Etappe 16 v. Do. 11.10. bis Mo. 15.10.2007
Ich war schon sehr gespannt auf das, was kommen sollte. Zumal ich
diese Insel bereits ein wenig kannte, ohne es auch nur im Geringsten zu ahnen, und zwar aus dem Fernsehen. Dort lief mal im ZDF eine Sendung ~ Sternenflüstern ~ eine zweiteilige Ausstrahlung, die
von zwei deutschen Familien berichtete, wie sie mit Kind und Kegel für einige Zeit dem sibirischen Winter trotzten, hier lebten und arbeiteten. Diese Berichte hatten mich damals fasziniert. Und
in Irkutsk erfuhr ich dann, dass das Ganze nicht irgendwo in Sibirien gedreht worden war, sondern dass die beiden Familien auf der Insel Olkhon (= Olchon) ~ der größten im Baikalsee
~ den Winter ihres Lebens
erlebt hatten. Ein kaum zu beschreibendes Gefühl beschlich mich bei der Erinnerung daran, dass ich schon eine ganze Weile, noch bevor mich mein Reisewunsch überkam, unbedingt diese Berichte im TV
sehen wollte. Denn als ich damals diese Filme sah, wurde der Wunsch in mir wach, das auch erleben zu dürfen. Aber zu dem Zeitpunkt deutete (noch) nichts darauf hin, dass ich eines Tages selber
und tatsächlich für ein paar Tage auf dieser Insel leben würde; wenn auch nicht im Winter, sondern im Herbst.
Ich hörte erstmals wieder von dieser Geschichte von dem bereits erwähnten jungen Polen. Er war ~ wie er das nannte ~ vom Baikalbazillus befallen und war schon des öfteren am See und auf Olkhon.
Er hatte diese Filme ebenfalls gesehen und
kannte die russischen Gastfamilien, den Ort und die Straßen, wo sie lebten.
Auf Olkhon traf ich dann einen Deutschen, der ebenfalls vom besagten Bazillus infiziert war und seit 6 Jahren zweimal im Jahr seine Ferien hier verbringt. Er spielte mit dem Gedanken, sich als
Rentner hier eine Jurte zu kaufen, um auch mal länger dort zu leben. Dieses Mal war er mit einem speziellen Ferienwunsch hier, nämlich Medikamente usw. zu übergeben, die er bereits im letzten
Februar gemeinsam mit einem russischen Arzt und einer Krankenschwester aufgelistet, und vor seiner Ankunft auf Olkhon in Irkutsk gekauft hatte. Auch er kannte die Gegebenheiten und die Gastgeber,
sowie die Lehrerin und den Schuldirektor und viele andere persönlich. Bei einem Gang durchs Dorf zeigte mir die entsprechenden Häuser, in der die Familien gewohnt hatten. Einen der Gastgeber, den
alten Mischa, lernte ich gar durch ihn auf der Straße kennen und bekam von ihm die Pfote geschüttelt, als würden auch wir uns bereits seit Jahren kennen.
Wie ich von ihm erfuhr, lebt eine weitere Deutsche schon seit
Jahren auf der Insel in einem kleinen
Holzhaus zusammen mit ihrem sibirischen
Partner. Leider lernte ich sie nicht kennen, da sie z.Z. in
Deutschland weilte, wie schon zuvor der Typ vom Baikal Hostel.
Aber bevor ich das alles erfuhr und geschehen konnte, musste ich erst einmal dorthin kommen, was erneut ein bisschen abenteuerlich war. Denn für die rund 200 Kilometer rechnet man auf Grund der
manchmal recht schlechten Straße im Schnitt rund 5 ½ Stunden Fahrtzeit, incl. der kurzen Überfahrt mit der Fähre. Unser Fahrer schaffte diese Zeit auch locker, obwohl wir unterwegs irgendwo in
der steppen-, taiga- oder tundraähnlichen Landschaft in den Schnee gerieten. Vom Gas zu gehen, das kannte er nicht, zumal manche der Steigungen eh nur zu schaffen waren, wenn vorher genügend
Schwung aufgebaut wurde. Da wir aber die recht breite Straße meistens für uns allein hatten, fuhr er in der schneefreien Mitte, die seinen Fahrstil zuließ.
Sein Minibus war bis auf den letzten Platz besetzt, ausschließlich von Backpackern. Ein Deutsch-Chinesisches und ein Holländisch-Brasilianisches Pärchen, ein Koreaner, eine Französin, ein Pole,
sowie ein weiterer Deutscher, nämlich ich, waren diese Rucksackreisenden. Und das hätte ich nicht gedacht, wo doch offiziell längst das Saisonende eingeläutet worden war. Aber für Olkhon und
Nikitas Hoemstead schien das nicht zu gelten, würden doch bis auf den Polen, der ebenfalls schon des öfteren auf der Insel gewesen war und privat unterkommen würde, alle bei Nikita wohnen. Unser
Fahrer zurrte erst einmal die Rucksäcke auf dem Dach fest und verlangte pro Rucksack zusätzliche 72,50 Rubel, was, wie ich inzwischen wusste, durchaus üblich ist.
Auf Olkhon in Khuzhir angekommen, entließ er uns an einer Kreuzung mitten im Ort, von wo aus wir auch wieder zurückfahren würden. Nun hieß es, noch ca. 500 Meter zu laufen, bis wir unser Hostel erreicht
hatten. Ein kleines Dorf im Dorf schon fast, zusammengesetzt aus den unterschiedlichsten Hütten, Häusern und Jurten. Mit Gängen dazwischen, die von diversem Sammelsurium gesäumt wurden. Das Ganze
sah aus, als ob es von einer Reihe fantasievoller Jugendlicher als eine Art Abenteuerspielplatz gestaltet worden war. Eine englisch sprechende Russin / Sibiriakin verteilte uns auf die uns
zugeteilten Zimmer ~ der Koreaner und ich hatten ein Doppelzimmer mit Kaminofen in einem Blockhaus bekommen ~ und erklärte uns die Details, die sich hier in etlichen Dingen von vorherigen Hostels
doch recht deutlich unterschieden. Und so war in einigen Bereichen mal wieder Anpassung angesagt. Alle Hütten, Häuser und auch die Möbel waren selbstgebaut, egal, ob Betten, Bänke, Tische oder
sonstiges, ich habe jedenfalls nichts von der Stange entdecken können und fand es nicht nur berufsbedingt interessant, wie einfach und funktionell diese Dinge gemacht waren.
Der Klopfer war alles, was sanitäre Einrichtungen betraf. Hier konnte ich getrost alles vergessen, was was ich bisher auf diesem Gebiet kennen gelernt hatte. Aber auch diese Dinge waren sehr
einfallsreich. So gab es z.B. in dem Haus, in dem ich mein Zimmer hatte, im Erdgeschoss drei Zimmer mit einem Vorraum, in dem sich ebenfalls ein offener Kamin mit einem Vorrat an Holz befand, ein
selbst gebautes Sofa plus Regal und ein Schränkchen, an dem man sich waschen oder die Zähne putzen konnte. Dieses Möbelstück erweckte mein höchstes Interesse. Im untereren Teil befand sich ein
ca. 40 oder 50 Liter Kunststoffkanister und darüber war ein quadratisches relativ großes Waschbecken montiert, das seinen Abfluss in diesen Kanister hatte. Darüber war wiederum ein ovaler
Behälter mit Wasserhahn und elektrischer Heizvorrichtung à la Tauchsieder befestigt. Wobei zu erwähnen ist, dass es auf Insel kein fließendes Wasser und erst seit 2 Jahren, also seit 2005, Strom
aus dem Netz auf der Insel gibt. Davor gab es nur Generatoren.
Dieser Wasserbehälter besaß eine mit einem Deckel verschlossene Öffnung, durch die man mittels einer Schöpfkelle bei Bedarf aus einem Eimer Wasser ein-, bzw. nachfüllen konnte. Der einzige
Nachteil, den dieses Gerät hatte, war, dass es zu weit nach vorne montiert war, denn so blieben bei dem großen Waschbecken nur ca. 20 cm im vorderen Bereich nutzbar. Fließendes Wasser, wie wir es
kennen ~ egal ob kalt oder gar warm ~ gab es, wie gesagt, nirgends im Dorf. Auch nicht auf der Toilette, die außen angebaut war. Da es eine Campingtoilette war, die zudem täglich geleert wurde,
war Wasser hier eh nicht erforderlich. Zumal ja das Einfrierprobelm existierte.
Das Badezimmer war die sogenannte Banja und damit ein Raum, der wie eine Sauna aussah und auch als solche genutzt werden konnte, da es auch einen Saunaofen gab, auf dem eine geschlossene
Metallwanne mit Wasser befand, das auf diese Weise immer in heißer Form zur Verfügung stand. Weiterhin gab es mehrere 200 Liter Fässer, die mit Wasser gefüllt waren und ovale Waschzuber aus
verzinktem Metall mit zwei Handgriffen. Ähnlich der Wasch- oder Badewannen, die in meiner Kindheit auch bei uns gebräuchlich waren. Allerdings mit einem niedrigen Rand von ca. 15 cm Höhe. In die
füllte man ebenfalls mittels Schöpfkelle kaltes Wasser und zusätzlich ~ wenn man es warm haben wollte ~ heißes Wasser aus dem Becken über dem Saunaofen. Und dann konnte es nach Herzenslust
losgehen mit dem Geplantsche. Man konnte sich einseifen und begießen, wobei das benutzte Wasser durch die Ritzen im Fußboden ablief. 20 Minuten Zeit blieben einem für dieses Badevergnügen, man
musste sich nur vorher und vor allem rechtzeitig in eine Liste eintragen, die draußen an der Tür hing. Jedenfalls dann, wenn man eine bestimmte Wunsch-Banja-Zeit hatte, weil jeder halt diese Art
sich zu waschen, der an dem vorher beschriebenen Möbel irgendwie vorzuziehen schien.
Ja, Nikitas Homestead war und ist schon etwas besonderes, zumal Nikita eine ehemalige sowjetische Tischtennisgröße ist, die dieses wohl so ziemlich einmalige Übernachtungs- und Bewirtungsdörfchen
am Rande des Insel-Hauptdorfes Khuzhier errichtet hat. Er sprach sogar ein wenig Deutsch.
Außer Khuzhir
gibt es 3 oder 4 bewohnte, kleinere Dörfer. Von dem Deutschen, Eberhard, erfuhr ich, dass im Nachbardorf nur noch eine alte Frau lebt - mutterseelenallein ~ die er jedes Mal besucht. Sie will
nicht nach Khuzhir, sondern in ihrem Häuschen so lange leben, bis sie stirbt.
Nikita dürfte auch der Motor dieser Gegend sein, der alles antreibt und oft auch finanziert, wenn das Geld fehlt. Er scheint ein beachtlicher Mensch zu sein, der sich außerdem sehr um die
Probleme der Jugendlichen bemüht und ihnen hilft, wo immer es möglich ist. Er kümmert sich um alles, was nicht möglich zu sein scheint und sorgt für Lösungen. Wobei ~ wenn man mit ihm zusammen
ist ~ kaum das Gefühl auftaucht, dass er hier auf dieser Insel einen besonderen Status hat.
Wer in seinem „Dorf“ Quartier nimmt, bucht in aller Regel Vollpension in russischer Küche. Wobei Sonderwünsche durchaus berücksichtigt werden. Im Sommer werden hier im Restaurant täglich bis zu
300 Personen in verschiedenen Schichten bewirtet, die bei dieser Menge auch aus anderen Pensionen kommen oder Durchreisende sind. Ich ging davon aus, dass das Essen auch dann noch genauso lecker
ist, wie es der Fall war, als ich es genießen durfte.
Morgens gab es abwechselnd einen süßen Brei aus Hirse, Buchweizen oder Getreide, dazu zwei dünne Pfannkuchen mit kandiertem Obst. Dazu gab es selbstgebackenes Brot, das im Dorf von der aus
Sowjetzeiten übriggebliebenen Kommune gebacken wurde mit Käse aus dem Ort. Ich, der normalerweise um ein süßes Frühstück einen Bogen macht, liebte es plötzlich.
Mittags gab es eine Schale Suppe und im Wechsel Reis, Buchweizen und Graupen mit einer Art Gulasch oder kleinen frikadellenähnlichen Gebilden plus Krautsalat und Brot und als Nachtisch ein
Stückchen Kuchen oder ein Zimtbrötchen. Und abends gab es den obligatorischen Omul in gegrillter, gekochter, gebratener Form mit Kartoffel- und anderen Salaten, sowie Brot. Und ebenfalls wieder
ein Stückchen Kuchen. Als Getränke standen den ganzen Tag über verschiedene Tees, Instantkaffee, normales Wasser aus einem Wasserspender, sowie energetisiertes Brunnenwasser zur Verfügung. Wobei
die Tees nach Landessitte als Konzentrat aus den Kannen entnommen und mit heißem Wasser aufgefüllt wurden. Wer wollte, konnte auch das Wasser aus dem See trinken, wie die Einheimische machen. Das
Leben hier sah ursprünglich und einfach aus, obwohl es sicher für die Einheimischen nicht einfach ist, da es an Arbeit und damit an Geld fehlt. Wie so oft auf dieser Welt an solch bezaubernden
Flecken.
Wer hat übrigens all die Schauergeschichten über Sibirien in Umlauf gebracht? Ich muss gestehen, dass ich sie mehr oder weniger auch geglaubt habe, aber hier eines Besseren belehrt wurde. Auch im
Winter soll es hier wunderschön sein, wenn auch kalt, trockene 40 Grad unter Null oder mehr, dem man mit der richtigen Kleidung aber ganz gut trotzen kann. Man kann übers Eis wandern, ja, sogar
mit dem Auto fahren, auch wenn dabei Unvorsichtige immer wieder einbrechen, weil sie die wärmeren Stellen nicht kennen und beachten. Dabei werden die Strecken eigens kenntlich gemacht, wobei das
nur den Menschen dient. Wölfe schaffen es hin & wieder auch so, vom Festland über das Eis auf die Insel zu gelangen. Wobei sie allerdings, wenn sie den richtigen Zeitpunkt zur Rückkehr
verpassen, keine Überlebenschance haben, da sie auch heute
noch gnadenlos gejagt werden. Während man die abgesoffenen
Autos in aller Regel nach der Eisschmelze birgt, da der Verlust
so eines Gerätes ein herber Verlust und preiswerter als ein neues Gefährt ist. Zumal das Süßwasser eine schnelle Korrosion verhindert, so dass sich das Ganze lohnt.
Hier auf der Insel hat es übrigens im Schnitt 311 Sonnentage, die sehr heiß sein können, 35 Grad und mehr. Wir hatten die ganze Zeit tagsüber 24 Grad, und das um den 14. Oktober. Das bedeutete
für mich, dass ich es ab 10 Uhr wagen konnte, mit kurzärmeligen Hemd durch die Gegend zu
laufen. Und bis etwa. Was den bereits dick eingemummelten Insulanern jedes Mal eine extra Gänsehaut bescherte, die
sie veranlasste, mich immer wieder darauf anzusprechen. Aber gegen 16 Uhr musste auch ich
dann zu meiner Fleecejacke und eine Weile später zur nächsten Jacke greifen. Das muss man sich mal reinziehen.
Auch der Herbst, wie ich ihn gerade in diesen Tagen erleben durfte, gilt unter Kennern als weitere schöne Zeit. So verbringt jener Deutsche, den ich bereits erwähnte, im Winter und Herbst seine
Ferien auf dieser Insel. Es ist so fantastisch hier, dass ich es weder mit Worten, noch mit Bildern so richtig beschreiben kann. Und ich muss gestehen, dass ich noch an keiner Stelle auf meiner
Reise so gerne länger geblieben wäre, wie hier. Wenn ich nur an die Fahrt zum Nordkap der Insel denke, könnte ich jedes Mal ins Schwärmen geraten. Türkisfarbiges oder leuchtend blaues Wasser, wie
am Mittelmeer, wechselte sich ab. Fantastische Felsformationen an allen Ecken und Kanten, teilweise mit kleinen oder auch größeren Sandbuchten umsäumt. Und schneebedeckte Berge auf der
Festlandseite des Sees, sowie die scheinbar unendliche Weite dieses Gewässers, die mir völlig anders erschien, als die Weite eines Ozeans. Dabei habe ich außer unserer Fähre die ganzen Tage kein Schiff gesehen. Hinzu kamen die sich gelblich verfärbenden Lärchen, die als einzelne Bäume, in kleineren
und größeren Gruppen, bis hin zu ganzen Wäldern auf unserem Weg zu finden waren, immer in Kombination mit der in klar leuchtender Sonne getauchten, inzwischen gelblichen Steppe, die uns in
sanften Hügeln umgab.
Aber wie alles Schöne ging auch dieser Inselausflug zu Ende, und ich saß ruckzuck wieder in der gleichen „marshrutka“ die mich hierher und jetzt wieder nach Irkutsk zurück und damit zum Zug bringen sollte. Doswidanja
Olkhon.
Baikalsee Fotos