Etappe 13 ~ von Mi. 26.09. bis Di. 02.10.2007
Meine bisher längste Bahnfahrt lag nach pünktlichen 8 Stunden wenig spektakulär hinter mir. Auf die Minute abgefahren, auf die Minute angekommen. Der Würfel des
Zufalls hatte mir beim Fahrkartenkauf mangels beidseitiger Sprachkenntnisse keinen Fensterplatz beschert, sondern einen Platz direkt vor einem der ziemlich breiten Zwischenstücke zwischen den
Fenstern. B-Säule heißt so etwas beim Auto. Womit sich meine Aussicht auf diagonale Blicke über die Köpfe anderer Reisende durch deren Fenster beschränkte, die aber hier durch jeweils zwei
Vorhänge noch weiter eingeschränkt wurde. Immerhin erhaschte ich so zumindest eine Ahnung davon, wie schön russische Landschaft an einem Zug vorbei ziehen kann.
Es war sowieso wieder ein Eiertanz am Fahrkartenschalter in St. Petersburg gewesen. Und das, obwohl ich mir in kyrillischen Lettern alles aufgeschrieben hatte und versuchte es auch durchzusetzen.
Aber meine Wunsch-Abreise-Zeit gab es ja nicht mehr, mit allen Konsequenzen, wie bereits angedeutet. Und das bedeutete, dass ich es in Moskau anders, sprich früher angehen würde, also gleich zu
Anfang, nicht erst am Ende und auch nicht in der Mitte meiner Zeit.
Aber noch war ich ja nicht einmal dort.
Wie würde es sein, wenn ich zum ersten Mal im Dunkeln ankommen würde und alles geregelt bekommen musste, und das in so einer riesigen Stadt mit weit über 14 Millionen Einwohnern? Und vor allem,
wie werden sie sein, die Menschen, die ich dort treffe? Denn in meiner Anfangszeit, als ich mich Russland langsam näherte, erlebte ich ja Russen, bei denen ich das Empfinden hatte, dass sie mich
gleich am ausgestreckten Arm verhungern lassen würden, und danach fast nur noch solche, wie sie freundlicher und hilfsbereiter kaum sein könnten. Und von dieser Sorte ist mir im Zug, passend zur
Ankunft, erneut einer begegnet.
Mein Sitznachbar, dem ich mit einem Zettel und ein paar kyrillischen Sätzen klar zu machen versuchte ~ weil er kein Wort Englisch sprach ~ dass ich Hilfe gebrauchen könnte, schnappte mich beim
Aussteigen, schleppte mich durch den riesigen Leningradskaya Vokzal nach draußen und weiter bis zur Metro Station an den Schalter. Hier kaufte und schenkte er mir ein Ticket und lieferte mich
zusätzlich an der Rolltreppe ab, die zu meiner Bahn hinunter führte.
Noch im Zug hatte er ergänzend einige Worte auf meinen Zettel geschrieben, damit ich ja den richtigen Umsteigebahnhof erwische. Grandios! Denn hier in Moskau wäre es nicht so einfach gewesen, wie in St. Petersburg.
Alles stellte sich vom ersten Moment an sehr viel unübersichtlicher dar, weil sehr viel mehr an Informationen auf den Schildern standen und es mehr Bahnen in alle möglichen Richtungen gab. Moskau hat eine Ringstrecke und reichlich Strecken, die kreuz und quer verlaufen. Da wäre ich schon ganz schön ins Grübeln gekommen, zumal die vom Hostel zur Verfügung gestellten Infos auch nicht gerade üppig waren.
Trotzdem hat alles aufs Beste in der 21-Uhr-Dunkelheit geklappt. Das Finden der „Ulitza Arbat" Straße ~ der Old Arbat Road ~ der Hausnummer, des Eingangs und des Stockwerks, was ja, wie schon beschrieben, alles in Russia nicht immer so ganz einfach ist, mangels brauchbarer und schwer auffindbarer Schilder oder fehlender sonstiger Informationen.
Die Beschreibung, die man mir gemailt hatte, lautete in etwa so:
„Wenn du rechts die Sowieso-Bank siehst, siehst du gegenüber das Hard Rock Cafe und das Haus gegenüber hat die Nr. 51, das
verschiedene Eingänge hat. Es gibt aber kein Schild oder irgendetwas, das auf unser Hostel hinweist. Nimm einfach den Eingang mit der Nr. 1. Das ist der, neben dem sich ein Bankautomat und eine
Telefonzelle befinden und tippe die Ziffer 31, dann wird die Tür sich öffnen. Nimm den Aufzug in die 8. Etage und dann du bist da.“
Aber als ich dann mittels eines winzigen Drahtkorbs von Aufzug, der frei durch eine dunkle Halle o.ä. zu schweben schien, oben angelangt war, landete ich in einem Flur mit 3 Türen. Ebenfalls ohne
Hinweis. An welcher sollte ich um 22 Uhr also klopfen oder läuten? Aber die erste war gleich die richtige und dennoch dachte ich, es sei die falsche, weil überhaupt nichts nach Hostel aussah.
Noch weniger, als seinerzeit in Litauen in diesem Mini-Youth-Hostel. Aber ich war richtig im „Sweet little Moscow“ und bekam alles
Wichtige, was ich an diesem Abend noch brauchte, u.a. mein Bett plus Bettzeug in einem 10-Bett-Zimmer ~ das ich nicht bestellt hatte ~ gegenüber der Tür. Gebucht war das etwas teurere
6-Bett-Zimmer, wofür ich für die Nächte, die ich hier verbringen wollte, extra in Vorleistung getreten war. Ich wollte nicht wie in Riga am anderen Morgen erfahren, dass ich mir eine neue Bleibe
suchen müsse. Was auch hier durchaus der Fall hätte sein können, weil es wie im Taubenschlag zuging und immer alle Betten belegt waren.
Somit war ich erst einmal gerettet, hatte es warm und hätte gut schlafen können, wenn nicht noch später in der Nacht weitere Neuankömmlinge eingetrudelt wären. Und das in jeder Nacht. An und für sich nicht weiter schlimm, wenn der- oder diejenige, die Nächtens die Ankömmlinge betreute, nicht in mein Zimmer hätte kommen müssen, um aus einem Regal neben meinem Bett das Bettzeug zu kramen, was in keinem Fall so leise passierte, dass ich nicht davon aufwachte. Und ich hatte keine Chance, das Zimmer zu wechseln, obwohl man es mir jeden Tag zusagte. Das Geld, dass ich zu viel gezahlt hatte, rückte man aber auch nicht wieder heraus. Es war schon eine putzige Bleibe, die ich mir da ausgesucht hatte. Und das auf der ganzen Linie, auf der es ein WC direkt beim Eingang gab und ein Bad mit WC. Womit das Gedränge am Morgen überschaubar blieb.
Das Bad wurde auch zum Wäschewaschen und -trocknen genutzt. Und es diente in einer weiteren wichtigen Funktion als Wasserentnahmestelle für eine Art Küchenzeile, die aus ein paar zweckentfremdeten Möbeln bestand, die der Badezimmer Tür vis à vis platziert waren. Was den Vorteil des kurzen Weges beim Wasserholen und Geschirrabwaschen hatte. Denn in besagter Küchenzeile gab es weder einen Wasseranschluss, noch ein Spülbecken.
Dieses Arrangement hatte aber auch den Nachteil, dass man weder Wasser fürs Kaffeekochen bekam, noch sein Geschirr abwaschen konnte, wenn das Bad und das vordere WC gleichzeitig besetzt waren. Was relativ häufig der Fall war. Frühstücken oder abends etwas zu essen war nur im Schichtbetrieb möglich, da weder ausreichend Tische noch Stühle zur Verfügung standen. Aber weiteres Mobiliar hätte eh keinen Platz in dem schmalen Durchgang zu meinem Zimmer und überhaupt gehabt.
Dafür gab es so etwas wie einen englischen Oberlehrer von etwas über 20 Jahren in meinem Zimmer, der jeden Abend Punkt 22 Uhr 15 sein Buch zu klappte, aus seinem Bett hüpfte und das Licht ausschaltete. Jetzt ist Schlafenszeit für alle, war seine unerschütterliche Botschaft, gegen die es keinen Widerspruch gab.
Die Betten stammten von Ikea, wie auch anderenorts so manches Mal. Wie könnte es auch anders sein. Schließlich wohnte man auch in Russland nicht mehr, sondern lebte.
Interessant war, dass der hölzerne Bettrahmen des mir gegenüber stehenden Bettes, exakt an der Stelle gebrochen war, an dem das Brett aus Einsparungsgründen mittels einer speziellen Holzverbindung plus Leim zusammengestückelt war. Ein Konstruktion, die ich bisher nur bei Ikea gesehen habe. Was seit einiger Zeit ikeatypisch zu sein scheint, da ich Gleiches noch öfter zu sehen bekam. Dabei hatte ich in meinem Praktikum als Tischler einmal gelernt, dass ein Brett eher an jeder anderen Stelle bricht, nur nicht an einer gut verleimten Stelle. Folgerichtig konnten Ikeas Tischler in Billiglohnländern nicht vernünftig leimen, bzw. geizten mit Leim.
Somit machte auch im „Sweet little Moscow“ die Not erfinderisch, denn um einen kompletten Zusammenbruch unter dem Gewicht eines Bett-Benutzers zu verhindern und es weiterhin benutzen zu können, hatte man Bücher unter die Bruchstelle gestapelt.
Alles in allem hatte ich die Schnauze ein wenig voll (ziemlich, trifft es besser), nachdem die erste Nacht hinter mir lag, und ich Stück für Stück weitere Dinge herausfand, die ich nicht so prickelnd fand. Auch wenn ich von dem elegant reparierten Bett nicht betroffen war. Aber ich fragte mich erneut allen Ernstes, will ich mir all das weiterhin antun? Denn je weiter ich kam, um so bescheidener und teurer schienen die Hostels zu werden.
Moskau ist in der Tat unverschämt, St. Petersburg ging da ja noch. Ein paar Beispiele gefällig? Nun, ich gönnte mir ~ am Morgen nach meiner Ankunft ~ im Supermarkt in der Nähe einen frisch zubereiteten Ananassaft. Und als ich dann auf meinen Spickzettel schaute, was denn die dafür fälligen Rubelchen in Euro wert sind, hatte ich für den nicht gerade großen Becher glatt 5 Euro berappt.
Mein Bett kostete schlappe 20 Euro die Nacht und es war sie nicht wert. D.h. das Bett schon, aber der Rest nicht. Ich bekam
schon Schiss, dass meine Taler hier nicht reichen würden. Hatte ich doch bereits an diesem Morgen zweimal dem Bankautomaten guten Tag sagen müssen, um alles Anfallende bezahlen zu können. Allein
die Registrierung, die in jeder Stadt neu erfolgen muss, in der man mehr als 3 Nächte verbringt, kostete hier 7 mal mehr als in St. Petersburg, 700 Rubel, statt 100. Und das waren noch nicht alle
Unannehmlichkeiten.
Auf der Herfahrt riss die Befestigung für meine in Greifswald zusätzlich erstandenen Packtaschen ab. Und niemand konnte mir eine Nähstube o.ä. benennen, um es reparieren zu lassen. Genauso, wie
mir niemand sagen konnte, ob es irgendwo so etwas wie Koffergurte zu kaufen gibt, mit denen ich das ganze provisorisch zum halten bekäme. Denn ohne die reparierte Befestigung war es nur mit
einigem Geschick möglich, den Rucksack auf den Rücken zu bekommen. Die Packtaschen schlackerten hin und her und waren permanent im Weg.
In der Summe erschwerte das jeden Gang. Einfach Scheiße! Bevor ich
weiterziehen würde, galt es eine brauchbare Lösung zu finden, mir gar einen neuen Rucksack zu kaufen. Und das ausgerechnet im teuren Moskau.
Und das war noch nicht alles. So gab es im Hostel keinen Stadtplan, weil sie keinen finden konnten. Dabei wäre er nicht mal „for free“
gewesen, wie bisher. Aber ich fand auch keinen Buchladen, in dem es so etwas zu kaufen gab.
Der Autoverkehr war ätzend rücksichtslos und stank wie Teufel, und ich entdeckte erste Asiaten, die mit Mundschutz durch die Gegend liefen. Auf 200 oder 300 und mehr Meter gab es keine Möglichkeit, durch den mörderischen Verkehr auf die andere Straßenseite zu gelangen. Erst dann tauchte eine Unterführung auf. Allerdings war sie manchmal so gut getarnt, dass ich daran vorbei lief und sie nur durch Zufall fand.
Die andere Straßenseite ohne Unterführung erreichen zu wollen, wäre einer der Szenen nahe gekommen, wie man sie aus
amerikanischen Filmen kennt, in denen ein Bulle todesmutig einen Verbrecher mitten durch den brandenden Verkehr eines Highway verfolgt. Nix für Landeier wie mich. Für andere aber auch nicht,
jedenfalls habe ich in Moskau nie jemanden gesehen, der es gewagt hätte. Besonders die schnelleren Autos, vom Porsche an aufwärts, die es reichlich gab, schienen grundsätzlich auf Fußgänger Jagd
zu machen.
Ziemlich bald hatte ich den Eindruck, dass ich ziemlich froh sein würde, wenn ich diesen Moloch am zweiten Oktober hinter mir gelassen haben werde. Dazu musste ich mir aber erst mal meine
Zugfahrkarte nach Irkutzk kaufen und mein Visum für die Mongolei beantragen, damit ich es auch hatte, wenn es denn dann so weit war. Eine weitere Herausforderung, vor allem Letzteres, da im
Hostel niemand wusste, wo ich eine Agentur o.ä. finden konnte, die so etwas erledigt. Selber zur Botschaft zu marschieren würde ich nur dann, wenn ich keine Agentur fände. Dachte ich. Bis ich
dann herausfand, dass sich besagte Botschaft hier direkt umme Ecke befand.
Also nix wie hin. Nur leider hatten sie schon am frühen Nachmittag geschlossen. Es musste also einen neuen Versuch am nächsten Morgen geben, der allerdings so vorzüglich klappte ~ nach dem ich Pass + Foto + ausgefülltes Formular + Rubelchen abgeliefert hatte ~ dass ich mein in den Pass eingeklebtes Visum bereits nachmittags um kurz nach 16 Uhr in meinen Patschhändchen hielt. Juhuuu, Mongolei, ich komme. Dass es ein teureres Express-Visum war, hatte ich zu akzeptieren, da, wie man mir klar machte, die Zeit für ein normales bereits nicht mehr reichte.
Nun brauchte ich nur noch das Ticket und mein nächstes Hostel. Aber welches Ticket? Von dem Gedanken, wie alle mit der
Trans-Sib zu fahren, hatte ich mir ja auf Anraten meines Sohnes verabschiedet. Seine Frage: Willst Du mit jeder Menge Touristen oder lieber mit Einheimischen durch Russland fahren? hatte
ich klar mit Letzterem beantwortet. Zumal die Fahrt mit einem normalen russischen Zug auf der gleichen Strecke nur ein Taschengeld kostete (Moskau - Irkutzk um die 5400 Rubel, etwas mehr als 130
€), im Gegensatz zum Trans-Sib Ticket, für das zuhause je nach Klasse mind. 1500 € hingelegt werden müssen, ohne Flug. Versteht sich.
Zugegeben, die Trans-Sib wäre komfortabler gewesen. Aber wollte ich das? Hinzu kam mein Wunsch, die Fahrt unterwegs unterbrechen zu wollen, was bei der Trans-Sib nicht möglich gewesen wäre. Und so stand die Frage im Raum, ob es nun ein durchgängiges Ticket sein sollte, um in einem Rutsch nach Irkutzk zu gelangen, oder lieber zwei oder drei, um diese Riesenstrecke von annähernd 5000 Kilometern in kleinere Abschnitte ~ Jekaterinenburg, Omsk, Novosibirsk ~ zu zerlegen?
Wobei kleiner gut klingt, und ich genau das gerne gemacht hätte, wenn sich denn ein Hostel in diesen Städten hätte finden lassen. Dabei wären diese Abschnitte auch jeweils um die 1000 Kilometer lang gewesen. Aber all meine Buchungsseiten, incl. google, worüber ich bisher immer noch fündig geworden war, lieferten nur Hotels ab 100 Euro aufwärts und das entsprach nun mal nicht meiner Reisekasse.
Somit war klar, dass ich die Strecke doch in einem Rutsch bewältigen müsste, denn aufs Geratewohl zu fahren, um vor Ort fündig zu werden ~ was, wie ich später erfuhr, gut möglich gewesen wäre ~ traute ich mich dann doch (noch) nicht. Aber auch so musste erst einmal die richtige Anlaufstelle in einem der 9 Bahnhöfe gefunden werden. Und möglichst eine, bei der ich Englisch parlieren konnte. Und da lag der Hase dann schon wieder im Pfeffer. Und zwar so sehr, dass ich beim ersten Versuch unverrichteter Dinge wieder zum Hostel zurückfuhr, um hier vielleicht mehr zu erfahren.
Und siehe da, ein Österreicher, der das Ticketspiel schon hinter sich hatte, konnte mit den richtigen Infos aufwarten, die
dann am nächsten Tag auch zum Erfolg führten. Wenn auch nicht zu dem, den ich im Sinn gehabt hatte. Es gibt nämlich eine Parallel-Teil-Strecke von über 1000 Kilometern, die ich gerne gefahren
wäre, was ich der Frau am Schalter aber nicht klar zu machen vermochte, weder verbal, noch mit Skizze. Aber zumindest war mir ein zweiter
Klasse Platz in einem Kupee anschließend sicher. Die dritte Klasse traute ich mich auf dieser langen Strecke nicht zu nehmen, denn das wäre dann ein Wagen mit einer Art Pullmannsitze gewesen, und
die hatte ich ja in gar nicht guter Erinnerung. Ein Kupee verfügt halt über 4 Klappbetten ~ je zwei übereinander ~ wovon die unteren tagsüber als Sitzbank und alle abends als schmales, aber
brauchbares Bett genutzt werden.
Bevor ich jedoch mein Ticket in der Hand halten konnte, musste es natürlich erst einmal bezahlt sein. Und da gab es das nächste Problem, da ich vergessen hatte, vorher zu Bank zu marschieren.
Also sollte einer der Bankautomaten am Bahnhof mich mit der nötigen Knete versorgen. Wobei ein solider russischer Bankomat gar nicht daran denkt, einen hergelaufenen Germanen mit Rubeln zu
versorgen. Die Automaten waren entweder von vornherein gleich „out of order“, oder akzeptierten meine Karte nicht. Einer war
sogar so hinterfotzig, dass er meine Karte nahm, mich durch das englische Menü führte, den Betrag eingeben und mit enter bestätigen ließ, meine Karte dann auch brav wieder rausrückte, aber keine
Rubel ausspuckte.
Da hatte ich den Salat. Es war Sonntag, kein Schwein quatschte Englisch, ich Schwein kein Russisch. Wie jetzt doch noch zu
einem Erfolgserlebnis kommen? Nicht dass der Lümmel von Bankomat seinem Herrchen Vollzug meldet, mein Konto um den Betrag erleichtert und das alles ohne monetäre Gegenleistung.
Also erst einmal wieder zurück ins Hostel, um mir mein Notebook zu schnappen und rüber zu McDonalds zu wechseln und meiner Bank über das dort angebotene WLAN 'ne Mail zu schreiben und
vorzuwarnen. Außerdem galt es, die Website der Russenbank anzuklicken, um nach einer Kontaktmöglichkeit zu fahnden, um auch hier entsprechend zu intervenieren. Das gelang mir allerdings erst, als
ich zwei Mädchen um Hilfe bat, die neben mir genüsslich ihre Pommes mümmelten, denn die Seite war komplett
in Russisch gehalten.
McDonalds, der (auch von mir) viel geschmähte und gelobte Fastfood Laden, wurde hier in Moskau mit seinem Café eh mein Retter in der Internet-Not. Dazu brauchte ich nur einen Cappuccino zu
bestellen, evtl. ein Stückchen Kuchen dazu, und WLAN, Skypen, alles war möglich. Offiziell für 'ne halbe Stunde, aber das ließ sich leicht austricksen, denn 30 Minuten sind nun mal nicht viel
Zeit in den weiten des Nets, gelle?
Anschließend bin ich dann zu der Bank marschiert ~ einer Filiale der City Bank ~ bei der ich meine Taler bisher anstandslos bekommen hatte, mit der trügerischen Sicherheit, dass das auch an
diesem Tag so ein würde. Aber Pustekuchen, auch hier hatte der Automat seine Arbeit am Sonntag niedergelegt und sein russischer Kollege wollte solidarisch nichts von meiner Karte wissen. Dann
entdeckte ich in einiger Entfernung ein Firmen Logo, das mir sehr bekannt vorkam. Das Logo einer russischen Raiffeisenbank. Und deren Bankomat funktionierte, sogar mit deutscher Menüführung. Man
staune und freue sich. Denn damit stand nun dem Kauf meiner Fahrkarte nichts mehr im Wege, auch wenn dafür wieder fast ein ganzer Tag drauf gegangen war, und ich zuvor erst noch einmal bei
strahlendem Wetter ins McD. wollte (viel zu schade), um Infos zu bekommen, die für mein Weiterkommen wichtig / interessant sein könnten.
Die Strecke nach Irkutzk = 4 Tage oder mehr als 80 Stunden Bahnfahrt für an die 5000 Kilometer. Das war schon eine Hausnummer. Und als ich das las, war mir doch etwas seltsam zumute, wusste aber
nicht, wie ich es anders machen sollte. Denn wie mal angedacht, irgendwo auf halber oder gedrittelter Strecke einen Zwischenstopp von 2 oder 3 Tagen einzulegen, klappte ja nicht, mangels
bezahlbarer Unterkunft. Hinzu kam das Gefühl, dass mir die Zeit weglief, denn am 19. Oktober musste ich Mütterchen Russland verlassen, ob ich wollte oder nicht. Und in den Baikalsee wollte ich
doch auch noch spucken. Gott sei Dank hatte ich aber immerhin schon mal das Visum für die Mongolei. Dennoch fühlte ich mich mal wieder unangenehm kribbelig. Aber da musste ich wohl durch. So,
oder so.
Natürlich war meine Zeit in Moskau trotz aller Animositäten interessant, und es machte mir auch hier jede Menge Spaß das Terrain zu erkunden, den Kreml zu finden und was es sonst noch zu
entdecken galt. Nicht umsonst hatte ich mir mein Hostel in der „Ulitza Arbat" ausgesucht, wurde sie doch als Straße der
Künstler bezeichnet, die durch ein urbanes Viertel führt. Und dem war auch so. Schon gleich am Anfang der Fußgängerzone begrüßte mich Puschkin und seine Frau Natalja, die inmitten von Buden und
Ständen, in denen alles mögliche an mehr oder weniger künstlerischem angeboten wurde, auf ihrem Sockel alles überblickten. Galerien, in denen höherwertige Kunst angeboten wurde, Antiquariate und
andere Läden säumten die Straße. Portraitmaler, Musikanten usw., alles war vertreten. Es gab sogar eine Art Schnellimbiss der gehobeneren Art, das Muu-Muu, vor dem sich zu den Essenszeiten die
Schlange der Wartenden bis weit auf die Straße bildete. So lang, dass ich nicht bereit war, mich zum Ausprobieren dort einzugliedern. Aber auch sonst war der Laden immer knüppeldicke
voll.
Der Kreml war bequem zu Fuß erreichbar. Und trotzdem schaffte ich es nicht, mich dort zu den normalen Öffnungszeiten
einzufinden, da ich immer irgendwie und irgendwo unterwegs war. Zu interessant war es, das Umfeld zu durchstreifen. Zumal ich mir eh nicht sicher war, ob ich mir einen offiziellen Besuch dieser
Gemäuer antun wollte. Der Anblick von außen reichte mir vollkommen, denn die Eremitage in St. Petersburg hing mir noch nach. Auch das Mausoleum Stalins musste ich nicht betreten. Aber alles, was
es um den Kreml herum so gab, angefangen bei dem riesigen Rote Platz ~ auf dem Matthias Rust im Mai 1987 mit seiner Cessna landete ~ und den angrenzenden Gebäuden, wie das Gum, die herrlich bunte
Kathedrale, der kleine vorgelagerte Park usw., die lockten mich schon. Und auch das, was sich um das ganze Areal herum befand. Ich liebte es, hier ich stundenlang umherzustreifen. Und stundenlang
ging es dann in einer Moskauer Nacht weiter, getreu dem alten Motto: „Kreuzberger Nächte sind lang“. Zum ersten Mal auf meiner Reise sumpfte ich durch. Eine junge Travellerin aus Berlin, die sich u.a.
mit mir das Zimmer teilte, fragte, ob ich nicht später am Abend mit ihr und den anderen jungen Leuten in einen besonderen Club gehen wolle, der ein wenig künstlerisch angehaucht sei, mit Büchern,
Livemusik und weiß der Geier, was sonst noch. Das kam mir im ersten Moment zwar etwas seltsam vor, da es ja recht junge Typen waren, die da losziehen wollten, aber warum nicht? Und so habe ich
mich eingereiht, zumal sich die Gruppe letztendlich dann auf drei verkleinerte ~ die Berlinerin, einen Typen aus Neuseeland und mich.
Per Metro ging es dann mit mehrmaligem Umsteigen irgendwohin, wo wir erst noch ein Stück laufen und auch suchen mussten, da in Russia ~ wie wir alle inzwischen wussten ~ ja fast alles immer
fürchterlich versteckt ist. Wir landeten schließlich in einem Hinterhof, in dem ich vermutlich nie gesucht hätte. Nirgendwo ein Hinweis, erst in der letzten Ecke fand sich ein etwa 10 x 10 cm
großes Schild, dass sich der Club dort im Keller befindet.
Ein wahrlich uriges Gemäuer mit kräftigen Kassierern als ernst zu nehmende Hürde vorm Eingang und dahinter Menschen über
Menschen, alle schon in bester Laune. Den Underground-Buchladen gab es tatsächlich, mit Büchern von und über Brecht und anderen literarischen Größen, sowie allem Möglichen an Lesbarem. Eine Band
aus dem ehemaligen Jugoslawien spielte muntere Weisen, die sie gut und non stop bis kurz nach Null Uhr spielten. Es hat richtig Laune gemacht, obwohl damit auch unsere Chance auf die letzte Metro
futsch war. Womit klar war, dass wir ein Taxi finden müssten, dass uns heimbringt. Und das in einer Ecke Moskaus, von wir der nicht einmal genau wussten, wo sie lag.
In jener Nacht trank ich mein erstes russisches Bier, was sogar für mich als Nicht-Bier-Trinker trinkbar war. Mit dem Krug in
der Hand landeten wir am Tisch von Andrewj, der zwar schon mächtig getankt hatte, aber von der freundlichen Art war und es auch blieb, obwohl Wodka und Bier in Strömen flossen. Bei ersterem habe
ich mich strickt geweigert und beim Bier mächtig zurückgehalten. Andrewj war irgendwann so voll, dass er an den lallenden Butler in der Silvester-Mär mit seinem
„The same procedere as last year“ erinnerte. Andrewj lallte jedoch Englisch und Russich perfekt durcheinander. Ich hätte mich wegschmeißen können. Zwischendurch
verschwand er immer mal wieder, und niemand wusste wohin oder was er machte. Aber er tauchte jedes Mal wieder auf, (fast) frisch, wie ein Fisch und es ging munter weiter.
Aber auch unser Neuseeländer hatte ziemlich getankt, und das Mädel aus Berlin war auch nicht mehr ganz allein. Irgendwann gegen 2 Uhr meinte sie, dass wir nun wohl langsam heim sollten, ging noch
mal tanzen und kam nicht wieder. Ich entdeckte sie zusammen mit einem wirklich süßen Russen in ihrem Alter, lässig an einen Pfeiler gelehnt. Von Heimfahren war nun nicht mehr die Rede. Was ich
durchaus nachvollziehen konnte. Dabei hatten wir für den Heimweg auf sie gebaut, war sie doch diejenige mit Russischkenntnissen, mit denen sie uns her gelotst hatte und das auch in umgekehrter
Richtung tun wollte und sollte.
Tja, nun stand ich da mit einem mehr oder weniger betrunkenen Kiwi auf der Straße und versuchte ein Taxi zu bekommen, wo doch alles immer davor warnte, so etwas nachts in Moskau zu tun. Zuerst
einmal mussten wir dazu den Boulevard wieder finden, von dem aus wir ins Gassengewirr vorgedrungen waren, was auch prima klappte. Und Mr. Newzeeland war immerhin noch oder wieder nüchtern genug ~
er verfügte über die größere Moskau Erfahrung ~ das Taxi klar zu machen. In unserem Fall wurde das ein Privat-Fahrzeug, dessen Fahrer er angequatscht hatte. Der brachte uns dann für 200, statt
400 Rubel (ca. 10 €) zum Hostel, die ein offizielles Taxi hatte haben wollen. Und weil unser Fahrer ein „good boy“
war, bekam er dann 30 Rubel Tipp und damit fast den Betrag (250 Rubel), den er ursprünglich haben wollte. Versteh einer die Menschen, da handelt einer erst wie ein Kesselflicker und dann
das. Aber ich fand's gut, unser Fahrer auch.
Diese Fahrt ~ und auch der Abend ~ war eine interessante nächtliche Erfahrung in dieser Stadt, mit diversen Unfällen, Kreuz- und Quer-Schlenkern, weil unser Fahrer nicht so fahren konnte, wie er
wollte und es am kürzesten gewesen wäre. Aber dann lag ich gegen 3 Uhr im Bett, die Klamotten nach Rauch stinkend und aufgekrazt wie immer, wenn es so spät wird. Miss Berlin kreuzte später um 8
Uhr auf, womit die Besatzung des „Sweet Moscow“ wieder komplett war.
Meinen Rucksack habe ich am Tag vor meiner Abreise dann doch noch auf mehr oder weniger elegante Weise davon überzeugen können, dass er mich hier in der Großstadt- und sonstiger Pampa nicht
einfach im Stich lassen kann. Ich fand nämlich auf dem kleinen Markt am Leningradskaya Vokzal a) einen Gürtel für einen ziemlich beleibten Menschen, der dem Umfang meines Gepäcks entsprach und b)
eine kleinfingerdicke Kordel, die zum Einsatz käme, wenn der Gürtel wider Erwarten doch nicht reichen, bzw. halten würde. Damit hing Moskau und meine Weiterreise nicht mehr an einem seidenen,
sondern an einem stabilen Faden, aber ohne diese beiden Errungenschaften hätte es ganz schön mau ausgesehen. Der Gürtel war allerdings potthässlich ~ normalerweise hätte ich ihn nie gekauft ~
aber gleich beim ersten Ausprobieren erfüllte er brillant den Zweck, den er erfüllen sollte. Und das für 100 Rubel, weniger als 3 Euro. Damit konnte es mir egal sein, ob ich in Irkutzk oder sonst
wo noch jemanden mit Nähmaschine finde oder nicht. Außerdem könnte ich mit der Kordel Seilhüpfen üben. Und das mit dem Rucksack auf dem Buckel, hihi.
Tja, Moskau, das war's dann auch schon. Ich hätte gern viel mehr von dir gesehen, aber es gab nun mal einiges, das dieses Mal absolut Vorrang hatte. Ich war froh, all diese Dinge dieses Mal
bereits zum Anfang meiner Moskauer Zeit in die Hand genommen zu haben, andernfalls hätte es mich ganz schön in Schleudern gebracht, manches wäre gar nicht möglich
gewesen.