Mit Bahn, Bus & Schiff nach Australien usw!

 

Ulan Bartor 

 

(Ulaanbaartar)

 

Etappe 17 – v. Mi. 17.10. bis Do. 01.11.2007

 

Um 5 Uhr in der Früh klopfte es laut und deutlich an die Tür unseres Kupees, womit der Weckdienst der Zugbegleiterinnen das Ende der zweiten Zugnacht einläutete. Und das, obwohl wir laut Fahrplan erst um 7:05 Uhr in Ulan Bator eintreffen sollten. Es stellte sich jedoch heraus, dass wir bereits kurz nach 6 Uhr in den Bahnhof ein fuhren. Wie der Lockführer das geschafft hatte, wird wohl ein Rätsel bleiben, obwohl ich meine Uhr bereits um eine Stunde zurückgestellt hatte. Egal, ich war jedenfalls am Zielort angelangt, wenn auch noch nicht an meinem UB Guesthouse.

Der Himmel über UB, mitsamt Wolkenformationen, zeigte sich im Osten in dramatischen Farben, als ich aus dem Zug kletterte. Eine Begrüßung, die mir gefiel. Genau wie die nächste, die hier ebenfalls aus einem hochgehaltenen Schild mit meinem Namen bestand. Diesmal holte mich ein junger Mann ab, Gamba hieß er und gab mir als Eselsbrücke den Hinweis auf die leckeren Meerestiere gleichen Namens. Was mich zu der Frage verlockte: „Ob er gegrillt genauso lecker wäre?“ Was wiederum dafür sorgte, dass wir beide die ganze Zeit über einen besonderen Draht zueinander hatten.

Erst einmal übergab er mich jedoch einem anderen jungen Mann, der mich zu einem Minibus brachte und wieder losstapfte. Wie sich zeigte, um weitere, mit mir angekommene Backpacker von Gamba zu übernehmen, bei denen sich ein paar bekannte Gesichter befanden. Saana und ihre Freundin aus Finnland und zwei Engländer. Saana hatte ich noch vor der Abfahrt in Irkutsk mit 300 Rubeln für ein paar Lebensmittel aus der Patsche helfen können, für die ich die entsprechenden Euro als Gegenwert bekam, was mein Euro-Depot etwas aufbesserte.

 

Auf der Fahrt zum Guesthouse bekamen wir praktischerweise gleich ein paar Hinweise, was Sehenswürdigkeiten und Einkaufsgelegenheiten betraf. Und dann war's auch schon so weit – Endstation, alles aussteigen. Zimmer- und Bettenverteilung plus Einweisung was wo ist und wie funktioniert. Das 8-Bettzimmer, in dem ich landete, entpuppte sich als reichlich eng, aber mit dem Versprechen, am nächsten Morgen ein anderes Zimmer zu bekommen, war es für die eine Nacht okay. Wobei der Wechsel in ein 4-Bettzimmer zwar mehr Platz brachte, dafür aber auch einen höheren Geräuschpegel, befand es sich doch hinter der Sitzgruppe im Eingangs- und Verteilerbereich. Mitbewohner polterten daher zu allen Tages- und Nachtzeiten an diesem Zimmer vorbei oder vergnügten sich nächtens laut plaudernd in der Sitzgruppe. Aber noch bevor ich das ändern konnte, fand schon unser Trip in den Terelj National Park statt und bekam anschließend eines der ruhigsten Zimmer im ganzen Hostel. Alles in allem eine angenehme Bleibe mit mehreren Badezimmern und WC's, einer kleinen Miniküche, in der es zwangsläufig immer überfüllt, lustig und hoch herging. Sowie einer Menge neuer, netter Zeitgenossen, und Leuten, denen ich bereits begegnet war und für eine Weile auch weiterhin begegnen würde.

 

Insbesondere die neuen Leute, die ihre Mongolei-Erfahrungen bereits hinter sich hatten, erwiesen sich als interessante Gesprächspartner. Allerdings war das, was sie zu erzählen wussten, häufig verwirrend, weil sie von Dingen redeten, von denen ich mehr oder weniger (noch) keine Ahnung hatte. Zum Beispiel von der nun anscheinend tatsächlich auf mich zukommenden Kälte, die sie alle bei ihren Touren durch die Wüste insbesondere nachts in den Jurten zu spüren bekommen hatten. Denn wie im russischen Zug galt auch hier, es wird gebeutet, bis die Jurte wie ein Heißluftballon abhebt. Wobei dann später in der Nacht dann nicht mehr nachgelegt wird, so dass sie extrem auskühlt.

Das konnte ja heiter werden.

In der Stadt hielt es sich mit der Kälte ja noch in Grenzen, die mich allenfalls an unsere letzten milden Winter erinnerte. Aber für die Touren in die Wüste hatten sich alle zusätzlich mit warmen Klamotten eingedeckt. Entweder auf dem sogenannten „Black market“ oder in den Fachgeschäften, in denen gefakte North Iceland, Northland und andere Marken zu haben waren.

Mit diesen Infos werde ich mich wohl auch noch um Handschuhe, eine Mütze usw. kümmern müssen. Was ich kurz vor meiner Tour in den Terelj-Park dann auch getan habe. Eine Mütze, ein Paar Handschuhe und ein Schal besagter Marken gehörten seitdem zu meiner Ausrüstung. Allerdings bin ich zu einem wichtigen – wenn auch von mir nicht sonderlich geschätztem – Gebrauchsteil gegen Kälte schon vorher gekommen. Zu einer bezaubernden, dunkelblauen, frisch gewaschenen langen Unterhose, die ein deutscher Traveller nicht mehr benötigte, da er alle Touren bereits absolviert hatte und nach Peking weiterziehen wollte. Mann, habe ich mich geziert, obwohl das Teil passte, als hätte ich sie für mich gekauft.

 

Wie schon zuvor in anderen Hostels, ist auch in diesem Schuhe ausziehen am Eingang oberstes Gebot. Wobei hier gleich die nötigen Puschen aus Kunststoff parat standen und alles immer sorgfältig in der jeweiligen Reihenfolge in einem Regal geparkt wurde. Ordnung muss nun mal sein. Gelle?

Aber mal abgesehen von all diesen Dingen, hatte ich in Ulan Bator den Eindruck, als sei ich anderes gepolt als sonst. Damit ist gemeint, dass ich nie recht wusste, bzw. mich nicht entscheiden konnte, was ich gerne machen möchte. Dabei aber so ruhig und gelassen blieb, als wäre ich eine Ewigkeit hier und zu jedem späteren Zeitpunkt all das machen könnte, von dem ich noch nicht wusste, dass ich es machen möchte. Ich drömelte in den Tag, machte dieses oder jenes, aber nichts Aufregendes. Ein neues und echt seltsames Gefühl.

Das Aufregendste bisher war der Gang zur Chinesischen Botschaft, um mein Visum zu beantragen, was jedem eine stundenlange Geduldsprobe abverlangte, weil dieser Antrag nur montags, mittwochs und freitags von 9:30 bis 12 Uhr gestellt werden kann und viele Leute nach China wollen. So bildeten sich bereits vor der Öffnungszeit Warteschlangen, die sich nur laaaangsam abbauten. Und oft hatte jemand das Pech, nicht mehr dran zu kommen, weil die Schlange zu lang war und pünktlich um 12 Uhr gnadenlos die Rollläden runter gingen. Dann hieß es, in zwei Tagen wieder herzukommen. Hoffentlich früh genug beim nächsten Versuch.

Es konnte auch passieren, dass das Visum wegen des kleinsten Formfehlers abgelehnt wurde. Auch dann hieß es wiederzukommen. An dem Mittwoch, als ich dort war, bekam ich mit, dass zwei Reisende zum vierten Mal ihr immer wieder abgelehntes Visum abholen wollten. Nun allerdings mit professioneller Hilfe. Selbst der normale Weg dauert – wenn man nicht das teure Expressvisum beantragt – sieben Tage, so dass ich mein Visum also erst am Mittwoch drauf abholen konnte. Es ist, wie es ist, langweilig wird es mir hier nicht werden.

Das Zweitaufregendste war ein Friseurbesuch. Meine Haare verlangten seit dem allzu gründlichen Kürzungsversuch in Greifswald erstmals wieder nach einer Schere. Und so machte ich mich gegen 10 Uhr auf die Socken, da vor dieser unchristlichen Zeit nichts lief. Puschen aus, Schuhe an und los. Mein erster Friseur-finde-Versuch führte mich in einen Kellerraum, den sich die Friseurin mit einer anderen Firma teilte. Aber um die Zeit war sie noch nicht haarschneidebereit, denn aus ihren Worten und Gebärden las ich, dass ich als Kunde noch nicht erwünscht war. Beim Versuch Nr. 2 hing noch ein dickes fettes Vorhängeschloss an der Tür und es warteten bereits fünf Jugendliche, die mir klar machten, dass es um 10 Uhr losginge. Aber es war bereits 10 Uhr 10.

Als sich 10 Minuten später immer noch niemand blicken ließ, marschierte ich weiter, wusste ich doch, dass es auf der Peace Aveunue weitere Friseure gab, und der erste hatte – oh Freude – bereits geöffnet. Ein koreanischer Salon, wie sich herausstellte. Womit sich die Spannung erhöhte, wie denn die Haarschneideprozedur wohl ablaufen würde, ohne gemeinsame Sprachgrundlage. Aber schlimmer als in Greifswald konnte es eigentlich kaum kommen. Allenfalls würde ich mich erneut mit einem unbefriedigenden Ergebnis abfinden müssen.

Eines dieser zierlich-asiatischen Mädchen kam auf mich zu, als ich den Salon betrat, begrüßte mich und fragte nach meinem Begehr. Vermutete ich jedenfalls. Mit dem typischen Schnipp-Schnapp, mit dem meine Finger eine Schere simulierten, klappte die Verständigung, und sie kommandierte eine weitere zierliche Gestalt herbei, die mir meine Jacke abnahm, sie zur Garderobe brachte und mich in einen winzigen Raum geleitete, in dem dicke verstellbare Sessel vor den typischen Waschsäulen mit der Einbuchtung für den Kopf standen. In einem dieser Sessel saß oder lag bereits jemand, dem die Haare gewaschen wurden, was in den nächsten Minuten mit meinen ebenfalls geschah. Turbanmäßig mit einem Handtuch geschmückt, führte sie mich quer durch den Salon zu einem Frisierstuhl und verpackte mich christomäßig in weitere Tücher, um mir die fiesen, kleinen, juckenden Härchen zu ersparen, die sich beim Haareschneiden gerne unter das Hemd mogeln. Aus dem Kaffee- oder Tee-Angebot des Hauses, wählte ich Kaffee, und nachdem sie mir noch per Gebärdensprache den Kurs verklickert hatte, ging's los, worauf ich mich vertrauensvoll ihren Händen überließ, denn sie verstand ihr Handwerk.

Während sie noch schnippelte, vernahm ich erneut jene Stimme, die befehlsgewohnt durch den Salon zog, ohne zu ahnen, um was es ging. Es dauerte Sekunden, dann stand eine weitere zierliche Gestalt neben mir. Sie öffnete eine Büchse, entnahm eine weiße Masse, schnappte sie sich meine Linke und begann mit einer Handmassage vom Feinsten. Anschließend meine Rechte. Ein Duftwässerchen sollte als Krönung des Ganzen dienen. Darauf verzichtete ich jedoch, weil es mich an deutsche Gepflogenheiten erinnerte, den Preis des Haarschnitts auf diese Weise um einiges höher zu treiben. Ich fragte mich eh bereits, ob ich nicht beim Bezahlen eine Überraschung erleben würde. Und in der Tat, ich erlebte sie. Denn als es ans Bezahlen ging, sollte ich 5000 Turgik berappen, umgerechnet etwas mehr als 3 Euro.

Ein Friseurabenteuer der besonderen Art. Vor allem bei dem Gedanken an das, was ich auf der Preisliste der Kellerfriseurin gelesen hatte. Dort sollte der Haarschnitt nur 1500 Tugrik (weniger als 1 Euro) kosten. Ich musste daher wohl meinen Schopf einem Super-Super-Frisiersalon anvertraut haben – ähnlich Marlies Möller oder Castell for Men in Hamburg. Was womöglich die blasierten Gesichter der anderen Kundinnen erklärte, die ich in meinem Salon beobachten konnte. Und wer weiß, ob ich mir mit dem 1500er Haarabschnitt ebenso gut gefallen hätte. :-)

Und da ich hier von meinen Erfahrungen mit der mongolischen Währung erzähle, gehört unbedingt auch der erste Geldabholversuch dazu, der zwangsläufig erfolgen musste, da die Mongolin im Zug davon abgeraten hatte, das Geld der fliegenden Geldumtauscher zu nehmen. Sie marschierten durch den Zug und warteten auch auf dem Bahnhof mit ihren dicken Geldbündeln in der Hand auf Neuankömmlinge.

Klar, dass ich auf den Rat einer Einheimischen hörte, die von schlechten Konditionen und Betrug sprach. Damit war der Bankbesuch vorprogrammiert, zumal es hier keine Bankomaten zu geben schien. Jedenfalls konnte ich keinen entdecken. Später fielen sie mir dann aber doch in einigen Geschäften auf.

Natürlich wollte ich – wie gewohnt – meine normale Euro Card einsetzen, aber egal, bei welcher Bank ich nachfragte, das Teil hatte in Ulan Bator, und damit wohl auch in der restlichen Mongolei keine Chance. Also musste für diese Transaktion die teurere Kreditkarte herhalten, plus Reisepass, den ich zuvor bei der Chinesischen Botschaft abgegeben hatte. So'n Shit aber auch. Schließlich brauchte ich Geld, um die nötigsten Dinge bezahlen zu können. Und meine letzten Rubel hatten beim Umtausch nicht viel ergeben. Gottseidank fragte die mongolische Bankfrau nach meiner „Driving Licens“, die ich zwar im Moment nicht bei mir hatte, aber im Gepäck. Und damit war meine monetäre Versorgung im zweiten Anlauf gesichert.

Und wie.

Im ersten Durchgang hatte ich nur einspaarensechzig Euro getauscht, weil es im Hostel hieß, dass sei okay und man solle eh nicht zu viel mit sich herumtragen. 100.000,00 mongolische Turik bekam ich auf die Kralle. Mannomann, es war lange her, dass ich mit solchen Beträgen zu tun hatte, allerdings war es hier leider nur jede Menge buntbedrucktes Papier, das einem bündelweise die Hosentaschen und das Portemonnaie füllte. Es gibt Banknoten in 10er, 20er, 50er, 100er, 500er, 1000er, 5000er 10.000er und 20.000er Stückelung. Münzen habe ich keine einzige gesehen. Und wenn beim Einkauf ein krummer Betrag, wie 1.998 Turik rauskam, bezahlte ich 2.000 Turik. Jedenfalls habe ich bei meinen Einkäufen im sogenannten „State Department Store“ keine, wie auch immer aussehenden Rest-Geldeinheiten, wie 2 Turik o.ä. zurückbekommen.

In den Banken ging es genauso lustig zu, wie schon beschrieben. Wartemärkchen ziehen und warten, bis die eigene Nummer dran war. Und die Banken selber sahen auch hier nicht so aus, wie wir Banken auf Grund unserer Erfahrungen kennen, auch nicht die größeren Banken. So befand sich bei meiner Bank umme Ecke der Kassenraum im Obergeschoss, erreichbar über eine – wenn man es nicht wusste – kaum auffindbare, schmale, wenig einladende Treppe, auf der sich zwei Entgegenkommende nur seitlich verdreht aneinander vorbei quetschen konnten.

Ich fand es immer wieder spannend, auch andere Banken zu betreten, zumal es ja in meinem Angestelltendasein eine Zeit gegeben hatte, in der ich mich mit der Planung von Banken befasste. Und in dieser Bank habe ich Dinge gesehen, die ich ansonsten nur aus Filmen kannte. Eine Frau mit den längsten Haaren, die ich bisher in natura sah – sie trug sie zu einem handgelenksdicken Zopf geflochten, der ihr selbst in dieser Form immerhin noch bis in die Kniekehle reichte. Sie hätte eine prima mongolische Lady McDiva abgegeben. Und ein Paar, das aus einer mittelgroßen, randvollen Sporttasche gebündelte Banknoten auf den Bankschalter packte, bis die Kassiererin kaum noch zu sehen war. Ein Bild wie aus jenen Filmen, in denen nach einem geglückten Superding die Beute aufgeteilt wird.

 

Ähnlich interessant war es, die riesige Hauptpost von UB zu betreten. Was allerdings – wie in vielen anderen Gebäuden auch – nicht durch den großzügigen und imposanten Haupteingang möglich war, sondern durch einen seitlich angeordneten Mini-Eingang, der erst noch durch andere Geschäftszweige führte. Auch hier hieß es, alle bundesdeutschen Vorstellungen von einer Post weitestgehend zu vergessen, denn hier gab es alles. Angefangen bei Touren in die nähere und weitere Umgebung, Souvenirs, Büchern und Reiseführern, einschließlich einer Befragung, wie einem der Service gefallen hat. Nur das, was ich suchte – einen Schalter, an dem ich Briefmarken kaufen konnte – vermochte ich nirgends zu entdecken. Somit glaubte ich, mal wieder im falschen Laden gelandet zu sein, bis mich die bisher kleinste Mongolin auf Englisch nach meinem Begehr fragte und mich zu einem der Souvenirstände leitete.  Und tatsächlich, dort wurde ich fündig.

Mein Brief wurde gewogen, ich erhielt 3 Marken, die ich umgehend verklebte, um den Brief dann in den just entdeckten internationalen Briefkasten zu werfen. Was jedoch die kleine Mongolin im letzten Moment zu verhindern wusste. Ich musste ihn – aus welchen Gründen auch immer – der Briefmarkenverkäuferin übergeben, die ihn wiederum in eine bereits gut gefüllte Box legte.

 

Von Feng Shui oder ähnlichen Gestaltungsmöglichkeiten schien man hier nicht viel zu halten, obwohl es auf der Peace Avenue einen Feng Shui Laden gab, der allerdings auch nicht viel besser aussah. Zumindest ist das Thema selbst in der Mongolei bekannt, denn schon die Mongolin im Zug wusste einiges über diese chinesische Wissenschaft und hatte von diesem Geschäft erzählt. Und Geschäfte gab es selbst in Jurten, die überall dort standen, wo eine Ecke frei war.

In einer entdeckte ich sogar ein kleines Restaurant mit ungewohnten Leckereien aus der mongolischen Küche: Airag (eine vergorene Stutenmilch mit zwei oder 3 Prozent Alkohol) und Knochen mit mehr oder weniger Fleisch dran, zu denen man Pellkartoffeln in der Schale aß, glitschig von einer Soße, in der sie lagen.

Als ich jedoch zum ersten Mal eine Restaurant-Jurte betreten wollte, verließ mich der Mut, da sie von Mongolen überquoll. Doch nach einer Ehrenrunde um den Platz startete ich den nächsten Versuch. Und siehe da, nur noch ein Mann plus Frau hockten auf einem der beiden Betten, vor denen jeweils ein niedriges Tischchen stand. Ganz so, wie sie in jeder Jurte zu finden sind. Aber das erfuhr ich erst später.

Da es keine anderen Sitzgelegenheiten gab, und ich es nicht wagte, mich zu den beiden zu setzen, steuerte ich das andere Bett an, wo neben mir wenig später eine Familie mit einem Jungen Platz nahm. Und dann dauerte es nur noch einen Moment, bis die Jurte erneut überfüllt war.

 

Die internationale Zeichensprache – Finger zum Mund plus Kaubewegungen – musste mangels mongolischer Sprachkenntnisse ihren Verständigungsbeweis antreten. Daraufhin servierte man mir als erstes aus einem Kump gekühlten Airag, den der Wirt mit einem Stieltopf aus einem dickwandigen Tontopf schöpfte, der von der Größe her für eine Kompanie gereicht hätte. Wieso das Zeug derartig kühl war, blieb ein Rätsel, denn ich konnte weder Stromanschluss, noch Kühlaggregat entdecken.

Während ich das leicht moussierenden, etwas streng schmeckende Gesöff schlabberte – was wohlwollend von dem bis dahin einzigen männlichen Gast benickt wurde – beobachtete ich gespannt das Treiben in der sich füllenden Jurte. Jeder bekam als erstes eine Airag-Dröhnung und dann besagtes Fleisch am Knochen, dass sie sich aus einer ebenfalls riesigen Schüssel aussuchten und vom Jurtenbesitzer oder seiner schnuckeligen Tochter wiegen ließen. Mit gekonntem Fingergriff packte er oder sie es auf eine Kunststofftüte – wie man sie beim Einkaufen bekommt – und brachte es zum Tisch. Als Beilage gab es Pellkartoffeln in einer mayonäseähnlichen Soße und dazu ein dolchähnliches, verdammt scharfes Messer. Und wie ich ansonsten sehen konnte, fühlten sich Finger und Daumen des Servierenden sowohl im Airag, als auch auf dem Fleisch wohl, niemanden störte es. Mich auch nicht.

Das Getränk verkaufte man auch „to go“, denn immer wieder kamen Kunden mit unterschiedlichsten Gefäßen in die Jurte, ließen sich eine entsprechende Menge abfüllen, bezahlten und gingen. Ein Mann benutzte als Behältnis eine transparente Plastiktüte und marschierte damit von dannen. Mit ihm zusammen galoppierte meine Fantasie ebenfalls los, und malte sich interessante Varianten eines möglichen Nachhauseweges desjenigen aus. Angefangen bei der einfachsten, dass der Beutel ein kleines Loch bekommt und der Airag – wie bei Hänsel und Gretel – eine Spur hinterlässt, die bald wieder verschwunden sein würde, bis hin zur Airag-Bombe, die aus einem mehrgeschossigen Haus nach unten saust, um einen nichts ahnenden Passanten auf völlig neue Weise mit dem Nationalgetränk zu verwöhnen. Hihi.

Es blieb jedoch beim Ausmalen. Schade! Stattdessen wollte mein Magen ebenfalls von dem Fleisch und den Kartoffeln. Und so versuchte ich klarzumachen, dass ich erst einmal nur ein kleines Stück haben möchte, was anfänglich schier unmöglich erschien. Bis sich einer der Mitgäste einmischte und mir auf Englisch verklickerte, dass es Pferdefleisch sei, was da im Angebot war. Er wollte wissen, ob es mir etwas ausmacht, wohl wissend, dass viele Europäer damit ein Problem haben. Ich nicht, aber das hätte ich auch nicht, wenn es geröstete Ameisen gewesen wären. Allerdings steht hinter den kleinen Krabblern ja auch nicht die Verklärung, wie sie mit Pferden bei uns verbunden ist. Meine Ex-Schwägerin hätte mich gewürgt. Aber so bekam ich meine in dünne Scheiben geschnittene Probierportion mit zwei Kartöffelchen auf besagter Plastiktüte serviert. Eine Portion für den hohlen Zahn, die erst recht Hunger erzeugte. Und so verlangte ich Nachschlag, den man mir, wie bei den anderen, gewogen und mit Dolch an mein Tischchen lieferte. Zwar bekam ich das Fleisch nicht so gekonnt vom Knochen geschnitten wie die Fachmänner um mich herum, aber ich wurde satt und durfte mir vom Maitre de cuisine eine Papierserviette für die Fettfinger abholen und bezahlen. Wobei mich Mongolia in diesem Moment erneut verblüffte. Für circa 1 Euro hatte ich auf außergewöhnliche Weise und lecker gespeist.

Dafür wäre mir am Tag drauf, am Samstag, beinahe jeglicher Appetit gründlichst vergangen, wenn auch weniger durch Essen, sondern mehr im übertragenen Sinn. Dieser Tag hätte das Ende meiner Reise sein können, wenn mein Schutzengel nicht auf Zack gewesen wäre und ganze Arbeit geleistet hätte – wie schon so oft in meinem Leben.

 

Und das kam so.

 

In UB machte ich natürlich das Gleiche, was ich in allen anderen Städten auch gemacht habe, ich stromerte herum und stellte dabei fest, dass es neben dem offiziellen Straßennetz ein weiteres zu geben schien, dass ich als inoffiziell bezeichnen möchte. Hier gab es keine Straßennamen und sie sahen nicht so aus und verliefen auch nicht so, wie normale Straßen, waren aber ebenfalls mehr oder weniger belebt. Sie zweigten rechtwinklig von den normalen Straßen ab und waren im Grunde genommen eher Hinterhöfe, die ineinander übergingen, um irgendwo in die Parallelstraße oder eine rechtwinklig dazu verlaufende Straße zu münden. Hier fuhren und parkten Autos und Menschen kürzten Wege ab. Und es gab Tore, die wahrscheinlich nachts geschlossen wurden und es gab auch hier Geschäfte und Lokale, wenn auch weniger, als an den eigentlichen Straßen.

Und durch so eine neu entdeckte Querverbindung lief ich halt und schaute mich dabei – neugierig, wie ich nun mal bin – interessiert nach allem Möglichen um. Wobei ich etwas übersah, was eigentlich nicht mehr neu für mich war. Nämlich eine offene, nicht abgedeckte oder irgendwie abgesperrte Kanalöffnung, die sich mitten auf diesem, sich platzähnlich erweiternden Hinterhof befand. Etwas Ähnliches hatte ich erst am Morgen auf dem Bürgersteig der sehr belebten Peace Avenue auf dem Bürgersteig vorgefunden. Ebenfalls ohne Absperrung, Abdeckung oder wenigstens einen Warnhinweis. Staunend beobachtete ich die Menschen, die sich weder daran störten, noch die Gefahr zu sehen schienen. Wie selbstverständlich machten aber alle automatisch einen Bogen drum herum.

Erstaunlich, wenn ich dabei an unser Land denke, in dem jedes dieser Löcher mindestens dreimal abgesichert worden wäre und zusätzlich ein Netz für eventuell vom Himmel fallende Passanten bekommen hätte. Dabei hatte ich zuvor schon in den baltischen Ländern und in Russland solche Kanalöffnungen und andere Riesenlöcher auf Straßen und Bürgersteigen gesehen, und jedes Mal gedacht: „Schau einer an, hier wird mit Gefahr ganz anders umgegangen, als bei uns. Jeder nimmt sie selbstverantwortlich war und gut ist's. So, wie das in meiner Erinnerung in unserem Land auch einmal war.“

 

Lang, lang ist's her.

 

Als jemand, der sich langjährig durch unseren Sicherheitsstands einlullen ließ, bemerkte dieses offene Loch erst, als mein Fuß leicht nach vorne kippte – so als ob man mit halbem Fuß auf der Bordsteinkante landet und erst in dem Moment realisiert, dass sich da scheinbar ein Abgrund auftut – nach unten schaute und reflexartig einen Satz, einen Sprung, einen Hüpfer wie ein Känguru, oder sonst was machte, um dem Sog dieses Lochs zu entgehen. Allein der Gedanke, dass ich, wenn ich ein anderes Schrittmaß gehabt hätte, mitten hinein getappst wäre, und wie in einem der Slapstick Filme einfach in dem Kanal verschwunden wäre, raubte mir für einen Moment den Atem. Allerdings wäre mein Film wohl weniger lustig gewesen.

Tja, was soll ich sagen? Für einen winzigen Moment stand die Welt so was von still, dass ich keinerlei Geräusche mehr wahrnahm, nichts anderes mehr sah und nur noch mein dickstes Dankeschön in Richtung nach oben schicken konnte. Der Eindruck, meine Reise begänne jetzt zum zweiten Mal, ließ sich kaum von der Hand weisen.

 

Und da ich auf diese Weise bei einem speziellen Kanal ohne Deckel gelandet bin, kann ich dort gleich weitermachen, wenn auch eine Ebene höher. Gehört doch zu jedem Kanal etwas, das ihm einen Sinn gibt, bzw. füllt. Beispielsweise Regenwasser, das es hier eher seltener gibt oder Toiletten in den Häusern mit ihrem Abwasser und was es sonst noch gibt. Und über diese Toiletten hatte ich in diversen Reiseführern gelesen, dass es spätestens ab Russland (aber auch schon in den baltischen Ländern) üblich sei, benutztes Toilettenpapier nicht in die Toilette zu werfen, sondern in einen dafür eigens bereit gestellten Behälter. Begründung: Die Gefahr der Rohrverstopfung sei zu groß. Wobei damit aber das Abwassersystem des Hauses gemeint sein dürfte, nicht der Kanal.

Lange Rede kurzer Sinn, in meinem Hostel wurde die Theorie zur Praxis und damit zur täglichen – so manches Mal vergessenen – Pflichtübung, zu der per Wort und Bild plus Behälter aufgefordert wurde.

Verstopft wurde jedoch trotz meiner gelegentlichen Unaufmerksamkeit nichts. Dennoch gehörte auch diese Übung für mich zu den interessanten Neuerfahrungen, die mich jedes Mal darüber sinnieren ließen, wie diese Praxis wohl in Deutschland ankäme.

Unbelievable.

Man könnte glatt einen Sketch daraus machen. Wie auch nach meinem Dafürhalten aus der Tatsache, dass es in UB eine deutsche Brauerei gibt, die Khan Brauerei, die nach deutschem Reinheitsgebot braut und von einem Deutschen gegründet und geführt wird. Ein Franzose erzählte mir, dass er dort sein teuerstes Bier in Mongolia getrunken habe. Das ist doch was, oder? Ich bin mal dran vorbei gelaufen, als ich Karten für ein Konzert kaufen wollte und konnte nur einen einzigen Menschen ausmachen, der dort an einem der Tische saß. Vielleicht ein Landsmann? Schließlich soll es ja welche geben, die im Ausland ohne deutsches Essen, deutsches Bier, deutsche Gemütlichkeit und sonstigem heimatlich Angehauchtem meinen kaum überleben zu können. Tsss, aber auf bestimmte Gewohnheiten unseres Volkes stehe ich einfach nicht. Themenwechsel also ... und damit zum Resümee.

 

Was war Ulan Bartor nun für mich? Anders als zu den anderen Städten, in denen ich bisher auf meiner Reise war, habe ich zu dieser Stadt keinen wirklichen Draht bekommen. Ich kann weder sagen, UB hat mir gefallen, noch kann ich das Gegenteil behaupten. Es war irgendwie nicht spürbar, nicht fassbar für mich, wenn ich durch ihre Straßen, Hinterhöfe und Plätze pilgerte. Was der Sowjetzeit geschuldet sein mag, in der sicher vieles plattgemacht wurde. Es gab weder interessante Häuser – alte schon gar nicht, jedenfalls fand ich keine – noch sonstige Dinge, die mich angelacht hätten. Nur protzige Gebäudeklötze, denen jeglicher Charme fehlte oder als Gegensatz Gebäude, die man dem Verfall überließ. Der Rest, ein Einheitsbrei, wie er einheitlicher kaum sein konnte, abgesehen von den Jurten, die sich natürlich auch in der Hauptstadt in Mengen zeigten. Interessant fand ich, dass der Umriss dieser Stadt, wie er auf einem Flyer abgebildet war, einem U-Boot glich, dass zwar aufgetaucht seinen Weg fand, aber jederzeit eben auch wieder in der Versenkung verschwinden kann.

 

Irgendwie passend zu meinem Eindruck. Und so bin ich riesig gespannt, wie und was Peking für mich sein wird, das ja nun langsam in greifbare Nähe rückt.