem der Wind sein begeistertes Spiel trieb.
Weit und breit waren weder Bräutigam oder Hochzeitsgesellschaft, noch andere Menschen zu sehen und so hatte das Bild vor diesem Gemäuer mit seinen hohen Säulen und den klassischen Eremitage
Farben Eierschale & Resedagrün etwas surreales ~ es hätte von Salvadore D. sein können. Und damit schloss sich quasi (m)ein Kreis vom Alten zur Moderne, der mich allerdings noch an der
Admiralität vorbei zur St. Isaak Kathedrale ~ einer der größten Kuppelkirchen ~ führte. Aber rein gegangen bin ich nicht, denn auch hier die gleiche, in meinen Augen überzogene
Eintrittsforderung. Und um diesen Forderung auch durchzusetzen, wurden die Kirchen sogar mit stabilen Gittern eingezäunt. D.h. dass das, was die Institution Kirche schon immer auf einer anderen
Ebene mit den Menschen gemacht hat, nun quasi auch ihren steinernen Platzhaltern passiert. Mhmmm, und das alles unter dem Deckmantel des „Erhaltenmüssens“
dieser Gebäude. Das kam mir doch seltsam bekannt vor.
Na ja, das Ganze ist wieder meine sehr subjektive Einstellung zu solchen Dingen, und so kann ich wohl nur froh sein, nicht in der Zeit zu leben, in der ich dafür für ein hübsches kirchliches
Feuerchen gut gewesen wäre. Natürlich auch „nur“ zum Wohle und Interesse dieser Institution.
Aber lassen wir das, denn ein paar Ecken, sprich Straßen weiter, wurde ich von einer älteren Frau auf Russisch angesprochen,
die ausgerechnet von mir etwas wissen wollte. Und da mir derartiges ziemlich häufig passiert ist, meinte ich so ein bisschen flappsig: „Ach Mädchen, ich versteh' dich doch
nicht“ und griente sie dabei leicht an. Sie griente zurück und meinte: „Ich Sie aber.“
Und
dann ging erst einmal das Gekicher los, um anschließend zu erfahren, dass sie aus der Ukraine / Kiev kommt, dort oft Deutsch redet und sich nur ein paar Tage in St. P. aufhält und nach einer
Straße gefragt hatte, die wir aber auch mit meiner Straßenkarte nicht so richtig finden konnten. Damit marschierte ich in meine Richtung, eine vielversprechende Straße mit schönen Gebäuden, und
sie suchte weiter nach ihrer Straße.
In einem alten Haus entdeckte ich dann ein Bildergeschäft ~ keine Galerie ~ das mich irgendwie lockte, mal etwas aufmerksamer in die Fenster zu schauen. Aber dazu sollte man wissen, bevor ich in
die Tiefe gehe, dass es in Russland überall ganz normale Geschäfte gibt, wie wir sie alle kennen. Mit mehr oder weniger großen Fenstern, um die Auslagen gut präsentieren zu können, einer
zentralen Eingangstür, die zur Straße ausgerichtet ist, mit einem Firmenlogo oder Namen und was so ein Geschäft sonst noch als solches kennzeichnet. Aber es gibt überall auch Geschäfte / Läden,
die für einen Fremden nicht immer auf Anhieb als solche erkennbar sind. Da schaut man dann plötzlich durch die Fenster eines scheinbaren Wohnzimmers oder einer Küche in so einen Laden und erkennt
erst dann, dass dort Regale, Tische usw. stehen, es eine Kasse und Kunden gibt. So etwas wie Warenpräsentation in diesen Wohnzimmerfenstern gab es jedenfalls nirgends. In solchen Fällen fehlten
nur die Gardinen, um die Illusion komplett zu machen. In anderen Fällen waren die Fenster zu geklebt, so dass niemand einen Blick hineinwerfen und auch kein Tageslicht in das Geschäft fallen
konnte. Geheimnisvolles Russland.
Immer dann, wenn ich mal so einen Laden betreten wollte, ging erst mal das Suchen nach einem Eingang los, der meistens durch kein Schild, keinen noch so kleinen Hinweis als solcher gekennzeichnet
war. Ja, er konnte sich sogar im Nachbarhaus befinden oder an der Seite oder in einer Gasse, einer Passage, im Souterrain, von dem man dann wieder eine Treppe hoch gehen musste, oder weiß der
Geier wo. Ich habe auf diese Weise Läden entdeckt, die gar kein Fenster zur Straße hatten und die nur durch einen langen, dunklen Flur erreichbar waren, an dem sich weitere Läden befanden. Eine
Art Ladenpassage also, wenn auch nicht so einladend, wie ihre modernen Schwestern.
Und so eine Besonderheit war das hier auch, wie ich wenig später feststellen sollte. Zuvor hörte ich aber noch die Stimme meiner neuen ukrainischen Bekannten:
„Sie interessieren sich für Kunst?“ Um dann gleich, ohne meine Antwort abzuwarten zu
berichten, dass es genau diese Straße sei und dieses Haus, das sie gesucht habe. Hier fände in diesem Moment die Vernissage eines indischen Künstlers, eines Multitalents statt, den sie in der
Ukraine kennen gelernt hatte und zu dessen Ausstellung sie extra hergekommen sei. „Ob ich Lust hätte, mit rein zu kommen?“ wollte sie
wissen, schnappte sich meinen Arm und zog mich in den relativ großen Hausflur, von dem mehrere Ladeneingänge abgingen ~ auch der des Bilderladens.
Ihre Fragen in einem dieser Läden ergaben, dass die Ausstellung im Obergeschoss stattfand, in das wir dann auch über breite, ausgetretene Treppen kletterten. Überall saßen Leute auf der Treppe
herum, denn dort fanden gleich mehrere Ausstellungen von verschiedenen Künstlern statt, durch die sie sich ebenfalls hindurchfragte. Bis wir schließlich ~ sozusagen im allerletzten Teil des
Appendix dieses Hauses ~ ihren Inder fanden.
Alleine hätte ich das nie gebracht. Ich wäre nicht einmal im Geringsten auf die Idee gekommen, dass es hier eine, geschweige denn gleich mehrere Ausstellungen hätte geben können. Ich habe an anderen Stellen jedenfalls einige Male das Handtuch geworfen, weil ich den gesuchten Laden einfach nicht finden konnte. Wie z.B. die Internet Cafes, die ich selbst mit dickem Hinweisschild an der Kreuzung plus Meterangabe manches Mal einfach nicht gefunden, bzw. mich nicht getraut habe, in diese dunklen Höhlen abzutauchen.
Die Internetprobleme lösten sich für mich erst, als ich das gleiche Café, dass ich bereits in der Eremitage genutzt hatte,
dann auch im Zentrum fand. Was allerdings bedeutete, dass ich jedes Mal mit der Metro rein- und wieder zurückfahren musste. Was ich eh tun musste, wenn ich mehr von der Stadt sehen wollte. Das
Gelbe vom Ei war das mit dem Internet allerdings nicht, da ich ja mein Schächtelchen mit schleppen musste. Den Namen „Schlepptop“ hat es sich sehr verdient. Aber ich musste nun mal gescheit ins www können, und das nicht nur um meine Mails abzurufen und zu
beantworten. Schließlich brauchte ich ja auch eine neue Bleibe in Moskau und wollte endlich den Bericht über Narva einstellen. Und irgendwie ging das auch alles, wenn auch wieder auf den letzten
Drücker.
Wie auch die Buchung meiner Zugfahrt, die ich zwar als Trockenübung bereits früh genug gemacht hatte, aber halt ohne das Ticket in dem Moment auch schon zu buchen. Ich war mir nämlich noch nicht
sicher, ob ich des nachts oder tagsüber fahren wollte, zumal mein nächstes Hostel zu dem Zeitpunkt auch noch in der Schwebe hing. Tja, und dann bekam ich natürlich kein Ticket mehr für meine
Wunsch-Abfahrtszeit ~ weil hier nun mal alles mit der Bahn fährt ~ bei der ich nachmittags in Moskau eingetrudelt wäre, sondern nur eins für 13 Uhr 05, mit dem es dann 21 Uhr sein würde, und ich
zum ersten Mal im Dunkeln alles bewerkstelligen müsste.
Aber komm' ich nicht über'n Hund, komm ich über'n Schwanz, wie es in unserer Ecke immer dann hieß, wenn sich an einer Geschichte nichts mehr ändern ließ, und man mit den Gegebenheiten
iiiiirgendwie klarkommen musste. Na ja, dafür brauchte ich im Ausgleich auch nicht so früh aufstehen. Das ist doch auch schon was, zumal sich durch die Zeitverschiebung mein Schlafrhythmus
verändert zu haben schien. Bin ich doch nach meiner ersten und diverser weiterer Petersburger Nächte glatt erst um 9 Uhr 30 Ortszeit aufgewacht, was überhaupt nicht meine Art war. Das hat sich
zwar wieder ein bisschen relativiert, aber zu der frühen Zeit, die bis dahin immer angesagt war, bin ich (noch) nicht wieder zurückgekehrt. Muss ich aber wohl auch nicht, passte ich doch so etwas
besser in den allgemeinen Backpacker Rhythmus.